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# taz.de -- Dass ich nicht lache!
> Ironisch dem Erzähler gegenüber, ernst in der humanistischen Sache und
> streckenweise großer Slapstick: Thomas Manns Roman-Tetralogie „Joseph und
> seine Brüder“ ist jetzt als Band 7 und 8 im Rahmen der Großen
> Kommentierten Frankfurter Ausgabe erschienen
Bild: Thomas Mann im Garten seines Anwesens in Kalifornien, Pacific Palisades, …
Von Tobias Schwartz
Die Idee stammt von Goethe. In „Dichtung und Wahrheit“ berichtet der
Weimarer Dichterfürst, dass er einmal an dem Versuch gescheitert sei, „die
Geschichte Josephs zu bearbeiten“. Das tat dann Thomas Mann, der die
Autobiografie seines Idols genauestens kannte. „Höchst anmuthig ist diese
natürliche Erzählung“, heißt es darin, „nur erscheint sie zu kurz, und m…
fühlt sich berufen, sie in’s Einzelne auszumahlen.“
Auch Thomas Mann fühlte sich berufen. Und wie. Er „malte“ die
verhältnismäßig knappe biblische Erzählung, die im Alten Testament am Ende
des 1. Buchs Mose steht und einen Übergang von den Vätergeschichten
Abrahams, Isaaks und Jaakobs zum Exodus-Buch markiert, zu einer
monumentalen Roman-Tetralogie von insgesamt rund 2.000 Seiten Umfang aus.
Dabei ist die Handlung schnell umrissen: Joseph, der Sohn Jaakobs und
Rahels, wird von seinen Brüdern verkauft, avanciert später zum Traumdeuter
und „Wirtschaftsminister“ des Pharao und holt den Stamm Israel aus Kanaan
nach Ägypten. Nach ziemlich genau der Hälfte der Mann’schen Tetralogie –
Joseph ist da längst im Land am Nil angekommen – finden sich folgende
Worte: „Offen gestanden, erschrecken wir vor der abkürzenden Kargheit einer
Berichterstattung, welche der bitteren Minuziosität des Lebens so wenig
gerecht wird wie die unsere Unterlage, und haben selten lebhafter das
Unrecht empfunden, welches Abstutzung und Lakonismus der Wahrheit zufügen,
als an dieser Stelle.“ So viel zum Thema Weitschweifigkeit.
Ironie und Humor gehören bekanntlich zu den großen Markenzeichen Thomas
Manns, auch deren Kombination mit Pathos. In „Joseph und seine Brüder“ –
die Tetralogie enthält sogar zahlreiche echte Slapstick-Szenen – äußert
sich der ironische Humor von vornherein in der Haltung des reflektierenden
Erzählers, der sich als Kenner aller Quellen und Überlieferungen ausweist
und beansprucht, allein im Besitz der den Mythos betreffenden „Wahrheit“ zu
sein. „Endgültig richtiggestellt“ seien die Geschichten nun. „In Wahrhei…
verhielten sich die geschilderten Begebenheiten exakt wie hier, also im
Roman, dargestellt, heißt es gleich an mehreren Stellen. Von „den Fakten“
ist die Rede. Vor allem, wenn es um zeitliche Abläufe geht – mit deren
Darstellung Thomas Mann so virtuos spielt wie sonst innerhalb der Literatur
der klassischen Moderne vielleicht nur Virginia Woolf, James Joyce oder
Hermann Broch –, weiß der Erzähler haargenau Bescheid: „Daß Jaakob
fünfundzwanzig Jahre bei Laban verblieb, ist erweislich wahr und das
sicherste Ergebnis jeder klarsinnigen Untersuchung.“ Kurz: Der „Joseph“ i…
– auch – ein Schelmenroman.
Schon der Barockautor Grimmelshausen übrigens, der mit seinem
„Simplicissimus“ den Inbegriff des Schelmenromans erst schuf und den
wiederum der Felix-Krull-Schöpfer Thomas Mann entsprechend verehrte, hatte
sich vorgenommen, die Joseph-Geschichte ausführlicher zu erzählen, als es
die Bibel tut. Tatsächlich brachte er es mit seinem lange vergessenen Roman
„Keuscher Joseph“, der 2014 in der Anderen Bibliothek neu aufgelegt wurde
und den Mann bizarrerweise wahrscheinlich nicht kannte, auf gut 100 Seiten.
Dass die Keuschheit auch für Thomas Mann Thema war, wundert nicht, hatte er
sich doch bezüglich seiner homoerotischen Neigungen früh zum Triebverzicht
entschlossen. Für ihn ist sie eine Erfindung des biblischen Monotheismus
und hängt mit der Verehrung des einen Gottes zusammen.
Seine Joseph-Figur verhält sich in der Situation erotischer Anfechtung
allerdings ambivalent. Als er als eine Art Facility Manager im Haus
Potiphars dient, eines der Würdenträger Pharaos, wirft dessen attraktive
Gemahlin Mut-em-Enet ein Auge auf ihn. Zwar entzieht sich „der schöne
Jüngling“ den recht brünstigen Avancen der reiferen Frau (ihre lakonische
Einladung zum Beischlaf steht schon so in der Bibel), aber an dem ganzen
Flirt-Spiel ist er doch stark beteiligt und treibt es wissentlich, wenn
nicht genüsslich mit auf die Spitze.
Das Schelmenhafte in „Joseph und seine Brüder“ aber steht in keinem
Widerspruch zur Ernsthaftigkeit des Roman-Unternehmens, dazu, dass sich
Thomas Mann über 16 Jahre lang in seinen Stoff vertiefte, dass er zweimal
nach Ägypten reiste, dass er Fachliteratur regelrecht studierte und in
Ägyptologie, Judaistik, alttestamentarischer Theologie, Religionsgeschichte
und Mythenkunde so bewandert war wie wohl kein Schriftsteller vor oder nach
ihm. In seiner Monografie „Thomas Mann und Ägypten“ warnt der Ägyptologe
und Gedächtnisforscher Jan Assmann gleichwohl davor, „der berühmten
Mannschen Ironie auf den Leim zu gehen“, da sie sich nur auf die Rolle des
kundigen Erzählers, des „Historikers“, beziehe und nicht auf den
gedanklich-philosophischen Kosmos, womit es Mann durchaus und zwar
existenziell ernst war. Er erzählt nicht nur, sondern ergründet. Der Autor
ziehe „mit dem Mittel der ironischen Distanz eine deutliche Grenze zwischen
Dichtung und Wissenschaft, die er jedoch vielfältig überschreitet und
unterminiert“, so Assmann. Das mache „die Modernität und den Rang“ der
Joseph-Romane aus.
Neben den Germanisten Dieter Borchmeyer („Was ist deutsch?“) und Stephan
Stachorski ist Jan Assmann einer der Herausgeber der Joseph-Ausgabe, die
jetzt endlich als Band 7 und 8 der Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe
(GKFA) der Werke Thomas Manns im Fischer Verlag erschienen ist. Abgesehen
davon, dass damit nun eine wesentlich authentischere Textfassung vorliegt
als in allen früheren Editionen, in denen auf mitunter abenteuerlich
sinnverfremdende Weise Mann’sche Formulierungen angeglichen und
„korrigiert“ wurden, verfügen beide Textbände (wie in der GKFA üblich)
jeweils über einen separaten Kommentarband. Insgesamt macht das noch einmal
2.000 Seiten Sekundärliteratur zusätzlich zu den 2.000 Romanseiten.
Die beiden Zusatzbände enthalten einen ausführlichen Stellenkommentar und
gehen auch auf die Text- und Quellenlage sowie die Entstehungs- und
Rezeptionsgeschichte ein. Hier erfährt der Leser etliches über die
Hintergründe, vor denen der „Joseph“ gelesen werden muss – oder kann,
Pflicht ist es nicht, das Ganze liest sich auch so sehr unterhaltsam –,
über literarische Einflüsse wie den Laurence Sternes oder eben
Grimmelshausens, über Manns eigenwillige Beschäftigung mit Sigmund Freud
und der Psychoanalyse, über die Parallelen zu Wagners Ring-Tetralogie, über
Briefwechsel etwa mit dem Mythenforscher Karl Kerényi, über Manns
Befürwortung des Zionismus, seinen Antinationalismus, seine persönliche
Bedrohung durch den Aufstieg Hitlers, Anfeindungen der Nazis und
schließlich die Ausbürgerung, die polarisierenden Besprechungen der
Joseph-Romane und auch das Verbot von Rezensionen in Deutschland ab Mitte
der 1930er Jahre.
Thomas Mann schuf mit seinem „Joseph“ ein Monument gegen den Faschismus.
Die Romane stellen zudem ein Bekenntnis zu den jüdischen Ursprüngen der
europäischen Kultur dar. Dabei ist die Tetralogie universalistisch
konzipiert und vereint altorientalische, griechisch-antike und
jüdisch-christliche Religion und Kultur. Und sie vermenschlicht und
psychologisiert den Mythos. Das ist vielleicht ihre größte Stärke.
Begonnen hatte Mann sein Romanprojekt bereits Mitte der 1920er Jahre, zur
Zeit der Weimarer Republik, als er sich als kultureller Repräsentant für
Demokratie im Allgemeinen und speziell für die SPD engagierte, als er noch
vor der „Machtergreifung“ der Nazis Artikel gegen Hitler publizierte,
gegen den primitiven rechten Populismus Front machte und für einen die
Kulturen verbindenden Humanismus warb. Wesentliche Teile sind dann im Exil
entstanden, der letzte Band erschien 1943.
Manns Abneigung gegen die Nazi-Diktatur und ihre Schergen fließt auf
vielfältige Weise mit ins Geschehen ein und gipfelt in einer veritablen
Hitler-Karikatur, einer Art Anti-Hitler-Figur wie bei Lubitsch oder
Chaplin. Dessen Filmklassiker „Der große Diktator“ (1940) hatte Mann in
Amerika im Kino gesehen. „Dass ich nicht lache“, heißt es dann auch ganz am
Schluss des „Joseph“, als dessen Brüder seine Rache fürchten, weil sie ihn
einst misshandelt und verkauft hatten: „Dass ich nicht lache! Denn ein
Mann, der die Macht braucht, nur weil er sie hat, gegen Recht und Verstand,
der ist zum Lachen. Ist er’s aber heute noch nicht, so soll er’s in Zukunft
sein, und wir halten’s mit dieser.“
Thomas Mann,Große kommentierte Frankfurter Ausgabe: Joseph und seine Brüder
I: Text und Kommentar in einer Kassette. Fischer Verlag, Frankfurt/Main
2018, 1.660 Seiten, 85 Euro. Joseph und seine Brüder II: Text und Kommentar
in einer Kassette. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2018, 2.350 Seiten, 96
Euro
4 Jun 2018
## AUTOREN
Tobias Schwartz
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