# taz.de -- Im weißen Zimmer ist alles Projektion | |
> Nicht verrückt genug für dieses Virus: „The Aids Follies“ in den | |
> Sophiensælen erzählt von Aids-Aktivisten und Verschwörungstheorien | |
Bild: Vieles ist abstrakt, auch die Kostüme in „The Aids Follies“ | |
Von Toby Ashraf | |
Es gehört schon einiger Mut dazu, ein Theaterstück „The Aids Follies“ zu | |
nennen. Tödliche Krankheit meets lustige Nummernrevue, sozusagen. Die | |
„Follies“, vom Französischen folle wie „verrückt“, gehen zurück auf … | |
„Ziegfeld Follies“ am New Yorker Broadway, ein Unterhaltungstheater | |
irgendwo zwischen Vaudeville und Vincente-Minnelli-Musical. Was allerdings | |
als „Aids Follies“ in den Sophiensælen am Donnerstag seine Premiere | |
feierte, ist gar nicht komisch und irgendwie auch nicht sehr verrückt | |
geworden, und da liegt auch das größte Problem des Stücks. | |
Regisseur Johannes Müller hat sich zusammen mit Bühnenbildnerin und | |
Co-Regisseurin Philine Rinnert tief in die Recherche begeben zu einem | |
Virus, das keine Moral kennt, wie es Rosa von Praunheim in einem brillanten | |
Film von 1986 einmal genannt hat. Es geht um den Aids-Aktivismus der | |
1980er, Verschwörungstheorien zum Ursprung des HI-Virus, das beinahe eine | |
ganze Generation vor allem schwuler Männer ausradierte, und – ein bisschen | |
zu viel – um den Patienten Zero. Das war ein schwuler Flugbegleiter namens | |
Gaëtan Dugas, auf den sich die Medien stürzten, weil er der angeblich erste | |
HIV-Infizierte und -Verbreiter gewesen sei (was nachweislich widerlegt | |
wurde). Hier wird er irgendwann vom Sündenbock zum Helden erkoren – weshalb | |
ist – wie einiges – nicht ganz klar. | |
In „The Aids Follies“ ist vieles abstrakt und alles bewusst als | |
postmoderner Hybrid zwischen Lecture Performance, Oper und | |
Videoinstallation gestaltet. Alles ist sehr Achtziger: Ein symmetrisches | |
Neonraster auf schwarzem Grund steckt das Spielfeld ab, vier | |
Performer*innen tragen Bluejeans und weiße T-Shirts, und in | |
Nintendo-Schrift werden Zeitungsschlagzeilen über Gaëtan Dugas zitiert. | |
Links auf der Bühne eine Frauenband mit Kontrabass, Keyboard, Synthesizern | |
und Schlagzeug (Komposition: Genoël von Lilienstern). | |
Das Bühnenbild ist bewusst als Negativ (Achtung, Metapher!) gestaltet und | |
besteht vor allem aus weißen Flächen: verschiedenen Schaumstoffbausteinen, | |
die zu Plakaten oder Grabsteinen werden, einer Leinwand für Livevideos und | |
Film-Einspieler, einem Telefonhörer und einem weißen Schlafzimmer als | |
Mikrobühne. Das weiße Bild wird erst durch die Projektionen lebendig. Das | |
wird mehr als deutlich. | |
Der Idee der Nummernrevue bleibt das Stück sehr treu, nur scheint es sein | |
Publikum weniger unterhalten als vielmehr unterrichten oder belehren zu | |
wollen. Das Absurde, Verstörende, Provokative und vor allem Radikale des | |
(filmischen oder aktivistischen) Aids-Theaters der Zeit weicht hier einer | |
Didaktik, die zwischen Anklage, Betroffenheit und zu selten gebrochenem | |
Bierernst schwankt. Warum, fragt man sich, wird hier eine Materialsammlung | |
und ein fleißig zusammengetragener Mediendiskurs nicht schriller, wilder, | |
krasser inszeniert? Warum kommen die Irritationen (ein zu langes Video mit | |
zwei Kindern, die Aids-Kranke spielen) erst so spät, dass das Publikum | |
nicht mehr weiß, ob es lachen soll oder darf? | |
Dass es hier keine klassische Dramaturgie oder klare Figuren gibt – | |
geschenkt. Dennoch gilt der Vertrag der Verführung zwischen Publikum und | |
Performance auch abseits der konventionellen Inszenierung – und | |
funktioniert hier leider nicht. Diese Körper sprechen zu wenig, zeigen zu | |
selten die kollektive Eigenständigkeit, wie sie etwa die Stücke von René | |
Pollesch prägt. Abtritt folgt auf Auftritt; zusammen, getrennt, dann Zitat | |
und Text solo, dann wieder Plastik- oder Neonrequisitentanz im Ensemble, | |
insgesamt zu wenige Gesangsnummern. | |
Es ist sicher nicht einfach, so eine Revue, die ihre Längen und | |
Redundanzen, aber auch Botschaften und ständigen Formatwechsel hat, zu | |
inszenieren. Die angekündigten anderthalb Stunden wirken am Ende nicht nur | |
wesentlich länger, sie sind es auch. Warum das Stück nicht in der | |
Archäologie der Vergangenheit bleibt, sondern zu spät noch den Sprung in | |
die medizinisch verheißungsvolle Gegenwart schaffen muss, bleibt letztlich | |
ebenso unklar wie die Frage, weshalb eine künstlerische Inszenierung zum | |
Thema Aids mehr als 30 Jahre nach Ausbruch der Epidemie weniger als | |
erinnernder Schlag in die Fresse und vielmehr als schulische | |
Geschichtsstunde daherkommen muss. | |
Bis 28. Mai, 20 Uhr, Sophiensæle | |
26 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Toby Ashraf | |
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