# taz.de -- Das Eis schmilzt, die Wärme bleibt | |
> Wahshi Kuhis Gedenkperformance im Savvy Con-temporary für den 2012 | |
> ermordeten Burak Bektaş | |
Von Natalia Bronny | |
240 Kilogramm Eis. Darin: Sicherheitsnadeln. In alle Richtungen weisen sie, | |
eingefroren wie nach einer Explosion. Junge Menschen umzingeln den Block, | |
durch die Wärme ihrer Finger oder Handflächen schmelzen sie die | |
Sicherheitsnadeln frei, eine nach der anderen. Es plätschert leise zu „Uçun | |
kuşlar“, gesungen von Ahmet Kaya. Türkische Worte in Dauerschleife füllen | |
den Raum mit Melancholie. | |
Ist eine Sicherheitsnadel befreit, kann Wahshi Kuhi, barfuß im | |
Schmelzwasser stehend, damit ein weiteres Porträt an die Kordel hängen. | |
Quer durch den Raum ist sie gespannt – und am Ende der achtstündigen | |
Performance am Dienstag im Savvy Contemporary voller Bilder. Sie alle | |
zeigen einen jungen Mann in weißem Hemd. Sie alle zeigen Burak Bektaş. | |
Burak Bektaş wurde am 5. April 2012 in Neukölln erschossen. Ein halbes Jahr | |
nach der Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen | |
Untergrunds“ (NSU) deuten auch in dem Fall des 22-jährigen Berliners, | |
dessen Eltern aus der Türkei nach Deutschland kamen, alle Zeichen auf einen | |
rassistisch motivierten Mord. Sechs Jahre nach seinem Tod sind noch immer | |
keine Täter*innen gefasst. Seine Familie aber kämpft weiter für Aufklärung, | |
unterstützt von der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak | |
Bektaş. Auch Wahshi Kuhi engagiert sich in der Initiative. | |
Bei Burak gehe es nicht nur um einen unaufgeklärten Fall: „Der Staat will | |
nicht, dass der Mord aufgeklärt wird“, sagt Kuhi. Seine Performance | |
„Tribunal – A Matter Of Emotion (No Echo In Front Of My Shout)“ ermöglic… | |
die Trauer um Burak und auch Solidarität körperlich erleben zu können. Das | |
Eis, das Schmelzen, die Nadeln: ein Kreislauf, der aufgeht – solange | |
Einzelne mitmachen. „Da sein, wo es wichtig ist – körperlich und | |
emotional“, das unterscheide seine Performance von der Realität. | |
1979 im kurdischen Nordwesten des Iran geboren, sind Migration und seine | |
eigene Fluchterfahrung zentrale Themen der Arbeiten von Wahshi Kuhi. In der | |
Diskussion, die am Dienstag nach Ende der Performance folgt, geht es um die | |
politische Kraft von Kunst und darum, welche Geschichten im hegemonialen | |
Kultur-Mainstream Platz finden. „Das Savvy ist ein geschützter Raum“, auch | |
für sensible Themen. „Tribunal – A Matter of Emotion“ ist in enger | |
Zusammenarbeit mit Nathali Anguezomo Mba Bikoro, Kuratorin des Kunstraums | |
im Wedding, entstanden. In den großen Häusern jedoch habe Kuhi Angst, | |
Betroffene wären nicht vor rassistischen Konfrontationen geschützt. | |
Wie nah sich Kuhi an Buraks Geschichte herangearbeitet hat, verdeutlichen | |
die Bilder, die hinter dem Eisblock an die Wand projiziert werden. Eines | |
davon zeigt Burak mit dem Symbol für den Kampf um die Aufklärung seines | |
Mordes: einem roten Käppi. Während der Performance trägt Kuhi dieses und | |
auch den Pullover, den Burak auf dem Bild trägt. Am Dienstag durfte der | |
Künstler zu Burak werden. „Das Projekt ist vor allem ein Vertrauensbeweis | |
von Melek Bektaş“, sagt Kuhi. | |
Die Mutter des ermordeten Burak steht Winter für Winter auf | |
Weihnachtsmärkten und verkauft Suppe, um Geld für die Initiative zu sammeln | |
– und den Tod ihres Sohnes unvergessen zu machen. Seit Buraks Tod höre sie | |
keine Musik mehr. Dass Kuhi Ahmet Kaya zum Teil seiner Performance machte, | |
ist kein Zufall – er sei einer der Lieblingssänger von Melek Bektaş. „Ich | |
will, dass sie wieder Musik hören kann – das ist mein Ziel.“ | |
28 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Natalia Bronny | |
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