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# taz.de -- welthandel: Spielraum für den Süden
> Dem Fair Trade des analogen Handels muss ein Digital Fair Trade folgen –
> mit gleichberechtigten Zugangsvoraussetzungen weltweit
Ist Deutschland ein digitales Entwicklungsland? Die deutsche Wirtschaft hat
dazu eine eindeutige Position. Sie fordert staatliche Förderung: Der Staat
müsse massiv in digitale Infrastruktur investieren, digitale Bildung
vorantreiben, Start-ups wie Traditions-Unternehmen unterstützen und sie vor
der Übernahme ausländischer Investoren schützen. Mit immer neuen
Masterplänen erwidern Regierung und Parteien solche Hilferufe.
Scheinbar umgekehrt erleben es derzeit die Länder des globalen Südens. Auf
dem afrikanischen Kontinent sprießen unzählige vielversprechende digitale
Initiativen aus dem Boden, die den lang ersehnten wirtschaftlichen Aufstieg
bringen könnten. Politischer Beistand bleibt jedoch aus. Die Vorteile 4.0
kämen vor allem den wohlhabenderen und besser ausgebildeten
Bevölkerungsschichten zugute, stellt die Weltbank in einem Bericht von 2016
fest. Und obwohl sich die Zahl der Internetnutzer seit 2005 verdreifacht
hat, fehlte fast der Hälfte der Weltbevölkerung immer noch der Zugang zum
Netz. Die Ungleichheit wächst.
Gleich nach der Gründung der Welthandelsorganisation WTO im Jahr 1995
forderten die führenden Industrienationen ein Abkommen zur Liberalisierung
des Informations- und Technologiemarktes. Es enthält ein
Zollfreiheitsmoratorium auf elektronisch hergestellte und gehandelte
Produkte. Wie sieht die Handelsbilanz 20 Jahre danach aus? Auf dem von der
Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) 2015
entwickelten E-Commerce-Index liegen die Entwicklungsländer fast
durchgehend auf den hinteren Plätzen. Nur Schwellenländer wie Chile und
Uruguay, die längst über eine wettbewerbsstarke (analoge) Industrie
verfügen, schafften es unter die Top 50. Auch der Unctad-Bericht von 2017
belegt die extrem ungleiche Verteilung. Der asiatisch-pazifische Raum
vereint 51 Prozent der weltweiten Handelsvolumina auf sich, gefolgt von
Europa (24 Prozent) und Nordamerika (23 Prozent). Afrika, Lateinamerika und
der Nahe Osten bringen gerade einmal 2 Prozent zusammen.
Das digitale Gefälle zwischen den Weltregionen ist damit noch größer als
das analoge. Deutlich wird auch: Digitale Ausnahmestaaten wie China oder
Indien schafften ihren Erfolgskurs nur mittels staatlicher Hilfen. China
war in den 1990er Jahren noch ein Niemand bei der Herstellung
elektronischer Produkte. Heute liegt es mit einem Marktwert von rund 13
Milliarden US-Dollar bei der „Ausfuhr“ immaterieller Güter unangefochten an
der Spitze – weit vor Deutschland (8 Milliarden US-Dollar) und den USA (6
Milliarden US-Dollar). Das Land schützte sich vor ausländischen
Unternehmen, baute eine eigene, staatlich gelenkte digitale Infrastruktur
auf und kopierte erfolgreiche US-amerikanische Internetplattformen wie
Alibaba (Onlinehandel) oder Tencent (soziale Medien). Bangalores Aufstieg
zum Silicon Valley beruht ebenfalls auf wirtschaftspolitischen Hilfen wie
dem Aufbau von Technologieparks, Exportanreizen, Steuererleichterungen oder
der zollfreien Einfuhr von Waren.
Politischer Rückenwind entschied auch im analogen Handel schon über
Gewinner und Verlierer. Den Ländern des Südens fehlt er. Sowohl die
Welthandelsorganisation als auch zahlreiche bilaterale Handelsabkommen
setzen einseitig auf eine Liberalisierung und Deregulierung der Märkte. Sie
zielen auf den Abbau nichttarifärer Hemmnisse wie öffentliche
Daseinsvorsorge oder Verbraucherschutz. TTIP und Ceta erklären einen auf
rein ökonomische Effizienz getrimmten Weltmarkt zum obersten Gebot. Das
aber beschränkt staatliche Gestaltungsspielräume – und sie werden sich noch
weiter verengen. Im Rahmen des transpazifischen Handelsabkommens CPTPP
haben sich kürzlich die elf Unterzeichnerstaaten zur unumschränkten
Freizügigkeit der Datenflüsse verpflichtet. Das Abkommen verbietet
nationale Regelungen, die eine lokale Speicherung und Verarbeitung von
Informationen vorsehen.
Den wichtigsten Rohstoff des 21. Jahrhunderts mit nationalen Verboten zu
belegen, ist aus ökonomischer Perspektive mehr als problematisch. Wer hat
am Ende die Verfügungsgewalt? Schon der Handel mit natürlichen Rohstoffen
hat den rohstoffreichen Ländern einen Aufstieg in der Wertschöpfungskette
versagt. Anstatt sie in die Lage zu versetzen, Erz oder Kupfer selbst
weiterzuverarbeiten, wurden sie auf die Rolle der Rohlieferanten
herabgestuft.
Folgt jetzt die digitale Ausbeutung? Die weltweite Datenmenge wird sich bis
2025 verzehnfachen. Staatliche Datenhoheit wird die große Herausforderung
in der Entwicklungszusammenarbeit. Nur eine kooperativ ausgerichtete
Handelspolitik bringt Chancengleichheit im digitalen Wettbewerb. Sie muss
das Regierungshandeln bestimmen und auch für das EU-Handelskommissariat
gelten.
Dem Fair Trade des analogen Handels muss ein Digital Fair Trade folgen: Mit
fairen Zugangsvoraussetzungen weltweit. Zunächst besteht die Notwendigkeit,
die riesige digitale Kluft zu schließen, die unseren Globus in zwei Hälfte
schneidet. Drei von vier Menschen im südlichen Afrika haben keinen
Internetanschluss. Außerdem muss die Handelspolitik die nationalen
Spielräume erweitern. Sie muss lokale Datenspeicherung zulassen. Und sie
muss Rahmenbedingungen schaffen, welche die Entwicklungsländer befähigen,
eine eigene (öffentliche) moderne digitale Infrastruktur aufzubauen, die
auf die nationalen und lokalen Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Hierfür bedarf es zum einen eines Technologietransfers von den führenden
Industriestaaten in die Entwicklungsländer; zum anderen der Förderung
heimischer Start-ups sowie Unterstützung traditioneller Unternehmen beim
digitalen Wandel. Schließlich stellt Digital Fair Trade den Aufbau einer
eigenen digitalen Industrie unter Schutz. Damit bekommen Entwicklungsländer
den gleichen politischen Rückhalt wie Deutschland, das digitale
Entwicklungsland.
19 Jul 2018
## AUTOREN
Sven Hilbig
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