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# taz.de -- Ismail Ismail Im Augenblick nicht: Warum es unmöglich ist, über d…
Ich habe mich entschieden, die Kolumne zu beenden. Ich schreibe sie nicht
mehr. Alle zwei Wochen stand ich jetzt vor der Entscheidung, welches Thema
ich als nächstes angehe, und vor allem wie. Das war sogar das Schwierigste,
um nicht das Gefühl zu vermitteln: So sieht der Geflüchtete Deutschland,
dessen Rolle ich als Schreiber bloß ausfülle.
Ob mir das gelungen ist, weiß ich nicht, aber das habe ich versucht. Nun
wurde mir mitgeteilt, dass ich fast nur kritisiere. Das war mir klar und so
muss es auch sein. Denn meiner Meinung nach sorgt zu viel Jubel nur dafür,
dass die bestehende Situation sich verschlechtert. Man muss aber die Kritik
ernst nehmen und sich die Zeit schaffen, über sie nachzudenken. Und die
nehme ich mir jetzt.
Themen, über die ich schreiben wollte, hätte es noch viele gegeben: übers
Studienkolleg in Hannover, das ich fast ein Jahr lang besuchen musste,
etwa. Da musste ich erleben, wie schädlich es ist, wenn man die Gesetze
blind befolgt und dabei vergisst, dass man mit Menschen zu tun hat, und
diese Menschen viel wichtiger als die Gesetze sind.
Über die Homosexuellen, die ich in Hannover getroffen habe. Über das
Musik-Projekt „Ahlan! Was geht“ in Hamburg und was es bedeutet, sich auf
Augenhöhe zu sehen und erst dann miteinander Musik zu machen. Über die
Religion des „Eulismus“, die gerade in Lüneburg aufkommt.
Das perfekte Thema für eine letzte Kolumne wäre die Mondfinsternis gewesen.
Ich war ungefähr neun, als ich meine erste Sonnenfinsternis erlebt habe.
Sie galt als etwas sehr Gefährliches. Am Tag davor hatte die ganze Stadt
Qamischly genug Essen für mehr als drei Wochen eingekauft. Die Menschen
hatten Panik.
Klar können die Sonnenstrahlen die Augen beschädigen, wenn man direkt
hineinschaut. Aber damals ging es nicht mehr darum, sondern dass die
Strahlen auch den Körper schädigen würden. So mussten wir einen Tag lang
drin bleiben. Die ganze Stadt war eine Geisterstadt geworden. Manche hatten
sogar ihre Fenster und Türen mit jedem vorhandenen Stoff mehrschichtig
bedeckt. Das Gute daran war, dass wir Kinder alle besonderen Früchte und
Süßigkeiten zu essen bekamen, um zu verhindern, dass wir rausgehen wollen.
Obwohl wir total Angst vor der Sonnenfinsternis hatten, wünschten wir uns
schließlich, dass es dieses Phänomen häufiger gäbe. Ich habe gehört, dass
hier die Schulen versuchen, den Kindern dieses Phänomen genau zu klären und
es sogar mit ihnen zu erleben. Ganz unterschiedlicher Umgang und jeder hat
seine Gründe.
Bei der Mondfinsternis ist meine Erfahrung völlig anders. Sie unterscheidet
sich nicht von der, wie Menschen in Deutschland oder auf der ganzen Welt
sie erleben. Beim Zugucken besteht keine Gefahr, und man braucht auch keine
Hilfsmittel dafür. Jeder, egal wo, kann seinen Kopf hochheben und dieses
Erlebnis genießen. Alle Menschen sind gleich: Aber wie sollte man darüber
bloß schreiben können?
27 Jul 2018
## AUTOREN
Ismail Ismail
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