# taz.de -- Ganz schwierig: einfach mal auf der Straße spielen | |
> Im Kreuzberger Graefekiez wollen Initiativen eine temporäre Spielstraße | |
> für Kinder ein-richten. Das Beispiel Prenzlauer Berg zeigt, was für ein | |
> Verwaltungsaufwand dafür nötig ist | |
Bild: Ein kleines Stückchen, gesperrt für Kinder, sorgte für große Aufregun… | |
Von Brigitte Denck | |
„Alle haben das Recht, die Straße zu benutzen“, sagt Ahmad Al-Sadi vom | |
Verein Kannste auch! Und eine Mitarbeiterin des Projekts Aufeinander | |
zählen!, das bürgerliches Engagement im Kiez stärken will, ergänzt: „So | |
eine Bürgerbeteiligung kann man sich für soziale Projekte nur wünschen!“ | |
Es geht um die Einrichtung einer temporären Spielstraße in Kreuzberg, für | |
die sich beide Projekte einsetzen. An diesem Mittwochnachmittag Ende Mai | |
ist es heiß, sehr heiß – ein Hitzerekord. Es scheint, als bewegten sich die | |
Menschen langsamer als sonst. Nur die motorisierte Spezies behält ihr | |
Tempo. FahrradfahrerInnen und FußgängerInnen haben ihr gegenüber oft das | |
Nachsehen, sind sie doch die Schwächeren im täglichen Kampf des | |
Straßenverkehrs. | |
Das schwächste Glied jedoch sind die Kinder. Deswegen haben Kinder- und | |
Schülerläden, Jugendeinrichtungen und Nachbarschaftsprojekte rund um die | |
Böckhstraße an diesem heißen Tag eine Demonstration für eine temporäre | |
Spielstraße organisiert. Denn obwohl der Graefekiez schon seit den 80er | |
Jahren verkehrsberuhigt ist, halten sich nur wenige AutofahrerInnen an das | |
vorgeschriebene Schritttempo. Deshalb soll hier ein Ort entstehen, an dem | |
Kinder einmal wöchentlich für ein paar Stunden gefahrlos auf der Straße | |
herumtoben können. | |
Doch um 14.30 Uhr ist in der Böckhstraße zunächst kaum jemand zu sehen. Ein | |
Gewitter kündigt sich an, erste Regentropfen fallen. Ein paar | |
unerschrockene Vorschulkinder warten vor einem Kinderladen auf die | |
Erfrischung: „Es regnet, es regnet“, singen sie und hüpfen auf und ab. Als | |
der Regen nachlässt, setzt sich vom Kinderladen an der Straßenecke schräg | |
gegenüber mit Rasseln und Schellen ein Kinderzug in Bewegung. ErzieherInnen | |
lotsen die Zwei- bis Vierjährigen über die schmale Graefe- in die | |
Böckhstraße. „Spielstraße, Spielstraße!“, skandieren die. | |
Etwa hundert Meter weiter sind Tische aufgebaut, an denen gebastelt werden | |
kann. Folien schützen vor dem Regen. Allerlei Spielgeräte stehen herum und | |
warten auf die Benutzung. Es ist schon die zweite Demonstration dieser Art. | |
Spielstraße zum Anfassen, nennt das Stefan Rohner, ein Erzieher des | |
Schülerladens Hasenbau: „Wir wollten keine theoretische Versammlung, der | |
Mehrwert für alle soll erfahrbar sein.“ Denn Ziel sei auch, dass man sich | |
kennenlernt und dadurch die Nachbarschaft stärkt: „Ich kenne nicht einmal | |
die anderen Kinderläden in der Straße.“ | |
Natürlich wisse man von den Gerichtsstreitigkeiten, die bislang eine | |
Spielstraße im Prenzlauer Berg verhindern, so Rohner. Für eine temporäre | |
Spielstraße sei die Böckhstraße aber gut geeignet. Wegen einer | |
Fahrbahnverengung vor der Lemgo-Grundschule fielen nur wenige Parkplätze | |
weg, deshalb erwarte man kaum Anwohnerklagen. Vor Ort sammeln die | |
Unterstützer 1.000 Unterschriften für einen Anwohnerantrag, der bei der | |
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zur Abstimmung eingereicht werden soll. | |
Bis jetzt seien die Reaktionen der AnwohnerInnen durchweg positiv. | |
„Die Initiative ist zuversichtlich, dass das Projekt ab Mai 2019 | |
erfolgreich realisiert werden kann“, sagt Rohner: „Schließlich sind wir | |
hier in Kreuzberg!“ | |
Wo kein Kläger, da kein Richter, kommentiert dies der Pankower | |
Bezirksstadtrat Torsten Kühne (CDU) trocken: „Es wird immer jemanden geben, | |
den es stört.“ Kühne spricht aus Erfahrung, denn der Antrag einer | |
Bürgerinitiative, einmal wöchentlich in der Gudvanger Straße im Prenzlauer | |
Berg eine Spielstraße einzurichten, fiel bis 2017 in seinen | |
Zuständigkeitsbereich. Die Pankower BVV hatte dem bereits im Februar 2015 | |
einstimmig zugestimmt. Schließlich stehen den Kindern in diesem Kiez nur | |
0,3 statt 1 Quadratmeter Spielfläche pro Einwohner zur Verfügung, wie es | |
das Berliner Spielplatzgesetz tatsächlich vorsieht. | |
Um das Projekt schnell umsetzen zu können, entschied man sich, eine | |
Veranstaltung zu beantragen, ähnlich einem Wochenmarkt. Paragraf 29 der | |
Straßenverkehrsordnung sieht vor, dass dafür eine Erlaubnis beantragt | |
werden muss. Zudem muss der Veranstalter dafür Sorge tragen, dass | |
Verkehrsvorschriften sowie etwaige Bedingungen und Auflagen befolgt werden. | |
Wegen der hohen Sondernutzungsgebühren trat das Pankower Jugendamt als | |
Veranstalter auf. | |
Doch schon nach kurzer Zeit stoppten Klagen von AnwohnerInnen das | |
Pilotprojekt. Das Verwaltungsgericht Berlin hob die Genehmigung wegen eines | |
Formfehlers auf und wies darauf hin, dass zu einer Veranstaltung mehr | |
gehöre als das freie Spielen auf der Straße. | |
Im Juni 2017 endete das Tauziehen mit einem schlechten Kompromiss für die | |
Pankower Kinder. Ab Mai 2018 sollte nun eigentlich ein 100 Meter kurzer | |
Abschnitt einmal im Monat für vier Stunden gesperrt werden. Das scheitert | |
im Moment allerdings an der Personalfrage, denn als Veranstalter muss das | |
Jugendamt das Personal stellen. Auch die Rechtsgrundlage bleibt schwierig, | |
denn der gerichtliche Vergleich bindet nur die beiden Parteien. Andere | |
Betroffene können trotzdem wieder klagen. | |
Laut einem im November 2017 veröffentlichten Gutachten des | |
Abgeordnetenhauses, beauftragt vom einstigen Berliner und jetzigen | |
Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar (Grüne), ließe die | |
Straßenverkehrsordnung auch die Schaffung dauerhafter Spielstraßen zu. | |
Demnach sind Sport und Spiel auf Fahrbahnen, Seitenstreifen oder Radwegen | |
möglich, wenn ein Verkehrszeichen zugelassene Sport- oder Spielarten | |
anzeigten. Das Gutachten schließt, dass dies auch als Grundlage für die | |
Festsetzung temporärer Spielstraßen dienen könne. Als Beschilderung müsste | |
dann zudem das Verkehrszeichen „Fahrverbot“ mit dem seit den 70er Jahren | |
kaum noch verwendeten Zusatzzeichen „Ballspielendes Kind“ kombiniert | |
werden. Ergänzt würde dies von einem weiteren Schild, auf dem die | |
Wochentage mit der Uhrzeit des Fahrverbots angegeben sind. | |
Um Rechtssicherheit zu erlangen, müsse das jetzt von der Oberen | |
Verkehrsbehörde bewertet werden, meint Kühne: „Ich vermute trotzdem, dass | |
es noch mal gerichtlich geklärt wird.“ Auf Nummer sicher gehe man | |
allerdings erst, wenn der Gesetzgeber eine Ergänzung in der | |
Straßenverkehrsordnung vornehme. Einstweilen rät er der Anwohnerinitiative | |
Böckhstraße, eine echte Veranstaltung mit allen Rechten und Pflichten | |
vorzulegen. Dazu gehören ein Programm, gewisse Aufbauten, ein gemeinsames | |
Ziel und ein Sicherheitskonzept. Denn, das stellt Kühne heraus: „Wir wissen | |
bis heute nicht, ob unser Veranstaltungskonzept wirklich anerkannt würde!“ | |
Die Böckhstraße füllt sich mittlerweile mit Passanten. Die Regenwolken | |
haben sich verzogen, ohne für Abkühlung zu sorgen. Doch trotz der hohen | |
Temperaturen ist die Stimmung gut: Menschen sitzen zusammen, unterhalten | |
sich, andere basteln oder spielen mit Kindern. Im Rahmen der Protestaktion | |
sperrt die anwesende Polizei den kurzen Straßenabschnitt vor der | |
Lemgo-Grundschule für 15 Minuten. Berlins Nachwuchs erobert die Straße mit | |
Gejohle. | |
Am 13. und am 27. Juni sind jeweils von 14.30 bis 17.30 Uhr noch zwei | |
weitere Protestaktionen geplant. Unter anderem soll dann ein Clown für Spaß | |
sorgen. Als besondere Attraktion kommt die vom Schülerladen Biberzahn | |
gebaute Schokokuss-Weitwurf-Maschine unter freiem Himmel zum Einsatz. Und | |
natürlich darf nach Herzenslust gespielt werden. | |
12 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Denck | |
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