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# taz.de -- Gesellschaft verhandeln
> Israel ist für den Soziologen Natan Sznaider ein interessanter Testfall –
> es ist religiös und säkular und verbindet Ethnizität mit Universalismus
Von Kevin Zdiara
Das deutsche Bild von Israel ist bestimmt von Soldaten und ultraorthodoxen
Juden. Automatisch wird das kleine Land im Nahen Osten dadurch mit Krieg
und religiösem Fanatismus assoziiert. Die soziale Wirklichkeit, real
existierende Grautöne sowie die gesellschaftliche Diversität und
Komplexität Israels stören in solchen Darstellungen, denn sie passen nicht
in eine Schlagzeile. Doch auch im siebzigsten Jahr seines Bestehens
befindet sich Israel auf der Suche nach seiner Identität. Was heißt es,
jüdisch und demokratisch zu sein, wenn rund ein Viertel der Gesellschaft
nichtjüdisch ist?
Der in Mannheim geborene israelische Publizist und Soziologe Natan Sznaider
legt einen Band vor, der sich genau mit diesen Aspekten beschäftigt. In
zehn Kapiteln widmet er sich einzelnen sozialen Facetten und historischen
Ereignissen Israels, bietet einen Einblick in die im Land existierenden
Gesellschaften und zeigt die damit einhergehenden Konfliktlinien auf.
Für Sznaider ist Israel ein interessanter soziologischer Testfall, weil es
gleichzeitig moderne und traditionelle Gesellschaft ist, religiös und
säkular, Ethnizität mit Universalismus verbindet und sich immer noch im
Kriegszustand befindet. Hieraus entstehen Verhandlungsprozesse in den
israelischen Gesellschaften, bei denen es um das israelische
Selbstverständnis geht, so Sznaider. Seiner Meinung nach könnte Israel
aber gerade damit für europäische Staaten zum Vorbild werden, weil
Auseinandersetzungen zwischen partikularistischen und universalistischen
Ansprüchen sowie Fragen der Identität zukünftig auch hier drängender werden
und Israel dabei als ein durchaus erfolgreiches Modell gelten kann. „Nicht
der Konflikt ist überraschend, sondern die Stabilität. Sie ist möglich,
weil die Gesellschaften in Israel ständig gezwungen sind, ihre radikalen
Differenzen über das gute und richtige eben miteinander zu verhandeln“,
schreibt Sznaider.
Diese Verhandlungsprozesse analysiert er scharfsinnig und erfrischend
unorthodox. Er spannt dabei den Bogen von Hannah Arendt und dem
Eichmann-Prozess über die queere Sängerin Dana International bis zum
israelischen Gegenwartskino. Aber gerade auch im Kapitel über die
Geschichte des arabischen Orts Kafr Qasim und den arabisch-israelischen
Fußballstar Walid Badir zeigt Sznaider, wie schwierig, komplex und
geschichtsbeladen diese Prozesse sein können. Sznaider nähert sich den
unterschiedlichen Gruppen über individuelle Beispiele und nimmt so den
Leser stets mit auf seine soziologische Reise. Er bietet dem deutschen
Leser damit einen sehr umfassenden Einblick in die israelischen
Gesellschaften und erweitert dadurch das hierzulande sehr eingeschränkte
Bild des kleinen Landes.
Doch nicht nur die Beschreibung dieser einzelnen für sich spannende Teile
des israelischen Mosaiks macht das Buch lesenswert. Es ist vor allem
Sznaiders Fähigkeit, diese Erkenntnisse sprachgewandt umzusetzen, die die
Lektüre auch für Nichtsoziologen zu einem Gewinn macht.
Ob das Experiment Israel gelingt, kann Sznaider nicht versprechen, aber
sein Buch macht Hoffnung.
23 Jun 2018
## AUTOREN
Kevin Zdiara
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