# taz.de -- Entkommen gibt es nicht | |
> Er glaubte nicht an objektive Bilder: Wie Peter Watkins mit Re-Enactment, | |
> Mockumentary und Katastrophenszenarien die Dokumentation aufmischte, | |
> zeigt eine Werkschau im Wolf | |
Bild: Szene aus dem radikalen Katastrophenszenario „Punishment Park“Foto: K… | |
Von Toby Ashraf | |
„Subversiv“, „radikal“, „kritisch“, „relevant“ und „kontrover… | |
Worten in roter Schrift vor schwarz-weißem Hintergrund beschreibt das Wolf | |
Kino zurzeit auf Plakaten das Werk eines Regisseurs, den kaum jemand kennt. | |
Peter Watkins, Jahrgang 1935, ist britischer Filmemacher, Aktivist und | |
Medientheoretiker, der im filmischen Kanon quasi nicht vorkommt. 19 Filme | |
hat er von 1956 bis 1999 gemacht. Sein kürzester, „The Diary of an Unknown | |
Soldier“ von 1959, ist 17 Minuten lang; sein längster Film, „The Journey“ | |
hat eine Lauflänge von 873 Minuten, also mehr als 14 Stunden. Watkins’ | |
letzter Film, eine fast sechsstündige Erzählung über die Pariser Kommune | |
von 1871 („La Commune (Paris, 1871)“, 1999) liegt fast 20 Jahre zurück. | |
Eine vollständige Restrospektive von Peter Watkins’ Filmen hat es bislang | |
in Deutschland nicht gegeben. | |
Kristopher Woods, der sich zusammen mit dem Filmemacher Marcin Malaszczak | |
als Kurator der Reihe „Wahrsager im Film: Peter Watkins“ verantwortlich | |
zeigt, war es eine Herzensangelegenheit, Watkins’ Werk neu zugänglich zu | |
machen und mit der Werkschau an zeitgenössische Konflikte und | |
Fragestellungen anzuknüpfen. | |
Es brauchte einiges an Durchhaltevermögen, das komplette Werk eines in den | |
Fernseh- und Filmarchiven der Welt verstreuten und nicht eben liebevoll | |
gepflegten Filmemachers zugänglich zu machen. Woods und seine Kolleg*innen | |
ließen DCPs bislang nicht digitalisierter Filme erstellen, überarbeiteten | |
Untertitel neu und stellten ein Rahmenprogramm zusammen, das Peter Watkins’ | |
Leidenschaft für den kritischen Diskurs ernst nimmt. Neben | |
Filmeinführungen, Vorträgen, einem Workshop und einer Ausstellung hat das | |
Wolf Kino mit dem Buch „New Perspectives on Peter Watkins: Future | |
Revolutions“ das erste englischsprachige Buch zu Peter Watkins seit 1979 | |
herausgebracht und zudem das erste Buch, das sich allen seinen Filmen | |
widmet. | |
Watkins ist nicht nur politischer Filmemacher, das wird in der | |
Retrospektive deutlich, sondern auch Vorreiter filmischer Mischformen wie | |
der Mockumentary oder des Re-Enactments, also eines Nachstellens oder | |
Inszenierens innerhalb des Dokumentarfilms. Sind wir heute durch | |
Horrorfilme wie „Blair Witch Project“, und Fernsehserien wie „The Office�… | |
daran gewöhnt, keinem dokumentarisch wirkenden Bild mehr zu vertrauen, war | |
Watkins in den 1960ern einer der Ersten, der es verstand, sein Publikum mit | |
dystopischen, aber real wirkenden Geschichten wachzurütteln. | |
„The War Game“, eine Fernsehproduktion der BBC von 1965, spielt das | |
Schreckensszenario des Kalten Krieges durch. Was wäre, wenn die nukleare | |
Katastrophe Großbritannien erreichen würde? In drastischen Bildern und im | |
Gewand einer Fernsehreportage sehen wir Kinder erblinden, Menschen | |
verbrennen und beobachten, wie zivile Opfer eines Atomangriffs auf | |
Großbritannien massenweise aus den Städten gekarrt werden. Ursprünglich | |
sollte „The War Game“ am 7. Oktober 1965 von der BBC ausgestrahlt werden, | |
wurde dann aber zurückgezogen und 20 Jahre lang verbannt. Zu verstörend | |
waren die visionären Bilder des Filmes, zu effektvoll die Inszenierung | |
Watkins’, die damals noch wesentlich schwieriger von einer normalen | |
Reportage zu unterscheiden war. | |
## Im rechtsfreien Raum | |
Noch radikaler war später „Punishment Park“, ein weiteres | |
Katastrophenszenario, in dem junge Friedens- und | |
Menschenrechtsaktivist*innen in den USA in einem rechtsfreien Raum in der | |
Mojave-Wüste, dem Strafpark, der willkürlichen Gewalt eines überforderten, | |
faschistischen Polizei- und Militärapparates ausgeliefert sind. Ein | |
Entkommen gibt es nicht; den jungen Hippies, Frauenrechtlerinnen und | |
Black-Rights-Aktivist*innen werden alle Rechte entzogen und sie werden als | |
Freiwild buchstäblich in die Wüste geschickt. All das wird im Stil des | |
Direct Cinema eingefangen und wirkt im Jahr 2018 erschreckend aktuell. | |
Guantánomo und der Patriot Act lassen grüßen, Trump und #blacklivesmatter | |
auch. | |
Später geht es bei Watkins unter anderem um den Maler Edvard Munch („Edvard | |
Munch“, 1974), den Schriftsteller August Strindberg („The Freethinker“, | |
1994) und den ersten Golfkrieg („The Media Project“, 1991). Immer geht es | |
aber auch um die filmische Form. An objektive Medienbilder und klassisches | |
Kino glaubt Watkins nicht. Es wird mit Laien gearbeitet, Schauspieler | |
fallen aus ihren Rollen oder Genres werden bewusst gegen den Strich und | |
damit die Sehgewohnheiten gebürstet. Ob das heute noch kontrovers oder | |
relevant ist, muss das Publikum letztlich selbst entscheiden. Dass Watkins’ | |
Filme inhaltlich und formell radikal sind, seine Botschaften subversiv und | |
seine Haltung kritisch, steht außer Frage. | |
Bis 30. Juni läuft die Watkins-Werkschau im Wolf Kino, Weserstraße 59 | |
11 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Toby Ashraf | |
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