# taz.de -- Tief prägende Erfahrungen | |
> Das Ohnsorg-Theater bringt mit „Ankamen – an(ge)kommen“ Geschichten zum | |
> Thema Flucht auf die Bühne. Dass dabei vor allem Deutsche erzählen, ist | |
> schade | |
Bild: Das Ensemble an jenem Ort, an dem 2015 so viele Geflüchtete ankamen: der… | |
Von Hanna Klimpe | |
Es ist ein Ort des Ankommens, der vielen im Gedächtnis bleiben wird: Direkt | |
vorm Ohnsorg-Theater im Bieberhaus standen ab dem Sommer 2015 die Zelte, in | |
denen Tausende Geflüchtete notdürftig versorgt wurden. „Ankamen – | |
an(ge)kommen“ heißt nun das Theaterstück, für das [1][Regisseur Michael | |
Uhl] und die Ohnsorg-Dramaturgin Cornelia Ehlers zehn Menschen über einen | |
Zeitraum von zwei Jahren zu ihren Fluchterfahrungen befragt haben: Drei | |
junge Geflüchtete aus Eritrea und Afghanistan sind darunter, vor allem aber | |
sieben Deutsche, die als Kinder noch den Zweiten Weltkrieg erlebt haben. | |
Nun erzählen sie im Studio des Ohnsorg-Theaters ihre Geschichten: der | |
Dithmarscher Harmut Klingbeutel, der Wolgadeutsche Gottlieb Krune, die | |
beiden Oberschlesier*innen Brigitte Werner sowie Rosemarie und Werner | |
Kwiatkowski, die Ostpreußin Christel Neumann sowie die gebürtige | |
Hamburgerin Gisela Prüß. Dazu werden per Video die Eritreerin Bana Araya | |
und die beiden Afghanen Mojtaba Mohammadi und Rafi Nazari eingespielt. | |
Aber all das beginnt damit, dass die Väter 1939 in den Krieg müssen: Davor | |
haben die in den späten 1930er-Jahre geborenen Protagonist*innen das | |
Nazi-Regime in seinen Dimensionen kaum realisiert. Da verschwand | |
gelegentlich ein Junge mit geistiger Behinderung oder jüdische Familien, | |
ohne dass groß darüber geredet wurde. | |
Die Inszenierung konzentriert sich dann auf die Erfahrungen von Flucht und | |
Neuanfang. Die aufwendige Recherche und die langen Gespräche von Uhl und | |
Ehlers mit ihren Darsteller*innen machen sich in der Inszenierung positiv | |
bemerkbar: Der Text ist auf eine Stunde klug verdichtet, das Vertrauen der | |
Protagonist*innen in den Regisseur ist deutlich spürbar an der | |
Detailliertheit des Erzählten. | |
Denn Laien auf die Bühne zu holen, ist eine heikle Angelegenheit. In diesem | |
Fall gewinnt die Inszenierung aber dadurch, man merkt, wie tief das | |
Erzählte die Protagonist*innen geprägt hat – und wie dringlich es ist ihnen | |
ist, ihre Geschichten zu erzählen. Das eingemachte Gänsefleisch, das noch | |
warm war von der Bombenglut in Königsberg; die Verwandten, die nachts | |
heimlich fliehen und die Mutter mit sechs Kinder allein zurücklassen: All | |
das vermittelt einen eindringlichen Eindruck davon, was Flucht für einen | |
Menschen bedeuten mag. | |
Und auch das Ankommen war alles andere als einfach: Für die Eingesessenen | |
waren die Ostpreußen und Schlesier keine Deutschen, sondern Polen oder | |
Russen – Flüchtlinge eben, die kein Plattdeutsch sprachen, Holunderblüten | |
viel zu früh ernteten und auch sonst zusätzliche Konkurrenz im Kampf um | |
Nahrungsmittel waren, die man nicht gebrauchen konnte. Irgendwie ruckelte | |
sich dann aber doch alles zurecht – zur Not mit Hilfe von Peter | |
Kraus’„Sugar Sugar Baby“. | |
Nüchtern wird all das vortragen, sodass die Inszenierung nie ins | |
Pathetische abrutscht. Die Fluchtwege werden mit Klebeband markiert – neben | |
dem Fernseher, auf dem Szenen aus dem Herbst 2015 und Interviews mit den | |
Protagonist*innen eingespielt werden, das einzige Bühnenutensil | |
(Ausstattung: Yvonne Marcour). | |
Die Geschichten der sieben mittlerweile über 80-Jährigen jedenfalls sind | |
tief beeindruckend. Irritierend ist es hingegen, dass die drei jungen | |
Geflüchteten am Ende überhaupt auf die Bühne geholt werden, nur um sich | |
noch einmal vorzustellen. Die gesamte Inszenierung über spielten ihre | |
Geschichten nämlich praktisch keine Rolle. Es hätte auch gar keine | |
Protagonist*innen aus der aktuellen Flüchtlingsbewegung gebraucht, damit | |
der Bezug zur heutigen Lage deutlich wird. | |
Denn gerade durch die Konzentration auf die Nachkriegskinder werden | |
automatisch Fragen aufgeworfen: Ist es einfacher, Empathie zu entwickeln, | |
wenn die Geschichten die der eigenen Eltern und Großeltern sind? Wie kommt | |
es, dass es diese Generation geschafft hat anzukommen – vielleicht weil man | |
ihnen einfach eine Chance gegeben hat, „gleichzuziehen“ mit den | |
Einheimischen? Waren die kulturellen Unterschiede nach damaligen Maßstäben, | |
ohne Fernreisen und Internet, für alle Beteiligten nicht ähnlich groß wie | |
heute die zwischen Deutschen und Syrern? | |
So aber setzt sich die Inszenierung ganz unnötig dem Vorwurf aus, nur den | |
Europäer*innen Redezeit in der Fluchtdebatte gegeben zu haben – was schade | |
ist. Denn eigentlich würde man dieser berührenden Inszenierung wünschen, | |
dass dort nicht nur ein interkulturelles, sondern auch | |
generationenübergreifendes Publikum ins Gespräch darüber kommt, dass das | |
Thema Flucht nicht nur etwas mit den jeweils anderen zu tun hat. | |
Ein weiterer, gelungener Baustein für das Ohnsorg-Theater, sein [2][Image | |
als Plattdeutsch-Komödientheater aufzupolieren] und zu fragen, wie modernes | |
regionales Theater ohne Heimatkitsch aussehen kann, ist „Ankamen – | |
an(ge)kommen“ aber dennoch. | |
Sa/So, 23./24. 6. sowie Do, 28. 6., und Sa, 30. 6., 19 Uhr, Ohnsorg-Theater | |
(Studio) | |
23 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Hanna Klimpe | |
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