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# taz.de -- „Einsamkeit tut weh“
> Der Psychiater Manfred Spitzer über den Unterschied zwischen allein
> einsam sein und wieso die Einsamen früher sterben
Interview Tobias Scharnagl
taz: Herr Spitzer, in Ihrem Buch schreiben Sie: „Die Einsamkeit ist
schmerzhaft, ansteckend und tödlich.“ Wie kommen Sie zu dieser Aussage?
Manfred Spitzer: Keinen haben diese Erkenntnisse aus den letzten Jahren
mehr bewegt als mich. Sie sind ja nicht von mir, sondern wurden in
internationalen Fachjournalen publiziert.
Wieso stufen Sie Einsamkeit als Krankheit ein?
Nun, wie würden Sie ein Phänomen nennen, das schmerzhaft, ansteckend und
tödlich ist? Mir kam es darauf an, die Menschen wachzurütteln. Die Daten
sind, wie sie sind. Das hat mit „Angstmache“, wie mir zuweilen vorgeworfen
wird, nichts zu tun!
Sind Sie einsam?
Jeder ist gelegentlich einsam, etwa so, wie jeder gelegentlich
Zahnschmerzen hat. Wichtig ist, dass das ein vorübergehender Zustand ist,
der uns veranlasst, etwas dagegen zu tun: Wir gehen auf andere zu, reden
miteinander, werden offener. Krankhaft wird es, wenn der Zustand chronisch
wird und dunkle Gedanken hinzukommen wie: „Denen bin ich doch nur lästig.“
Das führt dazu, dass man sich noch weiter zurückzieht – ein Teufelskreis.
Was ist der Unterschied zwischen allein und einsam?
Allein sein, man spricht auch von sozialer Isolation, meint die objektive
Tatsache. Einsamkeit bezieht sich auf das subjektive Erleben. Beides kann
zusammengehen, muss aber nicht. Es Leute, die in der Menge baden und einsam
sind. Umgekehrt gibt es Menschen, die oft allein sind oder das Alleinsein
suchen, sich aber nicht einsam fühlen.
Wie definieren Sie Einsamkeit?
Gar nicht. Jeder kennt das Gefühl.
Was geht im Kopf vor, wenn wir einsam sind?
Das Schmerzzentrum wird aktiviert. Dieser sehr unerwartete Befund zeigt,
dass wir beim Reden vom Abschiedsschmerz oder davon, dass Einsamkeit
schmerzt, nicht – wie früher gedacht – metaphorisch reden, sondern angeben,
wie sich das anfühlt: Es tut weh.
Erst tut es weh, dann bringt es mich um?
Das Erleben von Einsamkeit geht mit Stress einher. Der wiederum ist akut
lebensrettend, denn Blutdruck und Blutzuckerspiegel werden erhöht. Alles
Unwichtige, das nicht der Rettung dient, wird heruntergeregelt:
Immunabwehr, Wachstum, Verdauung, Reproduktion. Aber: Werden Einsamkeit und
Stress chronisch, Blutdruck und -zucker dauerhaft erhöht, das Immunsystem
geschwächt, dann bedeutet dies eine erhöhtes Risiko für die ohnehin
häufigsten Krankheiten: Schlaganfälle, Herzinfarkte, Krebs, Infektionen.
Das ist letztlich der Grund, warum Einsamkeit eher eine Erhöhung der
Sterbewahrscheinlichkeit verursacht als zum Beispiel Übergewicht, Rauchen
oder Alkoholgenuss.
Die Einsamkeit gehört zum Menschsein. Können wir uns trotzdem wehren?
Bei akuter Einsamkeit steuern wir automatisch gegen. Selbst bei chronischer
Einsamkeit gibt es Wege aus dem Teufelskreis. So ist beispielsweise das
Hilfeleisten ein guter Weg zurück aus der Einsamkeit. Negative Gedanken wie
„Mich will eh keiner“ stellen sich kaum ein, wenn man Kindern vorliest oder
Bedürftigen einen Teller Suppe bringt.
Ihr letztes Buchkapitel heißt: „Einsamkeit suchen“. Warum das nun wieder?
Das Kapitel ist bewusst paradox überschrieben. Es soll klare Hinweise
geben, wo man die Einsamkeit suchen muss, um sie los zu werden. Erstens:
draußen. Zweitens: in der Natur.Neue Studien belegen: Sie gehen (allein) in
den Wald –– und kommen freundlicher, zugewandter, offener für andere und
sogar hilfsbereiter wieder heraus. Diese Einsicht hatte Immanuel Kant schon
vor 200 Jahren. Die Pfadfinder wussten das vor 100 Jahren auch schon. Heute
müssen es Psychologen experimentell wieder nachweisen, damit wir die
Bedeutung der Natur für unser seelisches und soziales Wohlbefinden für uns
wieder erkennen.
Manfred Spitzer liest aus seinem neuen Buch „Einsamkeit, die unerkannte
Krankheit“: Mittwoch, 16. 5., 19 Uhr, Freie Akademie der Künste,
Klosterwall 23, Hamburg
12 May 2018
## AUTOREN
Tobias Scharnagl
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