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# taz.de -- berliner szenen: Nieten, Glatzen, Irokesen
T. kennt einen der Musiker, der Mann einer Freundin, und T. fragte mich, ob
wir unsere Verabredung dorthin verlegen können, sie habe das Datum
durcheinandergebracht. „Zieh dir“, sagte T., „was Schwarzes an, dann bist
du auf der sicheren Seite.“ Nachdem wir auflegten, dachte ich, ich habe
drei paar Schuhe, und alle sind sie hellbraun, und außerdem wollte ich doch
nur noch auf Sitzkonzerte, nur noch was für mein Alter, nicht zu laut und
was zum Sitzen.
Ich kenne alles Mögliche, Industrial gehört nicht dazu. Es ist voll, der
Raum nicht groß, an der Decke hängen vielleicht 70 Scheinwerfer. Alle
tragen Schwarz, Band-T-Shirts, Nieten, Tätowierungen, Glatzen, Irokesen,
Stellen sind ausrasiert. Industrial-Fans scheinen ziemlich viel Zeit vor
dem Spiegel zu verbringen. Die erste Band tritt auf, vier sehr ernsthafte
Menschen, und der Sänger brüllt immer wieder: „I want to feel.“ Er hat
einen Vollbart, seine Haare sind lang, und während er brüllt, reckt er
beide Fäuste seitlich seines Körpers in die Höhe. Es sieht ein wenig
lächerlich aus und zugleich ist es imposant zu sehen, wie er dieses
Männerbild in seiner ganzen Klischeehaftigkeit über eine halbe Stunde
durchhält, dann von der Bühne geht und Cola aus einem Strohhalm trinkt. Die
zweite Band möchte nicht, dass man sich bewegt, die beiden Männer haben
Laptops vor sich und bemühen sich, keinerlei Rhythmus oder Melodie
aufkommen zu lassen, und als die dritte spielt, wechseln wir an die Bar.
Als die vierte Band auftritt, der Raum mit Trockeneisnebel vollgepumpt wird
und auf der Bühne Kerzen brennen, gehen wir. „Ich weiß gar nicht mehr, wann
ich das letzte Mal so lange wach war“, sage ich zu T., und sie lacht mich
aus. Kurz vor dem Hauptbahnhof singt im Fliederduft eine Nachtigall. Wir
wechseln die Straßenseite und hören ihr eine Weile zu. Björn Kuhligk
6 Jul 2018
## AUTOREN
Björn Kuhligk
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