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# taz.de -- Die Realität jenseits des Reißbretts – ein Gegennarrativ
> In der Münchener Ausstellung „African Mobilities“ geht es um koloniale
> Konsequenzen für den Raum
Bild: „Afro-Imaginaries“ (2017), Studierendenarbeit aus dem Global Africa L…
Von Luise Glum
Mücken können höchstens 500 Meter zurücklegen, dachte man damals. 500
Meter, das war der Abstand, der „Cordon sanitaire“, mit dem die Viertel für
die Bewohner schwarzer und weißer Hautfarbe der Stadt Lubumbashi errichtet
wurden. Sammy Baloji verarbeitet die Geschichte und Gegenwart seiner
Heimatstadt im Kongo in der Arbeit „Essay on Urban Planning“: Bis zur Decke
reichen seine schachbrettförmig angeordneten Fotografien, die die
rassistische Raumaufteilung der Segregation materialisieren. Verschiedene
Luftansichten der Stadt wechseln sich mit akkurat angeordneten
Insektenleichen ab, Sinnbilder für die dazwischenliegenden „kontaktfreien
Zonen“.
Seine Arbeit ist Teil der Ausstellung „African Mobilities. This is not a
Refugee Camp Exhibition“ in München, die sich mit der (post-)kolonialen
Vergangenheit und Gegenwart, Flucht und Vertreibung innerhalb Afrikas,
deren räumlichen Manifestationen und architektonischen Möglichkeiten
beschäftigt. Im Vorfeld fanden dafür sechs Workshops verteilt über den
Kontinent statt, aus denen die Kuratorin Mpho Matsipa die
Ausstellungsstücke zusammenstellte.
Dabei befindet sich der Besucher immer an der Schnittstelle zwischen
Vergangenheit und Zukunft, zwischen Problem und Lösung. Es wird klar, sie
sind untrennbar miteinander verzahnt. Die afrikanischen Staaten sind zwar
auf dem Papier unabhängig von ihren früheren Kolonialmächten, aber schon in
ihrer Geografie manifestiert sich die koloniale Grenzziehung, die damals
auf dem Reißbrett vorbei an jeglicher gesellschaftlicher Realität den
Nährboden für lang anhaltende Konflikte schuf. „Cartographic Entanglements�…
von Dana Whabira, Thembinkosi Goniwe und Nolan Oswald Dennis setzt dieser
Problematik eine neue Kartografie entgegen, die statt der Grenzen die
verbindenden Elemente Afrikas südlich des Äquators markiert. Die
vielschichtige Darstellung hat als zentrales Element die Eisenbahnlinie,
die nicht nur alle Städte auf der Karte verbindet, sondern die
Urbanisierung der Region geprägt hat. Geschaffen für den Transport von
Mineralien, ist sie ein Symbol für die Ausbeutung durch die Kolonialmächte,
aber auch eine Chance auf Mobilität, auf Kommunikation; ein Element das
Grenzen durchbricht, Orte und Kulturen verbindet.
Auch die Bewegungen des Handels sind Teil postkolonialer Strukturen, die
nicht nur die räumliche Verschiebung von Ressourcen und Waren betreffen;
sie determinieren vielerorts den Wohnort von Menschen. Es ist kein Zufall,
dass viele afrikanische Länder auf die Produktion von „cash crops“
ausgerichtet sind, die sie für Schwankungen der Weltmärkte anfällig machen
– die Kolonialmächte richteten deren Wirtschaft einzig nach eigenen
Bedürfnissen aus. Viele dieser Handelsbeziehungen bestehen bis heute – was
in der Installation „Island Crossings“ angesprochen wird: Für die
Kapverdischen Inseln ist ihr ehemaliger Besatzer Portugal bis heute einer
der wichtigsten Handelspartner. Patti Anahory und César Schofield Cardoso
setzen sich in der Arbeit mit den Zusammenhängen von Vertreibung und
Warenverkehr auf den Kapverden auseinander, wo Handelsbeziehungen
Hoffnungsbeziehungen, Vertreibung und Auswanderung symbolisieren.
## Wissensdekolonisierung
Wie sich Produktion und Handel in der Stadtentwicklung widerspiegeln, zeigt
„3x3 Meter: Geografien des Kitenge-Handels“. 3x3 Meter, das ist die
kleinste vermietbare Fläche in der Innenstadt von Kampala, Uganda, die
meist Geflüchteten aus dem Kongo für Herstellung oder Vertrieb ihrer
Stoffwaren dient. Der Mikrokosmos der Schneider und Händler ist Bühne für
sozialen und ökonomischen Austausch, aber auch Verbindung zum Makrokosmos
des internationalen Modemarkts – und ein Element, das die Architektur der
Stadt verändert.
Für die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit ist neben der
Auseinandersetzung mit der Besetzung und Ausplünderung geografischer
Territorien auch die Analyse epistemischer Gewalt zentral. Aufgrund
kolonialer Machtstrukturen wurde die gesamte Welt zum Forschungsobjekt
westlicher Gelehrter; Eurozentrismus, die Verallgemeinerung Europas als
originärer und privilegierter Raum des Modernen, setzte sich hartnäckig
fest – auch Wissen muss deshalb „dekolonisiert“ werden.
Einen Beitrag dazu soll die „Chimurenga Library on Circulations“ leisten,
die sowohl als Teil der Ausstellung als auch online zugänglich ist. Bereits
2009 startete das Projekt als Achiv für panafrikanische Zeitungen,
erweiterte sich aber bald auf multimediale Beiträge zu afrikanischer
Geschichte, Politik und Kultur. Das Projekt sieht sich als eine anhaltende
Intervention in die Produktion von Wissen, zeigt die Subjektivität der
Geschichtsschreibung, diskutiert Gegennarrative.
Es ist eine wenig emotionale Ausstellung, die in ihrer Nüchternheit mit
lösungsorientierten Ansätzen überzeugt. Für das Publikum einer europäischen
Großstadt bietet sie die Verknüpfung vergangener und gegenwärtiger
Problemstellungen, deren Kontexte immer über die Küsten des afrikanischen
Kontinents hinausgehen. Der Blick wird für einen Moment von der hiesigen
Berichterstattung zu Flucht und Migration mit europäischem Fokus abgelenkt,
um bald darauf in historischer Perspektive wieder zurückzukehren. Dabei
bieten verschiedene Medien eine abwechslungsreiche Ästhetik, die über rein
pragmatische, architektonische Konzepte hinausgeht.
Pinakothek der Moderne, München, bis 19.8.
30 Apr 2018
## AUTOREN
Luise Glum
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