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# taz.de -- Auf der Spur des Bösen
> In ihrer großartigen Inszenierung „Das Böse. Eine Götterdämmerung“ an…
> Kammerspielen München durchleuchtet Regisseurin Anna-Sophie Mahler
> existenzielle Fragen unseres Daseins
Bild: Spiel auf verbrannter Bühne: „Das Böse. Eine Götterdämmerung“
Von Annette Walter
Ein Feuer hat alles zerstört. Drei Brandspezialisten erläutern den
Zuschauern im Foyer die katastrophale Lage: Sie müssen die Ursache des
Unglücks herausfinden, doch die Spurenlage ist aussichtslos. Dann wird das
Publikum in den Theaterraum geführt. Es ist ein spektakuläres Bild, das
sich dort bietet. In der Finsternis wabert Rauch in der Luft, auf dem Boden
türmen sich Berge verbrannter Asche. An menschliches Leben erinnert nichts
mehr. Die Flammen haben ein Schlachtfeld hinterlassen.
Die drei Protagonisten in Schutzanzügen und mit Atemmasken inspizieren das
Szenario. Sie haben keine Namen, man weiß nicht, wo sie herkommen oder in
wessen Auftrag sie handeln. Mit Scheinwerfern durchleuchten sie das
zerstörte Gelände und wühlen im Schutt.
In diesem Untergangsszenario philosophiert einer der Männer über Richard
Wagners Ring-Zyklus, ein Grundthema des Stücks: „Das Böse im Ring ist der
Ring, das ist eigentlich die Überführung des Naturzustandes in ein
Surrogat, mit dem man versucht, sich der Welt zu bemächtigen.“ Der Verrat
an der Liebe sei die Wurzel allen Übels, heißt es in der Konzeption des
Komponisten. Doch was ist dieses Übel, dieses Böse, wo kommt es her?
Es ist eine große und existenzielle Frage, die Anna-Sophie Mahler mit ihrer
Schweizer Gruppe CapriConnection in diesem Stück ergründen will. Die
Regisseurin, die in Zürich lebt, kommt eigentlich vom Musiktheater und hat
zuvor schon Josef Bierbichlers „Mittelreich“ an den Münchner Kammerspielen
inszeniert. 2005 hat sie das Kollektiv CapriConnection mit den
Schauspielerinnen Susanne Abelein und Rahel Hubacher gegründet,
mittlerweile wirken aber auch zahlreiche andere Schauspieler und Künstler
mit.
In „Das Böse“ sind das die SchauspielerInnen Susanne Abelein, Jonas Gygax
und Andreas Storm, der Sänger Niklaus Kost und die Musiker Jan Schreiner
und Dave Gisler. Eine frühere Arbeit der CapriConnection, die szenische
Lesung „Nachtschicht“, beschäftigte sich mit dem Thema Sexarbeit und
entstand aus Gesprächen mit Prostituierten, Streetworkerinnen und Polizei.
Der Ansatz ist dabei stets ähnlich: Sich über eigen recherchiertes,
dokumentarisches Material einer fremden Lebenswelt zu nähern, um sie am
Ende für ein Publikum zu einem Theaterabend zu verdichten. Das
CapriConnection-Team sieht Theaterarbeit als Forschungsarbeit und sich
selbst als TheaterarchäologInnen.
Wie eine Expedition ins Ungewisse funktioniert auch „Das Böse“:
Philosophische Reflektionen der Akteure versuchen Antworten auf den
Ursprung dieses Konstrukts zu finden. Eindeutige Antworten geben sie nicht.
Vielmehr umkreisen sie diesen Begriff und versuchen sich ihm anzunähern.
Die Fragenden sind sich dabei stets ihrer eigenen Unzulänglichkeit bewusst,
wohl wissend, dass sie diese universelle Frage letztendlich nur
fragmentarisch beschreiben können. Das sinnlose Stöbern in den verbrannten
Überresten auf der Bühne wird dabei zum Sinnbild für die Unmöglichkeit, dem
Begriff des Bösen auf die Schliche zu kommen.
So können sie nur spekulieren: In der Philosophie sei man sich darüber
einig, dass es für den Menschen unmöglich sei, vorsätzlich schlechte Dinge
zu tun, also das Böse um des Bösen willen zu wollen, heißt es. Kann man die
Aggression entschuldigen, weil sie instinktiv ist und man nichts dagegen
tun könne? Oder müsse man die Instinkte bekämpfen, um das Böse auszumerzen?
Als Inkarnation des Bösen taucht irgendwann eine Teufelsgestalt auf der
Bühne auf, und diese Fratze erklärt mit diabolisch verzerrter Stimme: Es
gebe drei Möglichkeiten, woher das Böse kommt: Entweder kommt es von Gott
selber, aus der Freiheit des Menschen oder von außen.
Mahler ist ein dichtes, bildgewaltiges und atmosphärisch beeindruckendes
Stück gelungen, das einen für knapp 70 Minuten vollkommen in den Bann
zieht. Die Regisseurin schafft es virtuos, den abstrakten Begriff des
„Bösen“ mit ihrem apokalyptischen Bühnenbild zu visualisieren und dieses
intensive sinnliche Erlebnis auf raffinierte Weise mit theoretischen
Überlegungen zu verknüpfen. Wagners Oper „Götterdämmerung“, in der die
Götter die Welt zerstören und am Ende Walhall in Schutt und Asche legen,
dient als Basis ihrer Erzählung und wird mit dem Ereignis des Brands
verdeutlicht.
Auch die intensive musikalische Untermalung greift Wagners Musik
schlaglichtartig auf: Elemente aus der „Götterdämmerung“ wie das Tarnhelm-
oder das Zaubertrugmotiv ertönen aus Lautsprechern im Loop, dann werden sie
von Musikern auf der Bühne mit Bassposaune, Tuba und E-Gitarre
interpretiert oder von Opernsänger Niklaus Kost, der Passagen der Figur des
Hagen singt.
Am Ende dieses bewegenden Theaterabends gibt es vielleicht doch eine vage
Antwort, die einer der Akteure ausspricht: „Es gibt keine Gewissheiten.
Nichts ist von Dauer. Es gibt keine absoluten Wahrheiten. Es gibt keine
absoluten Werte.“
7 Jun 2018
## AUTOREN
Annette Walter
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