# taz.de -- Zwischen Hupen und Heulen | |
> Während Erdoğan-AnhängerInnen nach den türkischen Parlaments- und | |
> Präsidentschaftswahlen Korso fahren, hoffen Sympathisant*innen der | |
> Opposition vergeblich, dass sich am Wahlergebnis noch etwas ändert | |
Bild: Für die einen ist der Wahlausgang Grund, zu feiern … | |
Von Serdar Arslan | |
Es wird dunkel in Berlin, der Mond langsam sichtbar. Erdoğan-AnhängerInnen | |
fahren hupend durch Neukölln und schwenken aus den Seitenfenstern die Fahne | |
mit dem türkischen Halbmond. Immer wieder steuern sie den zentralen | |
Hermannplatz an und drehen ihre Kreise. Dutzende Autos haben sich hier | |
versammelt, ständig versuchen sie, sich mit ihrem Lautstärkepegel | |
gegenseitig zu übertrumpfen. Auch Polizeiautos fahren hier in regelmäßigen | |
Abständen entlang, um darauf zu achten, dass die Situation nicht eskaliert. | |
Auf den Straßen stehen Unbeteiligte und beobachten das Geschehen mit einem | |
Fragezeichen im Gesicht. Manche denken, dass hier die Kolumbianer ihren | |
WM-Erfolg über Polen zelebrieren. Die türkische Wahlkampfmusik und die | |
Fahnen machen aber schnell klar, dass hier einzig und allein der Erfolg des | |
Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Mittelpunkt steht. | |
Zu diesem Zeitpunkt ist bei der sozialdemokratischen CHP-Wahlparty, etwa | |
hundert Meter weiter entfernt im Restaurant Alte Welt, bereits Ernüchterung | |
eingekehrt. Den ganzen Abend lang hatte man versucht, sich an diesem kalten | |
Junitag mit Schlachtrufen zu motivieren, während man gespannt die | |
Auszählung in der Türkei beobachtete. Die von der staatlichen | |
Nachrichtenagentur AA verkündeten Zahlen sorgten allerdings für | |
Betroffenheit und Wut. Und am Sonntagabend gegen 24 Uhr, als das Ergebnis | |
bereits zu 98 Prozent feststeht, suchen die CHP-Anhänger*innen nach Worten, | |
um den für sie verheerende Wahlausgang zu erklären. | |
Auch Kenan Kolat, SPD-Mitglied und CHP-Kandidat in Istanbul, der den ganzen | |
Abend lang bemüht war, seine AnhängerInnen zu motivieren, ist ernüchtert. | |
Er wird aber nicht müde, den Urnengang in der Türkei zu kritisieren. Noch | |
bevor ihm eine Frage gestellt wird, erklärt er: „In einer Demokratie | |
erwartet man, dass bestimmte Regeln eingehalten werden.“ Damit bezieht er | |
sich auf die staatliche Nachrichtenagentur AA. Diese habe die Rolle des | |
Hohen Wahlausschusses korrumpiert, indem sie bereits früh am Abend | |
massenhaft Ergebnisse herausgegeben habe, die der Wahlausschuss noch nicht | |
bestätigen konnte. | |
Aber auch das tröstet bei der CHP in Berlin niemanden mehr. Fest steht, | |
dass Erdoğan auch nach Auszählung der Ergebnisse durch die Plattform | |
Gerechte Wahlen als Sieger mit einer absoluten Mehrheit aus den Wahlen | |
hervorgeht. Viele CHP-Sympathisant*innen erhoffen sich jetzt eine Reaktion | |
und erklären, Erdoğan habe betrogen. So weit will Kolat nicht gehen. | |
Dennoch betont er, „dass man noch nicht wisse, wie man mit dem Wahlergebnis | |
umgeht“. Wichtig sei jetzt, die endgültigen Ergebnisse abzuwarten, um sie | |
anschließend bewerten und überprüfen zu können im Hinblick darauf, ob es | |
Unstimmigkeiten zwischen der offiziellen Auszählung und der Auswertung der | |
Wahlbeobachter gebe. | |
Deutlichere Worte als Kolat findet Rezan Aksoy, Sprecher der prokurdischen | |
HDP in Berlin. „Das Ergebnis mag mathematisch korrekt sein“, erklärt er. | |
„Allerdings können wir nicht von einem fairen Wahlkampf in der Türkei | |
sprechen. Es reicht eben nicht, wählen zu gehen und die Stimmen | |
anschließend auszuzählen. Das ist keine Demokratie.“ | |
Auch bei der HDP, die sich etwas weiter, am Kottbusser Tor zur Wahlparty | |
getroffen hat, kommt das Wahlergebnis nicht gut an. Ihr Kandidat Selahattin | |
Demirtaş, seit November 2016 im Gefängnis, kommt nur auf 8,4 Prozent der | |
Stimmen. Zwischen HDP-Fahnen sitzen SympathisantInnen der Partei und | |
beobachten ebenso gespannt die Auszählung. | |
Ein Trost für die HDP ist allerdings, dass sie es wieder über die | |
10-Prozent-Hürde ins türkische Parlament geschafft hat. Das löst auch hier | |
in Berlin kurzzeitig großen Jubel aus, Demirtaş-Fans stehen auf und tanzen | |
ungehemmt. „Trotz der Tatsache, dass viele unserer Abgeordneten und unser | |
Spitzenkandidat im Gefängnis sitzen, haben wir es geschafft, auch im | |
nächsten Parlament vertreten zu sein“, erklärt deshalb Aksoy. Das mache | |
der Partei Hoffnung, auch „wenn uns schlimme Tage erwarten“. | |
Im türkischen Konsulat in Berlin waren Türken aus Berlin, Brandenburg, | |
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen vom 7. bis zum 19. Juni zur Wahl | |
aufgerufen – insgesamt waren 139.000 Personen wahlberechtigt. | |
Schätzungsweise nur 50 Prozent von ihnen ging zur Wahl. Davon stimmten in | |
Berlin 47 Prozent für den Amtsinhaber und 36 Prozent für Herausforderer | |
Ince. Bundesweit erreichte Erdoğan sogar 60 Prozent Zustimmung. | |
Ob die geringe Wahlbeteiligung ein Grund für das starke Abschneiden | |
Erdoğans ist? Auch da ist sich Kolat noch unsicher. „Wir haben im Vorhinein | |
stark mobilisiert und die Leute mit Bussen zur Wahlurne gefahren“, erklärt | |
er. „Im Moment wissen wir nicht, woran es gelegen hat.“ | |
Aksoy betont, dass es eine große Gruppe von Menschen in der Hauptstadt | |
gebe, die man leider nicht erreiche. „Ich vermute, dass sie tendenziell | |
eher linke Parteien wählen würden. Gerade deshalb ist es wichtig, | |
herauszufinden, warum sie nicht wählen gehen.“ | |
Vor allem eines wird in diesen Abendstunden in Berlin deutlich. Auch die | |
Opposition im Ausland ist ratlos, wie sie mit dem Wahlergebnis umgehen | |
soll. Während Kolat mit einem kalten Bier in der Hand vor dem Eingang der | |
Alten Welt steht, viele Hände schüttelt und die CHP-Anhänger*innen | |
verabschiedet, ziehen noch immer hupend die Autos über den Hermannplatz. | |
„Ich wünschte nur“, sagt er, während er einen tiefen Schluck aus der | |
Flasche nimmt, „dass die Menschen endlich darüber nachdenken würden, was | |
sie mit ihrer Stimme für Erdoğan bezwecken.“ | |
Es ist nicht so sehr die Traurigkeit, die aus ihm spricht, als | |
Verzweiflung. Und mehr bleibt der Opposition in Berlin bei diesem | |
Wahlausgang im Moment gar nicht übrig. Große Ratlosigkeit, ein kühles Bier | |
und vielleicht noch ein warmer Händedruck. Und der unbedingte Wille, | |
weiterzukämpfen. | |
26 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Serdar Arslan | |
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