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# taz.de -- Aktion gegen unfairen Wahlkampf: Schalt den Fernseher aus
> Der staatliche Sender TRT zeigt vor den Wahlen in der Türkei fast nur
> Erdoğan und die AKP. Aktivisten fordern die Menschen auf, nicht mehr
> fernzusehen.
Bild: Bürger, lasst das Glotzen sein
Der Park Koşuyolu zwischen Kadıköy und Üsküdar gehört zu den letzten
Grünflächen Istanbuls, das tagtäglich weiter zubetoniert wird. Am diesem
Sonntagabend im Mai fällt unter den Jugendlichen und Sportler*innen eine
Menschenmenge auf. In einer Ecke ist eine Bühne aufgebaut, über hundert
Bürger*innen sitzen in Reihen davor, die Klappstühle haben sie von zu Hause
mitgebracht. Auf einem wohl 30 Meter langen Transparent links neben der
Bühne steht der Slogan: „Schalt aus!“
Vedat Sevim, 53, Ingenieur und Aktivist, gehört der Vereinigten
Juni-Bewegung an, die die Menschen im Park versammelt hat. Die Vereinigte
Juni-Bewegung entstand nach den Gezi-Protesten vom Juni 2013 aus
verschiedenen Foren, die sich gegen den Ausverkauf der Stadt und für die
Erhaltung der Grünflächen engagierten. Sie umfasst sozialistische Parteien
wie die Partei für Freiheit und Solidarität ÖDP und die Kommunistische
Partei der Türkei der Völker (HTKP) sowie einige Berufsverbände.
Sevim ist glühender Fenerbahçe-Fan. Obwohl zur gleichen Zeit sein
Lieblingsteam ein Basketballspiel hat, ist Sevim an diesem Abend hier im
Park. Der Grund dafür ist die ungerechte Verteilung der Sendezeiten im
staatlichen TV-Sender TRT vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am
24. Juni. „Mit unseren Steuergeldern bringen die immer nur Erdoğan. In der
letzten Woche erhielt die AKP 37 Stunden, 40 Minuten Sendezeit. Die CHP 3
Stunden und 4 Minuten, die İYİ-Partei nur 9 Minuten, Saadet-Partei und HDP
kamen gar nicht vor“, sagt er.
Gegen diese Ungerechtigkeit startete die Juni-Bewegung die Aktion „Schalt
aus“. Die Fernsehgeräte wurden ausgeschaltet, die Leute trafen sich im
Park. Sevim sagt, es habe überhaupt keinen Sinn mehr, fernzusehen, die
Regierung, die 90 Prozent der Medien kontrolliert, erzähle ihrer Zielgruppe
nur Märchen: „Um die Leute dumm zu halten, erzählen sie Alice im
Wunderland. Sie lügen vom Bildschirm herunter. Sie behaupten, Deutschland
und die USA würden die Türkei beneiden“, sagt der Aktivist in Kargo-Shorts
und Sandalen. Sevim unterstreicht, dass die in den sozialen Medien
gestartete Kampagne sich ausdehnen und die Massen erreichen müsse. Denn es
bringe nichts, wenn nur ein paar Tausend Menschen den Fernseher ausschalten
und protestieren.
„Ich hab die Nase voll, Mädchen“
Hülya Demirer schreibt eine Botschaft auf die riesige auf der Erde
ausgebreitete Bodenzeitung: „Wir sind uns unserer Macht bewusst.“ Demirer
war in der IT-Branche tätig, ist jetzt pensioniert, und gehört ebenfalls zu
den Aktivist*innen der Vereinigten Juni-Bewegung. Sie stört, dass der
Fernsehsender TRT einseitig berichtet.
„Mit Aktionen wie 'Schalt den Fernseher aus’ versuchen wir auch, den
Menschen in Bezug auf die Wahlen Mut zu machen. Wer weiß, vielleicht fangen
die Sender ja an, den Kandidaten der Opposition ein paar Minuten mehr
einzuräumen“, meint Demirer.
Die Aktivist*innen freuen sich über jedes Wort der Hoffnung und spitzen die
Ohren. Als Demirer das merkt, richtet sie sich von der Bodenzeitung auf und
fährt fort: „Auf dem Markt habe ich heute eine ältere Frau getroffen. 'Ich
hab die Nase voll, Mädchen’, hat sie zu mir gesagt. 'Ich will diesem Mann
nicht mehr zuhören, will ihn nicht mehr im Fernsehen sehen’, hat sie
geschimpft. Vor allem die Frauen sind es leid. Die Frauen werden dieses
Land verändern.“
Vor den Wahlen am 24. Juni müssen die Oppositionsparteien Wahlkampf unter
unfairen Bedingungen machen. Der HDP-Kandidat Selahattin Demirtaş führt
seine Kampagne aus dem Gefängnis Edirne, wo er seit November 2016
inhaftiert ist.
Und Muharrem İnce, der Präsidentschaftskandidat der CHP, empfiehlt den zu
seinen Kundgebungen kommenden Menschen, aus Protest gegen die
Publikationspolitik von TRT und anderen Sendern selbst mit ihren Handys
über das Internet auf Sendung zu gehen. Als bei seiner Kundgebung in Amasya
letzte Woche einige Sender die Live-Übertragung abbrachen, kündigte er an:
„Nächste Woche halte ich Kundgebungen vor den Sendern ab, die meine Reden
nicht live übertragen.“
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
24 May 2018
## AUTOREN
Tunca Öğreten
## TAGS
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Politik
Türkei
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