# taz.de -- GlücklichimPlattenbau | |
> Katrin Gassan lebt seit 13 Jahren im Kosmosviertel in Altglienicke – und | |
> das ausgesprochen gerne. Doch jetzt saniert der Eigentümer die | |
> Plattenbauten aus DDR-Zeiten. Mit erheblichen Mängeln. Die 50-Jährige ist | |
> zur Mietenaktivistin geworden | |
Bild: „Ich hab' doch hier alles was ich brauche. Was will ich mehr?“, sagt … | |
Von Johanna Kuegler (Text und Recherche), Lin Hierse (Recherche) und | |
Christian Thiel (Fotos) | |
Bunte Heißluftballons schweben zwischen den Fensterreihen. Ein lachendes | |
Kind reckt sich vom Balkon aus nach einem Heißluftballon, drumherum Blumen, | |
Bäume, blauer Himmel. Die Szene ist eingefroren. Es handelt sich um ein | |
riesiges Kunstwerk auf der Fassade der Plattenbauten der | |
Wohnungsgenossenschaft Altglienicke (siehe Foto auf Seite 41). | |
Nur 50 Meter weiter ein anderes Bild: dieselben endlosen Fensterreihen, | |
aber graue Waschbetonverkleidungen und Efeu. Sie dominieren im | |
Kosmosviertel die Plattenbauten der Schönefeld Wohnen. Auch hier gibt es | |
lachende Kinder, die Spielplätze zwischen den Häusern sind gut besucht, es | |
wird geschaukelt, gerutscht und geklettert. Die jungen Eltern sitzen nicht | |
weit entfernt, viele Kinder sind aber auch allein unterwegs. Das | |
Kosmosviertel hat etwas von einem in sich geschlossenem Dorf, da geht so | |
schnell niemand verloren. | |
„Ich mag es hier. Das Viertel hat eine gute Durchmischung“, erzählt Katrin | |
Gassan und schaut zu den spielenden Kindern „aber dass die Spielplätze alle | |
in der Sonne liegen, das ist Mist. Die Metallrutschen heizen sich doch auf. | |
Was soll das, Kinder am Hintern gut durch?“ | |
Katrin Gassan lebt seit 13 Jahren im Kosmosviertel. Der 50-Jährigen gefällt | |
es hier: die Einkaufsmöglichkeiten in der kleinen Fußgängerzone, der Bäcker | |
Sonnenschein, der Netto. „Ich hab’ doch hier alles was ich brauche. Was | |
will ich mehr?“ Die Sache mit den Spielplätzen stört sie jedoch. Die | |
Nachbarschaft hatte sich einen ganz anderen Spielplatz aus Holz ausgesucht. | |
Aus Kostengründen wurde es aber einer aus Metall, gebaut von der Schönefeld | |
Wohnen GmbH & Co. KG. | |
Das Unternehmen ist der Platzhirsch im Kiez, ihm gehören dort fast zwei | |
Drittel des Bestands – 1.900 Wohnungen. Seit der Übernahme vom | |
landeseigenen Wohnungsunternehmen Stadt und Land Ende der 1990er Jahre | |
wurde kaum etwas für die Instandhaltung der Wohnhäuser in | |
DDR-Plattenbausweise getan, der Wohnstandard ist dementsprechend niedrig. | |
Bei Katrin Gassan floss schon einmal Wasser aus dem Lichtschalter und als | |
die Wand aufgestemmt wurde, waren die Kabel dahinter nicht isoliert. Auch | |
von außen sind die Mängel an den Wohnblöcken sichtbar, an vielen Stellen | |
fehlen die Abdichtungen zwischen den Waschbetonplatten der Fassade. Wärme | |
dringt nach außen, Wasser nach innen. | |
Eine Forschungsarbeit der Humboldt-Universität zu Berlin sieht in der | |
Vernachlässigung der Wohnhäuser eine grundlegende Geschäftsstrategie der | |
Schönefeld Wohnen. Das Angebot richte sich bislang an Menschen mit | |
Zugangsproblemen zum Wohnungsmarkt, MieterInnen aus einkommensarmen | |
Schichten müssten die Mängel gezwungenermaßen in Kauf nehmen. Unter ihnen | |
würden TransferleistungsbezieherInnen bevorzugt: So ließe sich der | |
Höchstsatz für Mietzahlungen im Harz IV-Bereich ausnutzen. | |
Doch nun scheint es, will der Eigentümer mehr: Nach knapp zwei Jahrzehnten | |
der Untätigkeit verschwinden die tristen Waschbetonplatten der Schönefeld | |
Wohnen zusehends vor den Augen der BewohnerInnen des Viertels. Einige | |
Wohnblöcke erstrahlen in neuen Farben, andere hüllen sich noch in Gerüste | |
und weiße Planen. Es wird saniert – energetisch. Über die | |
Modernisierungsumlage können die Kosten dafür auf die MieterInnen umgelegt | |
werden. | |
## 30 % sind zu viel | |
Katrin Gassan fand die erste Modernisierungsankündigung 2016 im | |
Briefkasten. 124 Euro Mietaufschlag sollen der Sanierung folgen, eine mehr | |
als 30-prozentige Steigerung. Für die Angestellte einer | |
Verwaltungspoststelle eine nicht tragbare zusätzliche finanzielle | |
Belastung. Die Sanierungsankündigung wurde zunächst wegen rechtlicher | |
Unstimmigkeiten zurückgezogen, ein Jahr später war sie jedoch wieder da. | |
„Da musste ich mir etwas einfallen lassen. Also hab ich mich umgehört und | |
den Mieterprotest gefunden.“ | |
Im Bürgerhaus in der Ortolfstraße finden sich regelmäßig AnwohnerInnen aus | |
dem Viertel zusammen. Die Diskussionen sind lebhaft, an der Wand hängt ein | |
großes Leinentuch „Wir <3 Kosmos, Kosmosviertel Mieterprotest“. Seit 2016 | |
kämpft ein Kernteam von sechs bis zehn Leuten aktiv gegen die | |
Sanierungsmaßnahmen und Mieterhöhungen. | |
Es besteht Gesprächsbedarf im Kiez, die monatlichen Treffen besuchen mal | |
20, mal bis zu 100 AnwohnerInnen. Einige leben schon in sanierten Häuser | |
und berichten von Auffälligkeiten: Die angekündigte Heizkosteneinsparung | |
von 30 Prozent tritt nicht ein, stattdessen ist der | |
Heiz-Wärme-Mengenverbrauch bei manchen Wohnblöcken nach der Sanierung um 11 | |
Prozent gestiegen. Untersuchungen des Mieterprotests haben die Zahlen | |
bestätigt. Genau 50 stichprobenartige Messungen haben außerdem ergeben, | |
dass der Dämmputz an zahlreichen Stellen viel zu dünn aufgetragen wurde, | |
oft erreicht die Stärke nur zwei statt der nötigen sechs Zentimeter. | |
Je gründlicher der Mieterprotest nachforscht, desto mehr Mängel werden | |
bekannt. Doch obwohl der Protest zunehmend lauter wird, gehen die | |
Sanierungen ungehindert weiter. Inzwischen sind die Gerüste auch vor Katrin | |
Gassans Haustür angekommen: „Ob die Sanierungen fachgerecht durchgeführt | |
werden, prüft niemand. Und das Geld für ein eigenes Gutachten hat der | |
Mieterprotest einfach nicht. Wir haben nur unser Engagement.“ | |
Konsequenzen hat der Eigentümer nach derzeitigem rechtlichen Stand nicht | |
wirklich zu befürchten. Also werden Anfragen des Mieterprotestes ignoriert | |
und Unterlagen nicht herausgegeben. Vereinzelte Klagen beeindrucken die | |
Schönefeld Wohnen ebenfalls nicht. | |
## Öffentlich machen | |
Seit Anfang 2018 geht der Mieterprotest deswegen vermehrt an die | |
Öffentlichkeit. Katrin Gassan führt als inoffizielle Sprecherin Vertreter | |
von RBB, Inforadio und Neues Deutschland durch das Viertel und zeigt auf | |
abplatzende Fassadenfarbe und Wasserflecken. Die neuen Regenrohre enden in | |
abgeschlossenen Kiesbetten direkt am Haus – die ersten Keller sind schon | |
feucht. | |
Die Anliegen des Mieterbündnisses sind zwar inzwischen bei der | |
Landespolitik angekommen, doch der Handlungsspielraum ist gering, denn | |
energetische Sanierungen sind nicht genehmigungspflichtig. Der Senat hat | |
deswegen eine städtische Wohnungsgesellschaft um den Ankauf der | |
betreffenden Häuser gebeten. Doch die Verhandlungen ziehen sich bereits so | |
lange hin, dass „jede Prognose“ über einen Abschluss „reine Spekulation | |
wäre“, so eine Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung | |
und Wohnen. | |
Währenddessen versucht der Mieterprotest weiter, BewohnerInnen zu | |
erreichen. Dass Katrin Gassan durch die Berichterstattung im Viertel | |
inzwischen bekannt ist „wie ein bunter Hund“ hilft dabei natürlich. „Die | |
Menschen haben weniger Hemmungen uns anzusprechen.“ Einmal bat eine junge | |
Frau sie nach einigem Zögern in die Wohnung ihrer Familie. Drinnen war die | |
Schlafzimmerwand frisch überstrichen worden, der Grund wurde auf Fotos | |
sichtbar: Auf der gesamten Wand hatten sich nach der Sanierung | |
Schimmelflecken gebildet. „Die haben gummierte Farbe auf feuchten Dämmputz | |
aufgetragen.“ Das wirkt wie eine Versiegelung, die Wohnungen können nicht | |
mehr atmen und die Feuchtigkeit zieht nach innen. Die Familie mit drei | |
kleinen Kindern hat Angst sich zu beschweren. Sie befürchten, dass sie dann | |
die Wohnung verlieren könnten. | |
Überforderung und Machtlosigkeit sind für Katrin Gassan die vorherrschenden | |
Gefühle im Kiez. „Einige wissen gar nicht, dass sie sich wehren können.“ | |
Auch um dem entgegenzuwirken, geht der Mieterprotest von Tür zu Tür. Doch | |
nicht immer sind sie willkommen. „Manche machen uns direkt vor der Nase | |
wieder zu.“ Es ist nicht nur Angst, auch Resignation und Desinteresse | |
spielen ebenfalls eine Rolle. „Wenn die Miete sowieso vom Amt gezahlt wird, | |
sagen viele: Wieso soll ich mich da jetzt auch noch darum kümmern. Ich hab | |
schon genug Probleme.“ | |
## Vielfältiger Kiez | |
Die Mobilisierung der MieterInnen findet Katrin Gassan auch deswegen so | |
schwierig, weil es keine übergeordnete Informationspolitik im Kosmosviertel | |
gibt. Die Menschen zu erreichen, bleibt für den Mieterprotest das größte | |
Problem. Flyer im Briefkasten werden schnell wie Werbung entsorgt, Aushänge | |
im Haus sind nicht möglich, weil dafür die Erlaubnis des Hauseigentümers – | |
die der Schönefeld Wohnen – nötig wäre. „Man kommt unheimlich schwer an … | |
Leute heran, weil doch fast alle in ihren Gruppen bleiben. Und Fremden | |
gegenüber ist das Misstrauen oft groß.“ Katrin Gassan geht deswegen immer | |
wieder auf die Leute zu, setzt sich beim Bäcker auch einfach mal mit an | |
einen Tisch und beginnt ein Gespräch. „Das machen leider die Wenigsten. | |
Aber wenn man anfängt mit den Leuten zu reden, ergeben sich oft ganz tolle | |
Gespräche. Da merkt man auch, wie vielfältig der Kiez ist.“ | |
Katrin Gassan hängt am Kosmosviertel, an ihrer Wohnung mit Südbalkon. Sie | |
möchte hier nicht weg, aber falls die Mietsteigerung kommt, wird sie | |
wahrscheinlich keine Wahl haben. Wohin es dann gehen soll, weiß sie nicht: | |
„Es gibt doch gar keine Wohnungen mehr in Berlin, die ich mir noch leisten | |
kann. Ich müsste wahrscheinlich zu meiner Mutter ziehen.“ | |
Das ist für sie nicht wirklich eine Option, also gibt Gassan weiter | |
Interviews und kämpft mit den anderen vom Mieterprotest dafür, bleiben zu | |
können. Im Kosmosviertel zwischen Platten, Bäumen und Spielplätzen. „Ich | |
fühl mich wohl hier und damit ist es mein Zuhause.“ | |
7 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Johanna Kuegler | |
Lin Hierse | |
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