# taz.de -- China macht die Schotten dicht | |
> Die chinesische Regierung schränkt den Kontakt mit akademischen | |
> Institutionen und Stiftungen aus dem Ausland immer stärker ein. Damit | |
> will sie den westlichen Einfluss verringern. In Deutschland sieht man die | |
> chinesische Abschottung mit Sorge | |
Bild: Forschende aus dem Ausland befürchten Probleme ein Visum für China zu b… | |
Von Sebastian Kränzle | |
„Schon wieder!“ Der Projektleiter einer in China tätigen deutschen Stiftung | |
ist frustriert. Seit Wochen wartet er darauf, dass die für eine Konferenz | |
in China angedachte Referentin ihr Visum zur Einreise in die Volksrepublik | |
erhält. Doch die Nachricht bleibt aus. Der Antrag wird irgendwann | |
zurückgezogen und die Konferenz muss ohne die Referentin aus Deutschland | |
auskommen. | |
Was der Projektleiter, der anonym bleiben möchte, beschreibt, ist eine | |
Alltagserfahrung bei deutschen Institutionen und Stiftungen. Sie beklagen | |
die zunehmenden Einschränkungen bei ihrer Arbeit in China. Nicht erteilte | |
Visa, Druck auf die inhaltliche Arbeit bei Konferenzen und Hemmnisse gegen | |
ausländische Organisationen. Unklar ist allerdings, ob dies lediglich ein | |
Nebenprodukt der laufenden Antikorruptionskampagne ist – oder ob sich | |
dieser Kurs gezielt gegen die Arbeit ausländischer Institutionen richtet. | |
Wie viele deutsche Stiftungen wollen sich auch die chinesischen Betroffenen | |
nicht öffentlich dazu äußern. In Wissenschaftskreisen wird vermutet, dass | |
die nicht erteilten Visa ein Signal an die deutsche Regierung sein sollen. | |
Denn bei Stiftungen herrscht schon lange Unmut darüber, dass oft auch | |
Chinesinnen und Chinesen Probleme haben, ein Visum für eine Konferenz in | |
Deutschland zu erhalten. Das deutsche Auswärtige Amt will dies nicht | |
bestätigen, man führe keine Zahlen über abgelehnte Visaanträge im | |
wissenschaftlichen Kontext. | |
Warum die chinesische Regierung die Zügel anzieht, ist nicht ganz klar. | |
Doch der Zeitpunkt der Maßnahmen gegen ausländische Organisationen lässt | |
weitere Schlüsse zu. Denn die Verschärfungen nahmen nahezu zeitgleich mit | |
dem Amtsantritt des Staatspräsident und KP-Generalsekretär Xi Jinping zu. | |
„Das ist ein schleichender Prozess seit 2013“, sagt Kristin Shi-Kupfer, | |
Leiterin des Forschungsbereichs Politik beim China-Think-Tank Merics. Die | |
Verschärfungen versinnbildlichen das neue Selbstbewusstsein der | |
chinesischen Führung – vor allem das des Präsidenten selbst. Dieser hatte | |
von Anfang an nationalistische Töne angeschlagen und angekündigt, den | |
ausländischen Einfluss reduzieren zu wollen. „Die chinesische Führung | |
stellt sich die Frage, wo westlicher Einfluss noch notwendig und gewünscht | |
ist“, so Shi-Kupfer weiter. | |
Die Einschränkungen betreffen allen voran ausländische | |
Nichtregierungsorganisationen und politische Stiftungen in China. Mitte | |
2016 trat ein neues NGO-Gesetz in Kraft, durch das sich ausländische | |
Organisationen nur noch bei Nachweis einer chinesischen Partnerorganisation | |
für ihre Arbeit registrieren können. Doch die Suche fällt nicht leicht, | |
denn chinesische Organisationen sind sehr zurückhaltend. „Niemand will | |
Verantwortung übernehmen“, sagt Doris Fischer, Mitglied im Vorstand der | |
Deutschen Gesellschaft für Asienkunde (DGA). Denn die chinesische | |
Organisation muss im Zweifelsfall mit einstehen, wenn die Regierung etwas | |
an der Arbeit des ausländischen Kooperationspartners auszusetzen hat. | |
## Bleiben dürfen hat Priorität | |
Projektmanager Oliver Radtke von der Robert-Bosch-Stiftung kennt diese | |
Probleme ebenfalls. „Gute Netzwerke sind belastbar, aber der Aufbau neuer | |
Kontakte braucht jetzt sehr viel mehr Zeit und Vertrauen“, sagt Radtke. | |
Diese Vorsicht wirkt sich am Ende auch auf die inhaltliche Arbeit aus. Die | |
Stiftungen müssen immer wissen, wo die „roten Linien“ liegen und welche | |
Themen gerade öffentlich diskutiert werden dürfen – und welche nicht. | |
Chinesische Mitarbeitende vor Ort schätzen regelmäßig ein, welche | |
Auswirkungen die letzte Rede des Präsidenten oder ein Artikel in der | |
Parteizeitung auf das hat, was im Moment gesagt werden darf. Die | |
Organisationen bewegen sich deshalb in einem ständigen Balanceakt: | |
Einerseits ist es ihre Arbeit, die freie Ausübung von Wissenschaft und | |
Meinungsäußerung voranzutreiben. Aber andererseits dürfen sie dabei nicht | |
auf vollen Konfrontationskurs zur Regierung setzen. Für die Stiftungen gilt | |
am Ende deshalb immer: Weiter vor Ort bleiben hat höchste Priorität. | |
Peking fürchtet seit jeher, dass westliche Staaten über | |
Nichtregierungsorganisationen Einfluss auf die chinesische Gesellschaft und | |
Innenpolitik nehmen wollen. „Ich kann nachvollziehen, dass die Regierung es | |
nicht lustig findet, wenn NGOs kommen und das System ändern wollen. Das | |
wäre auch sehr naiv“, sagt Doris Fischer von der DGA. Die Politische | |
Kontrolle werde daher gerade stärker. Die deutschen Organisationen | |
kritisieren, dass die chinesische Führung dabei allerdings viel zu | |
restriktiv vorgeht – und damit Austausch und Innovationen hemmt. | |
Dieser Kurs wirkt sich sogar bis nach Deutschland aus, denn zu | |
wissenschaftlichen Konferenzen hierzulande kommen seltener als geplant | |
chinesische Gäste. Immer wieder passiert es, dass Teilnahmezusagen im | |
letzten Moment zurückgezogen werden. Offiziell erkrankt der Referent dann | |
sehr kurzfristig oder die Wissenschaftlerin bekommt keine Genehmigung, im | |
Ausland zu sprechen. Zum Teil wird auch schon vorher abgewunken. Durch die | |
chinesische Antikorruptionskampagne sind nun beispielsweise die Tage | |
begrenzt, die wissenschaftliches Personal im Ausland verbringen darf. „Das | |
sorgt zwar für Transparenz, es engt aber auch ein. Man überlegt sich | |
zweimal, ob man an einem Workshop teilnimmt“, gibt Susanne Otte, | |
Ländersprecherin für China beim Deutschen Akademischen Austauschdienst | |
(DAAD) zu bedenken. | |
Viele deutsche Forschende begrüßen die Änderungen auch, denn sie sollen | |
luxuriöse Geschäftsessen auf Staatskosten reduzieren. Allerdings blockieren | |
die Regelungen auch wichtige Gesprächskanäle. Denn bisher galt: Sensible | |
Themen werden nicht während der offiziellen Konferenz angesprochen, sondern | |
besser danach, etwa beim Essen in ungezwungener Atmosphäre. Inzwischen sind | |
ausländische und chinesische Forschende vorsichtiger geworden. Bisher | |
galten Menschenrechte und Demokratie als heikle Themen – inzwischen sind | |
das auch vermeintlich weiche Themen wie Urbanisierung oder Umweltfragen. | |
Hier ist der Austausch mit ausländischen Gästen inzwischen schwerer | |
geworden, heißt es auf deutscher Seite. Viele haben Sorge, bei zu | |
kritischen Kommentaren irgendwann nicht mehr ins Land gelassen zu werden. | |
Die Regierung in Peking präsentiert eine andere Version. Das | |
Bildungsministerium gab 2017 in einer Erklärung an, die | |
„Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung“ weiter vertiefen und | |
vorantreiben zu wollen. Dazu nennt das Ministerium neben Kooperationen auf | |
Schulebene auch explizit den Austausch von Forscherinnen und Forschern. | |
Erst Mitte März diesen Jahres verkündete die staatliche Chinesische | |
Akademie für Sozialwissenschaften, dass chinesische Think Tanks verstärkt | |
internationale Kooperationen eingehen sollten. | |
## Dokument Nummer 9 | |
Doch die Realität vor Ort sieht oft anders aus. Als wegweisend gilt das | |
interne, aber öffentlich gewordene „Dokument Nr. 9“ vom April 2013. Darin | |
wurden Staatsbedienstete und Parteikader vor Ideen wie Universalismus, | |
Demokratie nach westlichem Vorbild und Zivilgesellschaft gewarnt. | |
Inzwischen werden auch politische Schulungen in der Universität wieder | |
wichtiger. Für Furore sorgte jüngst eine Maßnahme des wissenschaftlichen | |
Journals China Quarterly, das auf Druck von Peking im Herbst 2017 Hunderte | |
kritische Onlineartikel blockiert hatte. Nach großer Empörung in westlichen | |
Ländern über diese Form der Selbstzensur ruderte die Geschäftsführung | |
zurück. Nur wenige Wochen danach ereignete sich ein ähnlicher Fall bei | |
Springer Nature. Doch dieser Wissenschaftsverlag verteidigte seine | |
Selbstzensur – die Artikel blieben gesperrt. | |
Dass selbst die Wirtschaft Druck vom Staat bekommt ist nicht neu. Doch die | |
Intensität nimmt zu und inzwischen wird auch die Kritik daran öffentlich. | |
Die Deutsche Außenhandelskammer in China (AHK) klagt seit Längerem über den | |
Druck auf ausländische Unternehmen, Zellen der Kommunistischen Partei | |
einzurichten. Im November 2017 reagierte die AHK mit einer | |
Pressemitteilung: „Sollte dies weiter fortschreiten, ist es nicht | |
auszuschließen, dass sich deutsche Unternehmen aus dem chinesischen Markt | |
zurückziehen oder Investitionsentscheidungen überdenken.“ | |
Ob sich Konzerne durch Parteizellen im Haus aber tatsächlich das | |
China-Geschäft vermiesen lassen, ist fraglich. Neben den Journalen bekam | |
beispielsweise auch der Daimler-Konzern Druck zu spüren. Im Februar | |
veröffentlichte dessen Tochterfirma Mercedes ein Werbefoto mit | |
Dalai-Lama-Zitat. Nach viel Aufmerksamkeit in den sozialen Medien zog | |
Daimler die Werbung schnell zurück und entschuldigte sich unterwürfig. Auch | |
Apple leistete vorauseilenden Gehorsam. Im vergangen Sommer entfernte das | |
Unternehmen Hunderte sogenannter VPNs im App-Store. Diese ermöglichen es, | |
staatliche Zensurmaßnahmen zu umgehen und Seiten aufzurufen, die in der | |
Volksrepublik eigentlich blockiert sind. | |
Während die Unternehmen Umsatzeinbußen fürchten, geht es in der | |
Wissenschaft um die Redefreiheit und die Zukunft von internationalem | |
Austausch. Die langfristigen Folgen des erhöhten Drucks sehen viele | |
pessimistisch. „Die Spielräume an den Unis werden immer kleiner“, bestäti… | |
Otte vom DAAD. Shi-Kupfer von Merics betont: „Es besteht die Gefahr, dass | |
wir in Zukunft mehr Wissenslücken haben über das, was in China wirklich | |
passiert.“ | |
Seit kurzer Zeit ist deshalb das Thema Selbstzensur auch unter dem | |
wissenschaftlichen Nachwuchs größer geworden. Denn wer kann richtige | |
China-Forschung betreiben, wenn er nicht einreisen darf? | |
25 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Kränzle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |