# taz.de -- handelszölle: Kein Freibrief für Ausbeutung | |
> Trumps Androhung von Strafzöllen kann man nicht mit Gegenmaßnahmen | |
> kontern, sondern nur mit Initiativen für ein anderes Handelssystem | |
Als der damalige SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Sommer 2016 TTIP | |
für tot erklärte, erwarteten die wenigsten, dass ein halbes Jahr später | |
Donald Trump ins Weiße Haus einziehen würde. Gabriel erklärte TTIP für tot, | |
weil sich bei den Verhandlungen nichts mehr bewegte. Es war der massive | |
öffentliche Druck auf beiden Seiten des Atlantiks, der die geplanten Deals | |
unmöglich machte: Sie waren gesellschaftlich nicht durchsetzbar. | |
Das ist keine zwei Jahre her. Umso absurder sind die Debatten, die heute im | |
politischen Berlin geführt werden angesichts der Drohungen der | |
Trump-Regierung mit Strafzöllen für Stahl und Aluminium. Hätte man doch | |
TTIP, dann käme Trump damit nicht durch, wollen uns die ganz Schlauen nun | |
weismachen. Warum aber sollte Trump ein TTIP-Abkommen respektieren, wenn er | |
die WTO-Abkommen schlicht ignoriert? | |
Trumps gezielte Machtpolitik zeigt vielmehr, wie sehr sich Europas | |
Regierungen verkalkuliert haben: Mit TTIP wollten sie mehr Marktzugang in | |
den USA für ihre Industrie- und Dienstleistungsexporte, mit anderen Worten: | |
den Exportüberschuss der Europäischen Union weiter ausbauen. Dafür hätte | |
man natürlich Konzessionen gemacht, etwa beim Marktzugang für | |
US-Agrarexporte in Europa. Aber nun verhandeln die Europäer mit den USA | |
über die Aufrechterhaltung des Status quo beim Marktzugang in den USA – | |
sozusagen ein einseitiges TTIP, bei dem nur die EU Zugeständnisse anbietet: | |
geringere Zölle für amerikanische Autos, einen besseren Zugang für | |
Agrarprodukte oder sogar höhere Ausgaben für die Nato. Die Gerüchteküche | |
kocht, aber eins ist allen klar: Trump wird Gegenleistungen dafür | |
verlangen, wenn er die EU von Strafzöllen ausnimmt. | |
Handelskriege haben keine Gewinner, nur Verlierer, heißt es jetzt aus | |
Brüssel und Berlin. Die Alternative ist aber nicht eine schrankenlose | |
weitere Marktöffnung und Deregulierung, wie sie die EU mit den 20 | |
Freihandelsabkommen plant, die sie noch in der Pipeline hat. Der globale | |
Konkurrenzkampf aller gegen alle ist ein Irrweg. Die Globalisierung nach | |
neoliberalem Muster, wie sie die letzten 25 Jahre gelaufen ist, erzeugt zu | |
viel Ungleichheit, hat zu viele Verlierer. | |
Die EU und insbesondere Deutschland setzen auf eine einseitige | |
Exportstrategie. Und wer eins und eins zusammenzählen kann, bemerkt: Es | |
können nicht alle Länder Exportweltmeister sein. Die Defizitländer wiederum | |
häufen durch die Importe Schulden an, das ist auch innerhalb der EU ein | |
Problem. Für Entwicklungsländer kann es problematisch sein, wenn sie durch | |
Handelsabkommen dazu gezwungen werden, die Produktion von | |
Arzneimittel-Generika aufzugeben, oder Kapitalverkehrskontrollen aufgeben | |
müssen. Den Regierungen wird die Möglichkeit zur Regulierung genommen. So | |
hat die EU im Freihandelsabkommen mit Südkorea durchgesetzt, dass schärfere | |
Emissionsstandards für Autos nicht für europäische Autoimporte nach Korea | |
gelten sollen. Das Beispiel Stahl zeigt: Es wird in manchen Bereichen | |
global einfach zu viel produziert. | |
Die EU verteufelt zwar offiziell gerade den „Protektionismus“, handelt aber | |
selbst auch immer wieder protektionistisch, um die heimische Wirtschaft zu | |
schützen. Es ist halt manchmal doch nicht so schlecht, wenn nicht eine | |
gesamte Branche durch billige Konkurrenz aus einem anderen Land in den | |
Konkurs getrieben wird. | |
Es geht nicht um die platte Alternative „Protektionismus oder Freihandel“, | |
um Schwarz oder Weiß – so einfach ist es selten im Leben. Die Welt braucht | |
eine bessere Balance zwischen regionalen und globalen Märkten, und das | |
bedeutet unter dem Strich: weniger Liberalisierung in manchen Bereichen und | |
kluge Regeln in anderen. Ein Weltmarkt für Smartphones ergibt Sinn, ein | |
Weltmarkt für Milch ist Unsinn. Die immer stärkere Marktkonzentration in | |
bestimmten Branchen wie etwa im Agrobusiness ergibt keinen Sinn. Wenn der | |
Mittelständler aus Hessen seine Schrauben exportieren will, können | |
einfachere Regeln sinnvoll sein. Wichtig ist: Die Politik darf ihre | |
Regulierungsmöglichkeiten nicht immer weiter selbst abbauen und dem | |
globalen Konkurrenzkampf opfern. Die meisten Menschen haben das längst | |
verstanden, verschiedene Studien zeigen immer wieder, dass das Unbehagen | |
über die negativen Effekte der Globalisierung wächst. | |
Statt sich also Gegenmaßnahmen wie Zölle auf amerikanischen Bourbon-Whiskey | |
auszudenken oder bei Trump zu Kreuze zu kriechen, sollten die EU und ihre | |
Mitgliedstaaten lieber eine Initiative für Reformen des Welthandelssystems | |
starten. Statt weiterer bilateraler Handelsabkommen, die dazu dienen, | |
unsere Agrarüberschüsse zu exportieren, sollte die EU einen Reformvorschlag | |
vorlegen, der das Welthandelssystem und die WTO anhand bestimmter | |
Prinzipien wie Umwelt und Klima, Menschenrechte und ökonomische | |
Sinnhaftigkeit neu ausrichtet. Ein erster konkreter Schritt bestünde darin, | |
die Ratifizierung von Ceta zu stoppen und die laufenden Verhandlungen über | |
20 neue Freihandelsabkommen einzufrieren. | |
Die alten, vom neoliberalen Geist der vergangenen Jahre geprägten | |
Verhandlungsmandate sollten aufgehoben werden und in einem offenen, | |
demokratischen und transparenten Prozess neu aufgestellt werden. Ziel wären | |
Nachhaltigkeitsabkommen, mit denen der Handel auf die | |
UN-Nachhaltigkeitsziele, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz verpflichtet | |
wird. Öffentliche Dienstleistungen wären komplett ausgenommen, | |
Investor-Staat-Klagen beendet und das Vorsorgeprinzip verankert. Das | |
schafft eine vernünftige Balance zwischen regionalen Märkten und Weltmarkt. | |
Die EU würde damit zur Vorreiterin für die Transformation hin zu einem | |
Weltwirtschaftssystem, mit dem wir das Pariser Klimaabkommen und die | |
nachhaltigen Entwicklungsziele erreichen. Eine Weltwirtschaft, die mehr | |
Menschen Wohlstand bringt, ohne dabei die Grenzen unseres Planeten zu | |
sprengen. | |
3 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Anna Cavazzini | |
Jürgen Meier | |
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