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# taz.de -- nord🐾thema: Sackgasse oder keine
> Ausbildungsabbruch – in Hamburg schmeißt mehr als jeder vierte Azubi die
> Lehre hin. Das kann am Mehr an Möglichkeiten in einer Großstadt liegen,
> an falschen Vorstellungen vom Beruf oder schlicht fehlenden
> Informationen. Und manche Arbeitgeber sehen das alles bemerkenswert
> gelassen
Bild: Weitermachen oder nicht? Die Entscheidung, welcher Weg in den Beruf führ…
Von Philipp Nicolay
Schlechte Betreuung, eintönige Aufgaben, unfreundlicher Ton, zu viele
andere Optionen oder schlicht zerstörte Illusionen über den Beruf: Dies
alles, und wahrscheinlich noch viel mehr, können Gründe sein, wenn eine
Berufsausbildung abgebrochen wird. Geschieht das, ist es meist für beide
Parteien frustrierend – für die Ausbildungsbetriebe und die Auszubildenden.
In Hamburg gehört die Abbrecherquote deutschlandweit zu den Höchsten, hier
wirft mehr als jeder vierte Azubi hin. In manchen Berufen sollen es sogar
noch deutlich mehr Ausbildungsabbrüche sein. So beendet in der Hamburger
Hotellerie und Gastronomie nur rund die Hälfte der Azubis ihre Ausbildung
bei ihrem Einstiegsbetrieb. In der Branche gebe es „in der Touristenstadt
Hamburg eine besonders hohe Nachfrage nach billigen Arbeitskräften“, sagt
Kay Beiderwieden, Bildungsexperte der Linkspartei – und dafür müssen oft
Auszubildende herhalten.
Qualität in Hamburg: mau
Für den Sozialwissenschaftler ist die Ausbildungsqualität in Hamburg in
vielen Berufen schlecht. Azubis müssten dort teilweise zu lange arbeiten
und viele würden nicht angemessen betreut. Das durchschnittliche
Einstiegsalter für die Ausbildung liegt in Hamburg bei 20 Jahren, also
sehr hoch. „Manche Gastro-Betriebe stellen gar keine Jugendlichen unter 18
Jahren ein“, sagt Beiderwieden – „weil sie dann nicht mehr das
Jugendarbeitsschutzgesetz beachten müssen.“ Und selbst bei eklatanten
Verstößen weiß der Experte kaum von Fällen, in denen einem Hamburger
Betrieb die Ausbildungslizenz entzogen worden sei.
Ein wichtiger Grund für die hohe Abbrecherquote ist aus Sicht des Deutschen
Gewerkschaftsbundes auch die Bezahlung vieler Lehrlinge. Es gelte die
Faustformel: Wer zu wenig verdient, schmeißt schneller hin. Auf dem
DGB-Bundeskongress wurde daher ein Mindestlohn für Azubis gefordert, im
ersten Lehrjahr wären es 635 Euro monatlich. „Ich könnte ihnen eine Reihe
von Betrieben aufzählen, bei denen das nicht der Fall ist“, sagt Lars
Geidel, Jugendbildungsreferent beim DGB. Als Referenzgröße für die
Empfehlung diente übrigens die durchschnittlichen Tarifvergütung aller
Berufe in Deutschland – abzüglich 20 Prozent. Eine solche Differenz von bis
zu einem Fünftel sehen auch Gerichte noch als angemessen an, begründet der
DGB. Gerade in Großstädten müsse es aber mehr Unterstützung geben, schon
wegen der höheren Lebenshaltungskosten.
Auf den Dialog zwischen Betrieben und Auszubildenden setzt die Hamburger
Handelskammer: „Wir sind nicht die Ausbildungspolizei“, sagt Fin Mohaupt,
verantwortlich für Aus- und Weiterbildung. Die Kammer kann rein rechtlich
in kritischen Fällen nicht agieren, sondern nur Mängel rügen. Manchmal,
sagt Mohaupt, würde auch er sich mehr Möglichkeiten wünschen.
„Viele Jugendliche, die aussteigen, beginnen danach eine duale Ausbildung
oder entscheiden sich zu studieren“, sagt Mohaupt. Er beobachte
Versäumnisse, was die Attraktivität der beruflichen Ausbildung angeht, etwa
im Vergleich mit dem Studium. „Gerade in der Wirtschaft fehlt die klare
Botschaft, dass wir so viele Wirtschaftspsychologen mit
Universitätsabschluss gar nicht brauchen.“ Es müsse stärker vermittelt
werden, dass das Beste nicht für jeden ein Studium sei.
Idealer Lebenslauf? Nebensache
Gegen ein Studium entschieden hat sich Stina-Josefine Pietz – und für eine
Ausbildung beim Finanzamt Stade. „Die Betreuung in meiner Ausbildung soll
auf Augenhöhe stattfinden.“ Sie habe besonders gute Erfahrungen mit
jüngeren Betreuern gemacht, die selbst erst ein paar Jahre zuvor ausgelernt
hatten. In ihrem Freundeskreis sei das Thema Ausbildungsabbruch durchaus
präsent, erzählt Pietz. Einige ihrer Freunde seien „enttäuscht“ gewesen,
weil sie im ersten Ausbildungsjahr in ganz anderen Bereichen eingesetzt
worden seien, „als vorab besprochen“.
Unternehmen bemängeln inzwischen vor allem fehlende Kompetenzen
potenzieller Azubis, das können Mathekenntnisse sein, aber auch Soziales:
„Mit der mittleren Reife sind die Auszubildenden oft noch nicht reif
genug“, sagt Sabine Ernst vom Berliner Räder- und Rollenhersteller
Räder-Vogel, der sich Mitte Mai auf der Hamburger Azubi-Messe „Vocatium“
präsentierte. Bei Bewerbungen schaue man inzwischen nicht mehr auf die
Zensuren. Viel wichtiger sei etwa die Auflistung von Fehltagen, seien sie
entschuldigt oder nicht. Den klassischen, geraden Lebenslauf verlangt Ernst
von Bewerbern nicht. „Wir haben in den letzten Jahren auch schon sehr gute
Azubis mit krummen Lebensläufen gefunden.“
Nicht nur Cola-Kisten schleppen
Andreas Schüler unterrichtet als Lehrer an einer Schule in Hamburg-Harburg.
Er weiß um Probleme, wenn seine Schüler*innen begleitende Langzeitpraktika
absolvieren: Man wolle, dass die Jugendlichen etwas lernen, sagt er, „und
nicht nur den ganzen Tag Cola-Kisten schleppen müssen“. Er sieht neben den
Betrieben vor allem das Bildungssystem in der Pflicht: „Wir müssen bei uns
an der Schule aufpassen, dass wir am Ende auch wirklich ausgebildete
Fachabiturienten haben.“ Der Lehrer hat manchmal den Eindruck, dass viele
Studierende an der Uni erst mal ihr Abitur nachholen müssen.
Hamburgs Handwerkskammer sieht den Negativtrend bei abgebrochenen
Ausbildungen vorerst gestoppt: Für das vergangenen Jahr habe die Kammer
weniger Vertragsauflösungen registriert als noch 2016, sagt Sprecherin Ute
Kretschmann. „Die Bereitschaft zu wechseln, ist höher als in Zeiten mit
wenig Bedarf und viele Bewerbern.“ Es sei kein Drama, wenn sich Azubis
umentscheiden – an Universitäten passiere Entsprechendes ja auch ständig.
„Nicht wünschenswert“, nennt dagegen Birger Kentzler, Obermeister der
Hamburger Friseur-Innung, den Betriebswechsel von Auszubildenden. Oft habe
es damit zu tun, dass das Verhältnis nicht passe oder die Azubis sich unter
dem Beruf etwas anderes vorgestellt hätten. Kentzler wünscht sich, dass
eine Einstellung sich wieder in der Gesellschaft verfestige: Was man
begonnen hat, zieht man durch.
„Unser duales Ausbildungssystem ist eine gelungene Idee“, sagt Lars Geidel
vom DGB. In Europa gelte dieser deutsche Weg immer noch als Vorzeigemodell.
Aber das System muss sich aus Sicht des Gewerkschafters an vielen Stellen
verbessern – sonst werden sich in Zukunft noch mehr Schulabgänger gegen
eine Ausbildung entscheiden und stattdessen ein Hochschulstudium beginnen.
2 Jun 2018
## AUTOREN
Philipp Nicolay
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