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# taz.de -- Eins werden mit der Maschine,mit Manie und Muskelkater
> Die großen Zeiten der Flipper sind vorbei. Doch eine kleine Gemeinschaft
> hält an ihrer Liebe fest. Margit Danielmeier ist eine der wenigen Frauen
> in der Szene
Bild: Mit ihrem Mann rettet sie alte Flipper, inzwischen besitzen die beiden fa…
Aus Bünde Daniel Kastner
Margit Danielmeier spielt mit vollem Körpereinsatz. Beide Hände auf den
Flipper gestützt, die Finger an den Knöpfen, geht sie in die Knie, stellt
das linke Bein vor das rechte, starrt in die Blinklichter. Mal klatscht sie
mit der flachen Hand gegen den rechten Knopf, mal lässt sie die Kugel ein
Stückchen zurückrollen, mal versetzt sie dem Gehäuse einen Stoß – einen
„Nudge“, wie sie es nennt – damit die Kugel nicht ins Aus rollt. Von Weit…
sieht es aus, als versuche sie, das Gerät durch die Wand zu schieben.
„Du musst eins werden mit der Maschine“, ruft sie über das Dudeln, Rumpeln,
Klackern und die gelegentlichen Schreie vom Ghostbusters-Flipper nebenan
hinweg. Wenn sie eine Kugel verliert, macht sie einen fast ballettartigen
Sprung zur Seite, ihre Locken fallen über ihr Oberteil.
Am Flipper ist eine Frau wie Danielmeier eine Ausnahme. Nur 2 bis 3 Prozent
der Flipperfans seien Frauen, schätzt der bundesweite Flipperverein, die
German Pinball Association (GPA).
Die GPA hat am ersten Juniwochenende zur „Flippermania“ geladen in ein
Lagerhaus am Rande von Bünde in Ostwestfalen. Im 19. Jahrhundert war die
„Zigarrenstadt“ Bünde ein Zentrum der europäischen Tabakindustrie. Davon
ist nicht mehr viel zu spüren – heute sitzt dort das Familienunternehmen
„Pinball Universe“, nach eigenen Angaben der größte Flippervertrieb
Europas.
Die Flippermania ist Zusammenkunft und Workshop in einem. Knapp hundert
Flipperfans hören sich Vorträge zu Sounddesign und Technik an oder testen
die Flipper im Verkaufsraum: „Guardians of the Galaxy“, „Iron Maiden“ o…
„Club Voltaire“.
Wäre das hier ein Turnier, würden die Teilnehmer alle Energie darauf
verwenden, eine einzige Kugel 20, 30, 40 Minuten im Spiel zu halten. Vorher
würden sie ihre Rituale durchziehen: mit einem Tuch über die Glasscheibe
wischen, weiße Handschuhe überstreifen, die Zuschauer auf Abstand fauchen,
den Schleifpunkt der Flipperhebel ertasten wie bei einer Autokupplung.
Doch egal ob Turnier oder Workshop: Männer sind in der Überzahl. „Es ist
wie mit vielem, was mit Elektrik zu tun hat“, sagt Margit Danielmeier.
Männer packe schnell der Ehrgeiz, die Geräte zu bedienen, zu kontrollieren.
„Aber wenn Frauen Flipper hören, sagen sie lieber gleich: Das ist nicht so
mein Ding. Viele haben Angst, sich zu blamieren.“
Danielmeier nicht. „Ich bin mit Maschinen aufgewachsen“, sagt sie. Mit 11
fuhr sie das erste Mal Traktor, mit 14 schraubte sie an Mopeds herum. Ihr
Vater war Schreiner, ihr Onkel hatte einen Flipper zu Hause. „Dogies“ hieß
der. Er hatte eine Cowboy-Optik.
Als Margit Danielmeier daheim im ländlichen Baden-Württemberg eine
Lehrstelle als Schreinerin oder Elektrikerin suchte, winkten die Chefs ab.
Sie solle lieber Verkäuferin oder Friseurin werden, außerdem habe man im
Betrieb keine Damentoilette. Über Praktika boxte sie sich durch in eine
Ausbildung zur Kommunikationselektronikerin. Heute, mit 50, ist sie
IT-Administratorin.
Im Multiball-Modus von „The Walking Dead“ ballert sie jetzt die erste Kugel
gegen den rot leuchtenden Zombie, schickt die zweite über die Rampe, hebelt
die dritte zwischen die pilzförmigen Pop Bumpers. Der Flipper rappelt,
blinkt, vibriert. Margit Danielmeier vibriert mit.
Je ausgefeilter die Dramaturgie, je weiter das Spiel über das reine
Punktesammeln hinausgeht, desto mehr Frauen interessierten sich für die
Flippermaschinen. 5.000 Seelen beim „Herrn der Ringe“ einzusammeln oder bei
„Game of Thrones“ auszuwählen, ob sie als Haus Targaryen oder Lannister
spielen wollen, sei für viele spannender als Band-Flipper wie Aerosmith
oder das Bikini-Artwork der Playboy-Geräte.
Die meisten hier haben in den 70ern und 80ern zum ersten Mal geflippert: in
der Kneipe, in der Pommesbude, in der Cafeteria des Hallenbads. Flipper
standen überall, es gab sogar deutsche Varianten für amerikanische
Automaten. Man warf eine Mark rein und bekam drei Spiele. „Die Aufsteller
trugen das Geld eimerweise raus“, sagt Margit Danielmeier.
Der Flipper war Popkultur und Schmuddelkind. In der Verfilmung der
The-Who-Rockoper „Tommy“ spielte Elton John den „Pinball Wizard“ – auf
Stelzen und mit einer verchromten Flipperkugel auf seiner Wollmütze.
1974 schrieb der Volkskundler Bernd Jürgen Warneken, der elektrische
Flipperautomat entstamme „einem Zentrum des Industriekapitalismus und des
proletarischen wie lumpenproletarischen Elends“ – nämlich dem Chicago der
1930er Jahre; zudem könne man „beim Flippern als einem Spiel der
Fingerfertigkeit, das quasi durch ,Straffen' des Flippers eine Kugel
hochjagt“, auch an die „Gleichung von ,Spielen‘ und ,Masturbieren'“ den…
Doch dann verdrängten Arcade-Automaten wie Pacman und Space Invaders den
Flipper. In den 90ern kehrte er noch mal zurück, mit Digitalanzeigen, die
ganze Bildsequenzen abspielen konnten. „Addams Family“, der mit geschätzt
20.000 Geräten meistverkaufte Flipper aller Zeiten, stammt aus dieser Zeit.
Der Aufstieg der Videospiele versetzte dem Flipper schließlich den beinahe
tödlichen „tilt“. Die Leute zockten lieber zu Hause Nintendo oder
Playstation oder heute Mobile Games auf dem Smartphone.
Margit Danielmeier wedelt mit ihrem Telefon. „Die Leute denken: Ich habe
Internet, da kostet mich das Spiel kein Geld.“ Aber das sei eben nur
virtuell und nicht zu vergleichen mit dem „realen Raum“ unter der
Glasplatte.
Sie selbst fand erst vor knapp zehn Jahren zum Flipper zurück, als sie
ihren Mann Kim kennenlernte. Er ist Kommunikationselektroniker und Tüftler
wie Danielmeier. Seine Großeltern hatten Automaten aufgestellt, im Keller
seiner Oma verwitterte eine alte Jukebox. „Die haben wir dann wieder zum
Leben erweckt“, sagt Margit Danielmeier – und dann gab es kein Halten mehr.
Das Paar rettete alte Flipper aus Scheunen, bevor sie jemand anderes
ausschlachtete und die Ersatzteile verhökerte. „Star Gate“ hieß ihr erster
eigener Flipper: „Future, Raumfahrt und Ägypten, das war für mich die
perfekte Kombination.“ Inzwischen besitzen sie fast 30 Stück, dazu einen
„Fingerschläger“ – einen Flipper-Vorläufer – und einen japanischen
Pachinko-Automaten.
Gleichgesinnte fanden sie bei den „Electric Friends“ in Lemgo, nicht weit
von Bünde entfernt, die vor allem ältere elektromechanische und elektrische
Flipper zusammentragen: „Mata Hari“, „Twilight Zone“ oder „Rollergame…
fällt auf, dass die meisten Flippervereine, -hallen und -museen eher in
Kleinstädten oder am Stadtrand zu finden sind – in Seligenstadt, Neuwied
oder am äußersten Rand von Berlin. Danielmeier vermutet, das liege vor
allem an den hohen Mieten für Lagerhallen in den Großstädten.
Auch die „Electric Friends“ teilen sich die Kosten für Strom und Miete. Und
sie haben sich die Gemeinnützigkeit erkämpft. Denn obwohl sich mit Flippern
kein Geld gewinnen lässt, gelten sie in Deutschland als Glücksspiel. Und
dafür wird Vergnügungsteuer fällig.
Seit der Verein offiziell gemeinnützig ist, kann er Turniere anmelden und
Spendenquittungen ausstellen. Bestätigt wird dann eine Spende „zum Erhalt
des technischen Kulturgutes Flipperautomat“. Danielmeier wünscht sich
außerdem, dass Flippern als Sport anerkannt wird, so wie Darts oder
Billard.
Denn es sei, darauf besteht sie, eben kein Glücks-, sondern ein
Geschicklichkeitsspiel, und nach einem durchgeflipperten Turnier habe sie
Muskelkater in den Unterarmen. Erstaunte Männerblicke erntet sie inzwischen
nicht mehr, wenn sie dort Flipper auf- und abbaut.
Gerade hat sie mit dem rechten Knopf eine Lampe auf dem Playfield
eingeschaltet, die Kugel ist drübergerollt – Skill Shot geschafft! Jetzt
wartet sie, dass das Magnetfeld die Kugel wieder rausrückt. Die wenigen
großen Hersteller von heute – Stern aus Chicago und Jersey Jack aus
Lakewood, New Jersey – erweitern ihre Spielfelder um LCD-Bildschirme oder
Bluetooth-Schnittstellen und arbeiten mit Lizenzen von Marvel oder Disney.
In den letzten Jahren sind spürbar mehr Menschen in die Flippervereine
eingetreten. Trotzdem läuft die Nachwuchsförderung weiter schleppend, die
Gäste der Flippermania sind überwiegend 40 und älter.
Immerhin: Der beste Deutsche ist erst 16 Jahre alt. Johannes Ostermeier aus
Markt Schwaben bei München hat vor wenigen Wochen die Deutsche
Meisterschaft gewonnen und belegt in der Weltrangliste der Herren Platz 6.
An diesem Wochenende kann er nicht in Bünde sein – er ist mit seinem Vater
nach Toronto geflogen: zur Weltmeisterschaft.
9 Jun 2018
## AUTOREN
Daniel Kastner
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