# taz.de -- nord🐾thema: Und am Beet rattert die S-Bahn vorbei | |
> Der Hamburger Lehrer Stefan Behr setzt sich an der Grundschule | |
> Sternschanze für Stadtkinder ein, die kaum noch einen Bezug zur Natur | |
> haben | |
Von Sebastian Grundke | |
Stefan Behr hantiert mit zwei Schlauchenden und flucht. Wasser spritzt auf | |
den Gehweg vor dem Eingang der Grundschule Sternschanze. Irgendjemand hat | |
den Hahn offen gelassen. Behr bräuchte einen Vierkantschlüssel, um ihn | |
abzudrehen. Der Schlauch hat sich an einer Verbindungsstelle von der | |
Verlängerung gelöst. Behr versucht, das Ganze wieder zusammenzustecken. | |
Doch es klappt nicht. Schließlich zückt er sein Handy und schreit hinein. | |
Er ist jetzt richtig ärgerlich. Kurz darauf kommt der Hausmeister, dreht | |
das Wasser ab und steckt den Schlauch wieder zusammen. | |
„Ich wäre auch ein guter Ökoterrorist geworden“, sagt Behr, im Schatten a… | |
einem Baumstumpf sitzend. Er blickt auf eine Handvoll grüner Gießkannen und | |
den nassen Gehweg. Die Pflanzen auf dem Schulhof brauchen Wasser. Das | |
Gießen an diesem heißen Junitag hat nicht gereicht. Denn der trockene Boden | |
nimmt das Wasser kaum auf. Stefan Behr wünscht sich Regen. | |
## Kräuter statt Unkraut | |
Der 51-Jährige hat Geschichte und Deutsch auf Lehramt studiert. Seit | |
fünfzehn Jahren arbeitet er als Klassenlehrer an der Grundschule | |
Sternschanze. Früher war der gebürtige Hamburger Mitglied bei den Grünen, | |
im Ortsverband Henstedt-Ulzburg. 1999 trat er aus. Er kann nicht genau | |
sagen, weshalb. Mit dem Kosovo-Krieg hatte es nichts zu tun, betont er. Er | |
sei ein Realo gewesen, wenn auch in der Friedensbewegung aktiv. Nun setzt | |
er sich als Lehrer für Umweltbelange ein. | |
Den Hof seiner Schule hat er neu bepflanzt. Dort wachsen jetzt Kräuter und | |
Glockenblumen. Mehr als ein halbes Dutzend Beete hat er angelegt, teilweise | |
mit Hilfe der Kinder. Eine Hecke wächst jetzt dort, wo zuvor ein Zaun | |
stand. Bevor Behr das Projekt ins Leben rief, wuchs rund um das | |
Schulgebäude fast nur Unkraut. | |
## Natur nur auf Ausflügen | |
Die Pflanzen in der Grundschule Sternschanze sind auf nährstoffarmen Boden | |
gesetzt. Das ist ein Grundsatz der Naturgärtnerei, einer Art | |
Öko-Garten-Philosophie. Behr ist in dem entsprechenden Verein Mitglied. In | |
einem Schrebergarten im Stadtteil Stellingen gärtnert er selbst. | |
Dadurch kam ihm nach und nach die Idee für sein Beeteprojekt. „Es sind hier | |
halt alles Stadtkinder, die keinen Bezug mehr zu Pflanzen und Tieren | |
haben“, sagt er. Oft würden die Kinder die Natur nur auf Ausflügen erleben. | |
„Doch gerade bildungsferne Eltern machen selten Ausflüge“, sagt Behr. | |
550 Schüler hat seine Schule insgesamt. Das Hauptgebäude liegt versteckt in | |
einem Hinterhof an der Schanzenstraße, nahe dem S-Bahnhof. An der Südseite | |
des Schulhofes rattert die Bahn vorbei. Die Schule ist eine Kess-2-Schule. | |
Die Kinder hier sind schwierig zu unterrichten, weil ihre Eltern oft arm | |
und ungebildet sind. Das hat auch Vorteile: Behr hat deshalb pro Klasse | |
weniger als zwanzig Schüler. | |
Für das Schulgarten-Projekt fragte Behr die Kinder, was sie sich auf dem | |
Schulhof anders wünschten. Das Ergebnis: mehr Blumen und mehr Tiere. Er | |
holte sich professionelle Hilfe von Landschaftsgärtnern und stimmte sich | |
mit der Schulbehörde ab. Vor allem sammelte er Geld für Erde und Saatgut. | |
15.000 Euro organisierte er. Die Kinder halfen dabei. | |
Bei einem Spendenlauf konnten Erwachsene für jede von einem Schulkind | |
gelaufene Runde Geld spenden. Auch der Schulverein, also die Eltern, gaben | |
Geld. Behr hält inzwischen auf Lehrerfortbildungen Vorträge darüber, wie | |
sich Schulhöfe begrünen lassen. Aus seiner Idee ist ein Vorzeigeprojekt | |
geworden. | |
## Nicht alle ziehen mit | |
Behr geht von Beet zu Beet und erklärt die Pflanzen. In diesem Jahr blüht | |
alles zum ersten Mal. Stolz zeigt er die Lavendelpflanzen, auf die die | |
Nachmittagssonne scheint. Manche Beete haben kleine Zäune aus Holz. Auf | |
einem davon, am anderen Ende des Schulhofes, balanciert ein Schüler. | |
Behr ruft den Namen des Schülers über den Hof. Als dieser aufschaut, | |
schreit Behr: „Runter da, das ärgert mich!“ Das Kind hüpft vom Zaun. Die | |
Schüler dürfen nicht durch die Beete laufen oder in ihnen spielen. Über | |
einem der Minigärten ist auch ein Netz gespannt. Es liegt direkt neben dem | |
Fußballfeld. | |
Nicht jeder findet Behrs Projekt gut. Neulich bekam er eine E-Mail von | |
einer Mutter, erzählt er. Sie warf ihm vor, aus dem Schulhof einen Park zu | |
machen. Und auch im Kollegium ziehen nicht alle mit: Seine Schule hat in | |
diesem Jahr einen Umwelt-Preis gewonnen, den mit 2.500 Euro dotierten | |
„Hamburger Energiesparmeister“. | |
Um in die nächste Runde zu kommen und den Bundespreis zu gewinnen, hätte es | |
ein erfolgreiches Online-Voting gebraucht. Behr war das zu kompliziert. Er | |
schlug deshalb vor, dass sich jemand aus dem Kollegium darum kümmert. An | |
dem Voting nahm die Schule dann gar nicht erst teil. | |
## Es gibt was zu entdecken | |
Behr findet, sein Projekt sei ein voller Erfolg. Die Kinder haben jetzt | |
wieder mehr Bezug zur Natur. Behr hat sie auch dem Schulhof beobachtet: Sie | |
beginnen sich für die Tiere und Pflanzen zu interessieren. Manche sammeln | |
Steine aus den Beeten und benutzten sie wie Kreide oder spielen hinter der | |
Hecke verstecken. | |
Behr zieht wieder sein Handy hervor und zeigt auf das Display. „Letztens | |
haben zwei Kinder mich gerufen: Sie hätten etwas entdeckt“, sagt er. Er hat | |
davon dann ein Foto geschossen. Darauf sind zwei Hornissen zu sehen, die | |
sich gerade paaren. | |
Am Samstag um 11 Uhr weiht Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) ein | |
Insektenhotel auf dem Natur-Erlebnis-Schulhof ein | |
16 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Grundke | |
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