# taz.de -- Hamlet hausgemacht | |
> Wer eine Reclam-Phobie hat, sollte es mit dem YouTube-Kanal | |
> „Weltliteratur to go“ probieren. Hier werden die großen Werke mit | |
> Playmobilfiguren nachgestellt | |
Bild: Michael Sommer in seiner Küche, die ihm als Filmset dient | |
Aus München Ulrike Stegemann | |
Guten Tag, meine Damen und Herren, und herzlich willkommen in der | |
Strafkolonie von Franz Kafka. Klingt zynisch und ist auch genau so | |
gemeint.“ So kündigt Michael Sommer an diesem Montag sein neues Video an. | |
In seinem YouTube-Kanal „Sommers Weltliteratur to go“ präsentiert er | |
wöchentlich große Werke – gekürzt und mit Playmobilfiguren als | |
Darsteller. | |
Auf dem Küchentisch stehen zwei Tassen mit „Guten-Morgen-Tee“, daneben wird | |
Kafkas Werk im Miniaturformat zum Leben erweckt. Läuft die Kamera, werden | |
Playmobilfiguren vor einem sich wechselnden Bühnenbild hin- und herbewegt, | |
Sommer kommentiert die Handlung anhand eines selbst verfassten Skripts. | |
Rechts und links fungieren Taschenlampen als Scheinwerfer. | |
Sommer, 1976 in Kassel geboren, wuchs in ländlicher Umgebung auf. „Da | |
gibt’s viel Wald, alle paar Jahre die Documenta und sonst nicht so sehr | |
viel“, erzählt er. Er studierte Englisch, Deutsch und Kunstgeschichte auf | |
Lehramt, erst in Freiburg , dann in Oxford. „Vorher habe ich bei | |
Schauspielschulen vorgesprochen und war höchst beleidigt, als sie mich | |
nicht auf Anhieb genommen haben.“ | |
## Erst mal nur Abfallprodukt | |
So spielte er an der Uni im Studierendentheater, machte diverse | |
Regiehospitanzen und landete schließlich 2003 als Regieassistent am Ulmer | |
Theater, wo er elf Jahre lang auch leitender Schauspieldramaturg war. Zu | |
dessen Arbeit gehört neben der Arbeit mit Regisseuren und Intendanten auch | |
die Vermittlung von Kultur, Literatur und Theater, erzählt Sommer. | |
Neben der Arbeit als Dramaturg führte Sommer auch selbst Regie, schrieb | |
eigene Stücke, darunter „Refugium“, für das er mit Flüchtlingen | |
zusammenarbeitete, und er entwickelte Projekte mit dem Heyoka-Theater, in | |
dem Menschen mit und ohne Behinderung jeden Alters zusammenspielen. | |
Seit 2015 betreibt Sommer nun seinen Videokanal. „Ich bin sehr stolz | |
darauf, dass ich es seit drei Jahren durchhalte, jede Woche ein Werk der | |
Weltliteratur zu verplaymobilisieren.“ Den Grundstein dafür legte er | |
2013 bei einer Inszenierung von Georg Büchners „Dantons Tod“. | |
Da sich die Handlung am Theater Ulm stark von der ursprünglichen Geschichte | |
unterschied, wollte Sommer in der Einführungsveranstaltung den Inhalt des | |
Revolutionsdramas referieren. Damit die Leute dabei nicht einschlafen, nahm | |
Sommer sich Playmobilfiguren und Material aus der Requisite, filmte es ab | |
und präsentierte die Aufnahme den Theaterbesuchern. Das Video stellte er | |
später auf YouTube. „Es war erst mal nur ein Abfallprodukt“, erzählt er. | |
Das „Abfallprodukt“ fand online jedoch großen Anklang, vor allem unter | |
SchülerInnen. Auch im Rahmen der 50-Jahr-Feier der Hochschule Biberach | |
griff Sommer auf die Helden aus Plastik zurück. Es folgte ein weiteres | |
Video mit Playmobilprotagonisten: „Hamlet“. „Irgendwie kennt jeder den Typ | |
mit dem Totenschädel. Dieses ikonografische Modell hat sich tief in unser | |
gemeinsames kulturelles Gedächtnis eingebrannt. Es ist ein gutes Symbol für | |
eine spielerische Auseinandersetzung mit Literatur.“ | |
Dazu gehört auch die Atmosphäre von Sommers heimischer Küche: Zwischen | |
braunen Holzschränken und beigefarbenen Kacheln entstehen Woche für Woche | |
neue Kurzfilme. Die Umgebung findet er wichtig: „Küchen sind Leben. Und das | |
ist ja auch die Philosophie des Ganzen: Hausgemacht auf dem Küchentisch.“ | |
Sein Filmset animiere eher zum Selbermachen, ist keine Hochglanzproduktion. | |
Nur das Verstauen der Figuren nervt Sommer manchmal: Sein Ensemble zählt | |
inzwischen 500 bis 600 Figuren. | |
Die Videos gehen nicht gleich aus der Küche online. Sind Aufnahmen und Ton | |
im Kasten, geht Sommer zum Feinschliff nach nebenan, ins Arbeitszimmer. An | |
den Wänden stehen in deckenhohen Regalen unzählige Bücher, in der Ecke | |
steht ein großer roter Ohrensessel. Hier dreht Sommer alle Szenen, in denen | |
er direkt zu seinen Zuschauern spricht, oft in Begleitung von Watson, | |
seiner Bulldogge. | |
Am großen Bildschirm auf seinem Schreibtisch schneidet Michael Sommer am | |
Computer die Szenen und ergänzt sie, wenn nötig, durch eingeblendete | |
Kommentare. Ist all das erledigt, dann geht das Material ins | |
„Videolektorat“: Ein Mitarbeiter des Reclam-Verlags gibt Feedback. Ist | |
dieses eingearbeitet, gibt es eine neue Folge der „Weltliteratur to go“. | |
Die Kooperation mit Reclam entstand bereits ein halbes Jahr nach dem Start | |
des Kanals. Michael Sommer fand, dass sein Projekt und der Verlag, der all | |
die Klassiker herausgibt, gut zusammenpassen würden. Also rief er dort an – | |
mit Erfolg. Neben dem Feedback ist die Kooperation für ihn auch ein | |
Qualitätsmerkmal: „Es ist nicht nur irgendein Kasper, der was mit Playmobil | |
macht, sondern das ist ein Kasper, den Reclam unterstützt.“ | |
## Wenig weibliche Klassiker | |
Nicht jeder denkt gern an die eigene Schulzeit und die Pflichtlektüren aus | |
dem Deutschunterricht. Genau darum geht es Sommer. Er will Schwellenängste | |
abbauen und zeigen, dass alte Geschichten durchaus Spaß machen können. | |
Dafür eigne sich das Format mit den Playmobil-Figuren sehr gut: „Sie sind | |
ein visueller Köder, damit die Leute mir zuhören. Ich kenne einige Leute | |
mit einer Reclam-Phobie, aber niemanden, der eine Phobie gegen Playmobil | |
hat.“ | |
Regelmäßig bedanken sich inzwischen SchülerInnen für die Rettung der | |
Deutschnote bei Sommer. Er versucht, engen Kontakt zum Publikum zu halten. | |
Im vorigen September hat er seine Zuschauer zu einer „Volksabstimmung to | |
go“ auf. Sie sollten aus 100 Titeln 15 auswählen, die sie gern in den | |
nächsten Playmobiltheater-Filmchen sehen würden. Auch auf Kommentare | |
reagiert er immer wieder. Einer beschäftigt ihn bis heute: Er wurde dafür | |
kritisiert, dass so wenige Werke von Autorinnen vorkommen. Sommer ging die | |
Videos durch und stellte fest: Es stimmt. Seither versucht er, das zu | |
ändern, musste allerdings feststellten, dass es „schon schrecklich ist, wie | |
marginal der Anteil von weiblichen Stimmen unter den Klassikern der | |
Literaturgeschichte ist.“ | |
Sommer, der Deutsch an der Fachakademie für Sozialpädagogik in München | |
unterrichtet, hat immer neue Projekte: Im Herbst soll das Buch zu „Sommers | |
Weltliteratur to go“ im S. Fischer Verlag erscheinen. | |
Im April ist er das erste Mal live gegangen: „Sommers Weltliteratur on Air“ | |
heißt die Sendung, die einmal im Monat weitere Themen rund um die Literatur | |
behandelt, samt Gewinnspielen und Chats. Das Startkapital dafür hat Sommer | |
mit einer Crowdfunding-Kampagne gesammelt „Live“, sagte der 42-Jährige, der | |
eben auch für den Grimme Online Award nominiert worden ist, das sei eine | |
ganz neue Schnittstelle mit dem Publikum. | |
26 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Stegemann | |
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