# taz.de -- Martin Reichert Herbstzeitlos: Herta war einfach härter | |
Herta hieß so, weil sie härter war. Herta hatte goldene Füßchen. Hertas | |
eher hässliches Antlitz musste man immer bedeckt halten. Denn Herta war | |
alt. Herta war gebraucht. Und jetzt hat sie mich verlassen, zermalmt wurde | |
sie vom gefräßigen Reiß- und Quetschwerk am Heck eines orangenen Müllwagens | |
der Berliner Straßenreinigung. | |
Herta war ein lindgrünes Sofa, und den Namen hatte es schon von den | |
Vorbesitzern erhalten, einem freundlichen, nervösen, dauerkiffenden Paar | |
aus Ostberlin. Sie fanden Herta eigentlich von Anfang an zu hart und hatten | |
sie daher bereitwillig und ohne Ablöse hergegeben. Zehn Jahre lang hatte | |
sie nun ihr Gnadenbrot bei mir erhalten, komplett eingehüllt in | |
„Indira“-Decken von Ikea und drapiert mit großen Kissen. Derart aufgetakelt | |
sollte sie Mittelklassezugehörigkeit in meinem Haushalt simulieren, in | |
dessen Budget ein Designersofa schlicht nicht vorgesehen ist. | |
Aber es hat auch so gut funktioniert mit Herta. Als wir zusammenkamen, | |
hatte man noch Motorola-Klappmobiltelefone und statt eines Smartphones oder | |
Tablets schleppte man seinen weißen, zwei Kilo schweren Mac in riesigen | |
Umhängetaschen durch die Gegend. Obama wurde Präsident der Vereinigten | |
Staaten und alle dachten, dass Jesus auf die Erde hinabgestiegen sei. Die | |
Finanzkrise erreichte ihren Höhepunkt, aber dank „Indira“ würde man das | |
schon nicht so merken. Auch in Berlin trat 2008 das offizielle Rauchverbot | |
in Kraft, an das sich fürderhin kein Mensch halten würde. In einer | |
Herta-Ritze fand ich tatsächlich eine Zigarettenkippe, obwohl ich seit zwei | |
Jahren nicht mehr rauchte. Es wurden lustige Partys gefeiert in der | |
Wohnung. Und auf und mit Herta. | |
Als ich Herta zuletzt sah, stand sie nackt und schutzlos in der Mitte des | |
Wohnzimmers, über und über von Staub und Schutt bedeckt. Meine alte Wohnung | |
wird „luxussaniert“, wenn sie fertig ist, wird sie das doppelte kosten. Wer | |
hier einzieht, kann sich sicher auch ein Sofa von Minotti leisten und | |
befindet sich auf der richtigen Seite der auseinanderdriftenden Schere | |
zwischen Arm und Reich. | |
Vom Müllwerker bekam ich einen Anschiss Berliner Art, grob im Ton, hart in | |
der Sache aber nicht böse gemeint: Wie man denn bitte so bescheuert sein | |
könne, jemandem zuzumuten, einen solch dreckigen, schuttbedeckten Kram die | |
Treppen herunterzutragen? Hatte er ja völlig recht. Ich entschuldigte mich, | |
obwohl ja nicht ich das Sofa mit Schutt bedeckt hatte, sondern die | |
luxussanierenden Handwerker, Herr Finster und Herr Altmann. Aber das Eis | |
war gebrochen. Über dem siechen Korpus von Herta kamen wir ins Gespräch. Er | |
erzählte mir von seiner französischen Bulldogge. Seinem kleinen Garten im | |
Erdgeschoss, den er sich mit seinem Lebensgefährten schön gemacht hat. | |
Schließlich fragte er: „Ziehst du mit deinem Freund zusammen?“ Das konnte | |
ich bejahen, und er freute sich. | |
Als er Herta schließlich die Treppen hinab ihrem Schicksal | |
entgegenwuchtete, fiel der Abschied gar nicht mehr so schwer. | |
24 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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