# taz.de -- der rote faden: Freiheit für Nepomuk und den Herrgottswinkel! | |
Durch die Woche mit Klaus Raab | |
In dem kleinen Ort in Bayern, aus dem ich komme, stand lange eine | |
Steinstatue des heiligen Nepomuk an einer Bachbrücke. Eines Tages war sie | |
restaurierungsbedürftig; sie verschwand also, was in Ordnung war – bis | |
irgendwann auffiel, dass sie verschwunden blieb. Nepomuk stand nun an einem | |
geschützten Platz im Landratsamt. Das sei zu seinem Besten, hieß es. Aber | |
die Leute aus meinem Ort witterten, was Phase war: Die mächtige Kreisstadt | |
hatte sich unseren Nepi unter den Nagel gerissen. Kunstraub! | |
Identitätsdiebstahl! Da war was los. | |
Selbst Teenager, denen der Heilige bis dahin komplett schnurz gewesen war, | |
pappten sich nun „Freiheit für Nepomuk“-Aufkleber auf ihre Stoßstangen und | |
skandierten Slogans, die sich das Ortsmarketing nicht besser hätte | |
ausdenken können. „Das“ würden „wir“ uns von „denen da oben“ nich… | |
lassen. Es steckte viel Gefrotzel in der Auseinandersetzung, doch da war | |
auch ein interessanter Punkt: Die Selbstverortung und -verteidigung begann | |
just in dem Moment, in dem das Eigene verloren zu gehen drohte. | |
Die Geschichte ist mir in dieser Woche wieder eingefallen, als ich von | |
Bayerns Kreuz-Entscheid hörte. Der neue Ministerpräsident, Gott schütze | |
ihn, hat, wie man an jeder mecklenburgischen Fischbude mitbekommen haben | |
dürfte, verfügt, dass in bayerischen Behörden künftig Kreuze zu hängen | |
haben. Weniger in ihrer Eigenschaft als religiöses Symbol des Christentums | |
denn als „Bekenntnis zur Identität“ und zur „kulturellen Prägung“ Bay… | |
wie Markus Söder sagte. Damit brachte er eine Batterie von Leuten gegen | |
sich auf, die das für einen Wahlkampftrick zur Abgrenzung gegenüber dem | |
Islam erachten. Womit diese Leute zu 100 Prozent recht haben. | |
Die Aktion ist in ihrer Durchsichtigkeit wirklich erstaunlich armselig. Das | |
Markus-Kreuz will sagen, dass jene, die angeblich grenzenlos ins Land | |
drängten, obwohl deren Religion angeblich nicht zu Deutschland gehöre, | |
nicht die Oberhand gewinnen werden. Es ist das Zeichen der Kompensation | |
eines eingebildeten Verlusts. | |
Trotzdem glaube ich, dass Söder schlau handelt (nicht zu verwechseln mit | |
klug). Man zeige im Bekanntenkreis ein Foto eines Herrgottswinkels herum | |
und frage: Wo ist das? Die Antwort wird sein: in Bayern. Es stimmt, wenn | |
Söder sagt, das Kruzifix sei kulturell prägend. | |
Seine Einlassungen mag man in bayerischen Universitäten, | |
Oppositionsparteien und auch Pfarrhäusern also albern, billig, bigott, | |
blasphemisch, verfassungsrechtlich grenzwertig, zum Kotzen oder gefährlich | |
finden – da ist die Erregungsspirale nach oben offen. Er dürfte bei denen, | |
die er ansprechen will, damit aber schon intuitiv verstanden werden: Kreuz | |
= Heimat – Islam = nicht Heimat. | |
Dass solches Identitätsmarketing funktioniert, ist einer der Gründe dafür, | |
warum die Diskussionen über den Heimatbegriff nicht enden. Auch diese Woche | |
verging nicht ohne Interviews speziell dazu, gern mit irgendwelchen Grünen. | |
Heimat. Heikles Terrain. Das Wort ist beladen mit Ideen von tradierter | |
Zugehörigkeit, die schon muffig waren, als die Heimatfilm-Mädchen vom | |
Immenhof in den Siebzigern letztmals ihre Ponys zuritten. Zugleich ist es | |
ein stinknormales Wort, das ständig in jeder Zeitung steht, ohne dass sich | |
jemand wundert. | |
Die Grünen haben schon vor knapp zehn Jahren darüber beratschlagt, ob sie | |
den Heimatbegriff denen überlassen sollten, die damit hantieren wie die | |
Maurer: Wall hochziehen, wir rein, die raus. Oder ob man „Heimat“ anders | |
verstehen und dann als gesellschaftlichen Klebstoff gegen die Spaltung | |
einsetzen kann. | |
Das war bislang freilich nur mittelmäßig erfolgreich. Ministerien, die die | |
Heimat im Titel tragen, sind im CSU-geführten Bayern, im CDU-geführten | |
Nordrhein-Westfalen und in der unionsgeführten Bundesregierung entstanden. | |
Ein Grüner in Berlin ist dafür der Erste, der als Senator explizit für | |
Antidiskriminierung zuständig ist. Fremdworte gehen ihnen irgendwie | |
leichter über die Lippen, den Grünen. | |
Wenn Markus Söders Kruzifix-Aktion aber eines zeigt, dann doch, dass eine | |
Politik der Antidiskriminierung und des Mauerabrisses gebraucht wird, wenn | |
diese Spalterei mit ausgedachten Problemen eingedämmt werden soll. Dass sie | |
aber, damit sie nicht nur bei denen verfängt, bei denen sie ohnehin | |
verfängt, ein wenig volksparteilicher vermittelt werden müsste. Zum | |
Beispiel, indem man sie Heimatpolitik nennt. | |
Frei nach dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, | |
der sich Ende 2016 die „Heimat“ auf seine Wahlplakate druckte: „Heimat | |
braucht Zusammenhalt“, oder: „Wer unsere Heimat liebt, spaltet sie nicht“. | |
Heimat definierte er so: Das sei der Ort, an dem die, die schon da waren, | |
und die, die neu da sind, gut zusammen leben. | |
Nächste Woche Johanna Roth | |
28 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Klaus Raab | |
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