# taz.de -- „Die schlimmste Zeit meines Lebens“ | |
> Solomon Taffese saß über drei Jahre im Gefängnis. Aufgeben tut der | |
> äthiopische Journalist nicht. | |
Bild: Solomon Kebede Taffese, Teilnehmer des Refugium- Projekts von März bis M… | |
Interview Andreas Lorenz | |
taz: Herr Taffese, Sie saßen lange in einem äthiopischen Gefängnis. Warum? | |
Solomon Taffese: Wir haben in unserer Zeitschrift YeMuslimoch Guday … | |
… „Muslimische Standpunkte“ … | |
… über die Demonstrationen berichtet, die sich gegen die Versuche der | |
Regierung richteten, sich in religiöse Angelegenheiten einzumischen, etwa | |
die religiösen Oberhäupter zu bestimmen und eine bestimmte Sekte aus dem | |
Libanon, Ahbash, zu fördern. Es dauerte nicht lange, bis zwei meiner | |
Kollegen verhaftet wurden, zwei flüchteten ins Ausland. Übrig blieb ich. | |
Aber nach fünf Monaten haben sie auch mich eingesperrt. | |
Wie lautete die Anklage? | |
Zunächst haben sie behauptet, ich sei Terrorist. Ich soll Waffen gehortet | |
und Rebellen ausgebildet haben. Die Polizei fährt immer so schweres | |
Geschütz auf, damit das Gericht Haft anordnet. Später warfen sie mir vor, | |
mit meinen Artikeln zu Gewalt aufzurufen. | |
Und? Haben Sie? | |
Nicht im Geringsten. Das würde ohnehin niemand wagen. Selbst wenn du die | |
Regierung nur kritisierst, landest du früher oder später im Gefängnis. Wir | |
haben lediglich über die Demonstrationen und andere Dinge berichtet, die | |
den Oberen nicht gefielen. Unsere Zeitschrift konzentrierte sich darauf, | |
über an den Rand gedrängte Gruppen wie die Oromos, die Somalier und die | |
Afaren zu berichten, in denen es eine Menge Muslime gibt. | |
Sie wurden verurteilt … | |
Ja, zu vier Jahren und neun Monaten Gefängnis. Allerdings brauchte das | |
Gericht drei Jahre bis zum Urteil. In dieser Zeit saß ich schon hinter | |
Gittern. Wegen guter Führung haben sie mich nach drei Jahren und drei | |
Monaten freigelassen. Das war 2015. | |
Wie erlebten Sie das Gefängnis? Mussten Sie arbeiten? Waren Sie allein in | |
einer Zelle? | |
Die ersten 15 Tage waren die schlimmste Zeit meines Lebens. Die Zelle war | |
1,5 Meter breit und 1,5 Meter lang. Ich konnte mich nicht ausstrecken. Es | |
war kalt und immer dunkel. Auf die Toilette durfte ich nur zweimal am Tag. | |
Wurden Sie geschlagen? | |
Natürlich. Ich musste sechs Stunden lang stehen. Sie schlugen mich immer | |
wieder mit einem Computerkabel. Sie zwingen dich, etwas zu gestehen, was du | |
gar nicht weißt. Schließlich bringen sie dich dazu, ein Papier zu | |
unterzeichnen … | |
… ein Geständnis … | |
Ich habe es am 15. Tag unterschrieben, dann ließen sie mich in Ruhe. Schon | |
am 16. Tag durfte mich meine Mutter besuchen. | |
Danach … | |
… hörte die Folter auf, nach zwei Monaten wurde ich in der Haftanstalt | |
verlegt. Dort durften die Häftlinge auf die Toilette, wann sie wollten. | |
Wissen Sie, wie wichtig das für einen Menschen ist? Außerdem konnten wir | |
entscheiden, wann wir duschen. Die Häftlinge nennen diesen Ort „Sheraton“, | |
nach dem 5-Sterne-Hotel in Addis Abeba. Dann haben sie mich in ein anderes | |
Gefängnis gebracht. Ich begann, meine Erlebnisse aufzuschreiben. Es gelang | |
mir, meine Notizen nach draußen zu schmuggeln. | |
Sie haben inzwischen ein Buch über Ihre Haft veröffentlicht … | |
Ja, es war allerdings überaus schwierig und langwierig, einen Verleger zu | |
finden. Der Inhalt ist zwar nicht illegal, aber wer möchte schon auf die | |
schwarze Liste der Regierung kommen? Inzwischen ist die zweite Auflage | |
erschienen. | |
Sie haben nach Ihrer Haft versucht, die Zeitschrift wieder zu beleben … | |
Ja. Aber die Behörden warfen mir vor, die Mehrwertsteuer nicht deklariert | |
zu haben. Deshalb müsse ich bestraft werden. | |
Steuern für eine Zeitschrift, die nicht mehr erscheint, weil ihre | |
Redakteure hinter Gittern sitzen oder ins Ausland geflohen sind? | |
Genau. Ich habe Widerspruch eingelegt. In der Zwischenzeit habe ich mich | |
dann als Keramikhändler durchgeschlagen. | |
Äthiopien hat eine neue Regierung, die liberaler zu sein scheint. Sie hat | |
jüngst Journalisten und Oppositionelle freigelassen. | |
Das stimmt. Sie ließen mehr als 6.000 Menschen laufen. Nach heftigen | |
Demonstrationen wurde der Premierminister ausgewechselt. Die Partei ist | |
allerdings noch immer die gleiche: die Revolutionäre Demokratische Front | |
der Äthiopischen Völker, die das Land nun seit 27 Jahren regiert. Wir | |
hoffen auf einen Wandel, aber ein wirklicher Wandel stellt sich womöglich | |
nicht ein. | |
Warum nicht? | |
Die Person an der Spitze ist eine andere, das undemokratische System aber | |
ist das gleiche. Gesetze beschränken zum Beispiel die Existenz einer | |
lebendigen Zivilgesellschaft. Das Antiterrorismusgesetz sollte auch | |
verschwinden. Von Pressefreiheit kann noch nicht die Rede sein. Aber die | |
Menschen hoffen, dass der neue Premierminister das System verändern wird. | |
Sie sind zum ersten Mal in Europa. Was hat Sie am meisten überrascht? | |
In Äthiopien hieß es, die Deutschen seien sehr unfreundlich, schwierig im | |
Umgang und ablehnend gegenüber Fremden. Das Gegenteil ist der Fall. Die | |
Leute sind zudem sehr ehrlich: Sie kaufen Tickets für Busse und Bahnen, | |
obwohl kaum jemand kontrolliert. | |
Frage: Was haben Sie in Ihrer Zeit in Berlin gemacht? | |
Ich habe mehr als die Hälfte meines zweiten Buches über die Haft geschafft | |
und daran gearbeitet, die Zeitschrift wieder herauszubringen. Außerdem habe | |
ich einige Onlinekurse in Printjournalismus und Internetsicherheit belegt. | |
Solomon Taffese musste seinen Aufenthalt in Berlin schon nach zwei der drei | |
Monate abbrechen. Die Behörden in Addis Abeba verlangten, dass er die im | |
Interview erwähnte Strafe bezahlt und dabei persönlich erscheint. Es ging | |
um 3.000 Euro. Wenn er nicht bezahlen würde, könnte ihm verboten werden, | |
jemals wieder eine Zeitschrift zu veröffentlichen, fürchtet er. Das | |
Interview haben wir kurz vor seiner Abreise geführt. | |
Andreas Lorenz hat viele Jahre für den „Spiegel“ und zahlreiche | |
Tageszeitungen als Auslandskorrespondent berichtet. Seit 2011 engagiert er | |
sich bei der taz Panter Stiftung als Kuratoriumsmitglied für die Ausbildung | |
von JournalistInnen. | |
2 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Lorenz | |
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