# taz.de -- Harte Arbeit, bella figura | |
> Ein Fußballbuch als große Erzählung über die italienische | |
> Klassengesellschaft:Birgit Schönau beschreibt in „La Fidanzata“ die | |
> Geschichte von Juventus Turin | |
Bild: Der Juve-Stil ist ein soziologisches Wunder. Das Großbürgertum kann sic… | |
Von Detlev Claussen | |
Wer Italien liebt und keine Ahnung von Fußball hat, kann das ultramontane | |
Land nicht verstehen. Fußball gehört zu den Leidenschaften, die Italien | |
vereinen und spalten. Ein Exponent dieser Passionen ist Juve, weit über | |
die Grenzen Italiens hinaus als la vecchia signora bekannt, vertraulicher | |
auch als Madama tituliert. | |
Birgit Schönau, die aus Zeit und SZ bekannte Italienkorrespondentin und | |
Fußballreporterin, stellt in einem konzentrierten Buch über „Juventus, | |
Turin und Italien“ den Verein intim als „La Fidanzata“ vor, wie die | |
Juventini ihre Juve nennen. Eine Verlobte Italiens, das klingt altmodisch – | |
aber bewahrt auch das Versprechen auf, das jedes Spiel vermittelt: Ein | |
Traum kann in Erfüllung gehen. Doch Schönau verschweigt auch nicht, dass | |
neben dem Viertel aller Italiener, die Juve verehren, es auch mindestens | |
ebenso viele Anti-Juventini gibt. Einer ihrer Heroen ist noch immer ein | |
HSV-Spieler namens Felix Magath, der 1983 mit einem Sonntagsschuss das | |
Europacupfinale gegen die Weltstars aus Turin entschied. | |
Wer auf fußballerische Anekdoten gespannt ist, wird in diesem Buch viele | |
finden. Aber sie sind eingebettet in eine große Erzählung über die | |
Geschichte der italienischen Klassengesellschaft der letzten 120 Jahre. Die | |
Urgeschichte des modernen Fußballs beginnt auch in Italien als eine feine | |
Sache, als Passion einer anglophilen Oberschicht. Sportenthusiastische | |
Gymnasiasten gründeten den Verein mit dem Namen Juventus, die Jugend, der | |
sich schon in der Zielsetzung von dem aristokratischen Gentlemanfußball der | |
vorigen Generation unterschied. Als Maxime wählten die Gründer das | |
altrömische Prinzip „Durch Anstrengung zum Genuss“. | |
An diesem ehernen Gesetz, der Verbindung von harter Arbeit und bella | |
figura, mussten sich bis heute die Stars, die zu Juve kamen, abarbeiten. | |
Genies wie Roberto Baggio und Zinedine Zidane haben unter ihm gelitten. | |
Andere wie Platini, Pirlo und del Piero konnten sich in funktionierenden | |
Teams erst richtig entfalten. | |
Gegründet in der Zeit des Königreichs Italien, erlebte Juventus den | |
Aufstieg des Fußballs zum Massensport nach dem Ersten Weltkrieg. Aus den | |
heftigen Klassenkämpfen ging der italienische Faschismus als Sieger hervor, | |
der den Fußball als Instrument zur Modernisierung Italiens nutzte. Der | |
Stadionausbau wurde im ganzen Land gefördert, der Professionalismus | |
unterstützt. Juve wurde wie eine Fabrik geführt. Das industrielle Vorbild | |
stand in Turin, die Mirafioriwerke von Fiat. Die Mäzene von Juve waren die | |
Bosse von Fiat. Der Clan der Agnelli beherrschte Fabrik und Verein, | |
zeitweilig die Automobilindustrie Italiens und anscheinend das ganze Land. | |
Juve steht für den Triumph des italienischen Familienkapitalismus, der sich | |
durch alle Fährnisse des 20. Jahrhunderts hindurchschlängelte. Fiat | |
profitierte vom Faschismus, der italienische Fußball wurde mit Mussolinis | |
Hilfe und dem systematischen Juve-Know-how in den dreißiger Jahren zur | |
Weltmacht. Die wendigen Agnelli überlebten den Zusammenbruch. Vor allem die | |
Brüder Gianni und Umberto erkannten die Zeichen der neuen demokratischen | |
Zeit mit aufkommendem Massenkonsum. Das italienische Wirtschaftswunder | |
vereinte Auto und Fußball, Arbeit und Freizeit. Der Juve-Stil war | |
geschaffen, ein soziologisches Wunder, in dem sich das vornehme | |
Großbürgertum wiedererkennen konnte ebenso wie die selbstbewusste | |
Industriearbeiterschaft. | |
Doch die vornehme Dame hat auch viel Schmutz an ihren Kleidern. In der | |
Krise der Automobilindustrie scheuten die Agnelli weder das Geld Ghaddafis | |
noch die Dienste des Managers Moggi, der vor nichts zurückschreckte: | |
Doping, Schiedsrichterabsprachen, die im Weltmeisterjahr 2006 zum | |
Zwangsabstieg führten. Der angriffslustige Fußballpopulist Berlusconi | |
drohte mit Milan den Turinern den Rang abzulaufen. Inzwischen sind die | |
Mailänder Konkurrenten an undurchsichtige Chinesen verhökert, während Juve | |
unabhängig vom Schicksal der Autoindustrie zu einem modern geführten | |
Unterhaltungskonzern geworden ist. Aus einer ökonomisch gesicherten | |
Defensive versucht man weiter mit Eleganz und Zielstrebigkeit nach der | |
Krone der Champions League zu greifen. | |
30 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Detlev Claussen | |
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