# taz.de -- petition der woche: Willi braucht eine Gebärdensprachdolmetscherin | |
Willi Stenzel aus Dresden wächst bilingual auf. Je nach Situation nutzt er | |
entweder die deutsche Lautsprache oder die deutsche Gebärdensprache. Das | |
ist allerdings keine Selbstverständlichkeit, sondern der Ausdauer seiner | |
Eltern zu verdanken. Immer wieder stellten sie Anträge beim Sozialamt und | |
zogen vor Gericht, wenn diese abgelehnt wurden. So erstritten sie sich | |
einen Gebärdensprachkurs zu Hause und einen Gebärdensprachdolmetscher für | |
den Morgenkreis in der Kita. | |
Damit Gebärdensprache im Bildungswesen präsenter und insgesamt leichter | |
verfügbar wird, hat Willis Mutter, Magdalena Stenzel, eine Petition auf der | |
Plattform OpenPetition gestartet. | |
Sie trägt den Titel „Gebärdensprache umsetzen! Bilingual – Bimodal – | |
Endlich Normal!“ und hatte bei Redaktionsschluss mehr als 10.360 | |
Unterschriften. Stenzel fordert darin die Landtage der Bundesländer und den | |
Deutschen Bundestag auf, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. | |
Darin geht es auch um das Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderung. | |
Die Vertragsstaaten sollen unter anderem ermöglichen, dass gehörlose Kinder | |
leichter Gebärdensprache lernen können und Lehrkräfte mit entsprechender | |
Ausbildung einstellen. | |
Die Realität ist in Deutschland weit davon entfernt. Eltern von | |
hörbeeinträchtigten Kindern müssen oft um Gebärdensprache in der Bildung | |
kämpfen. „Die Gehörgeschädigtenpädagogik in Deutschland ist seit über 140 | |
Jahren auf Hören und Sprechen ausgelegt“, sagt Magdalena Stenzel. Sie | |
findet, dass sie einseitig zu Fördermöglichkeiten für ihren Sohn beraten | |
worden sei. Gebärdensprache sei überhaupt kein Thema gewesen, erzählt sie, | |
einzelne Fachleute hätten ihr sogar davon abgeraten. | |
Willi wurde taub geboren. Mit einem Jahr bekam er ein sogenanntes | |
Cochlea-Implantat eingesetzt. Das ist eine Hörprothese, die Schall in | |
elektrische Signale umwandelt und an den Hörnerv weiterleitet. Damit kann | |
Willi zwar Geräusche wahrnehmen, doch er versteht längst nicht alles, was | |
gesagt wird. Missverständnisse gehören zum Alltag der Familie. Zum Beispiel | |
sagt Willis Mutter, als sie unterwegs zu Freunden sind: „Vielleicht werden | |
wir Feuer machen“ und Willi fragt überrascht: „Warum werden wir | |
übernachten?“ Für ihn klingt Medizin genauso wie Petersilie und Vogel wie | |
Popel. Da hilft die Gebärdensprache, Klarheit zu schaffen. Neue Inhalte | |
kann Willi sich gut übers Sehen erschließen. Wenn es dann um Feinheiten bei | |
der Aussprache geht, hilft das Fingeralphabet. Damit kann Magdalena Stenzel | |
ihrem Sohn Buchstabe für Buchstabe vermitteln, dass es „benutzen“ und nicht | |
„belützen“ heißt. | |
Im August kommt Willi in die Schule. Seine Mutter setzt sich dafür ein, | |
dass eine Gebärdensprachdolmetscherin den Unterricht begleitet. Mit seinem | |
Implantat kann Willi zwar hören, doch nur die Gebärdensprache ermöglicht | |
ihm eine volle Teilhabe. | |
Mit der Petition soll die Gebärdensprache nun auch Thema in der Politik | |
werden. Die Möglichkeit zum Gebärdenspracherwerb und | |
Gebärdensprachpädagogen auf allen Ebenen des Bildungssystems sind ihre | |
Kernforderung. Es soll nicht mehr dem Zufall überlassen bleiben, ob ein | |
Kind die Möglichkeit hat, Gebärdensprache zu lernen. | |
Noch bis November kann die Petition unterzeichnet werden. Dann reichen | |
Magdalena Stenzel und ihre Mitstreiter sie im Bundestag und in den | |
Landtagen ein, um die politische Diskussion anzustoßen. Johanna Kleibl | |
16 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Johanna Kleibl | |
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