# taz.de -- stadtprotokoll: „Ich habe mich oft für die Westdeutschen geschä… | |
„Ich bin im Herbst 1998 nach Leipzig gekommen. Damals war im Osten alles in | |
Bewegung und diese Dynamik war in Leipzig besonders spürbar. | |
Ich wurde mit offenen Armen empfangen. Vielleicht, weil ich nicht | |
hergekommen bin, um den Menschen irgendwelchen Schrott zu verkaufen. Als | |
Künstler habe ich selber von der Hand in den Mund gelebt. | |
Ich habe mich immer für die Westdeutschen geschämt, die hier einen solchen | |
Reibach gemacht haben. Die entscheidenden Posten in Wirtschaft und Politik | |
wurden mit Leuten aus dem Westen besetzt. Der erste Bürgermeister kam aus | |
Hannover. Die traten alle mit der Attitüde auf: „Wir erklären euch jetzt | |
mal, wie das funktioniert.“ | |
Die Stadt hätte aus sich heraus viel spannender werden können als durch die | |
massiven Eingriffe mit der Kohle westdeutscher Investoren. Kohle | |
verhindert, dass sich zarte Pflänzchen, die für die Entwicklung einer | |
Stadt, für ihre Wahrhaftigkeit, wichtig wären, richtig entfalten können. | |
Das hätte man anders machen und den Menschen die Chance auf eine | |
eigenständige Entwicklung lassen müssen. | |
Was damals schiefgelaufen ist, zeigt sich heute an Phänomenen wie der AfD. | |
Ich verstehe, dass sich hier Frust aufgebaut hat und dieser Frust braucht | |
einen Kanal, muss irgendwo hin. Das Absurde ist nur, dass die Leute von der | |
AfD mehrheitlich ja auch wieder Wessis sind. | |
Was ich dagegen nicht nachvollziehen kann, ist, warum hier immer alle | |
sagen: „Wir waren so solidarisch.“ Ich kenne diese Art von „Solidarität�… | |
Mein Vater stammt aus Kroatien und ich habe als kleines Kind noch das | |
Jugoslawien Titos erlebt. Das Haus, das sich meine Eltern damals dort | |
gebaut haben, entstand mit der Hilfe von Freunden und Familie. | |
Diese Gemeinschaft gab es im Osten auch, aber sie war von außen erzwungen, | |
entstand aus der Not heraus. Heute ist nichts mehr davon übrig. | |
Als Westdeutscher in Leipzig zu leben, ist letztlich wie eine Urlaubsreise | |
nach Griechenland. Am Ende quatscht man mit den anderen Urlaubern, statt | |
sich mit den Leuten vor Ort anzufreunden. | |
Ich bin 1971 geboren, in meiner Generation sind die Unterschiede noch sehr | |
präsent. Die Menschen sind hier einfach anders sozialisiert worden. | |
Besonders unter den Älteren gibt es so eine Anspruchshaltung dem Staat | |
gegenüber, die ich nicht teile. Da gibt es dann ein paar Schnittmengen, | |
aber eben nicht unendlich viele. | |
Ich werde angenommen, bin akzeptiert. Und dennoch bleibe ich immer ein | |
bisschen außen vor.“ | |
Aufgezeichnet von Nadja Mitzkat | |
15 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Nadja Mitzkat | |
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