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# taz.de -- schlagloch: Jenseits der Festanstellung
> Wenn Arbeit und Leben verschleifen, wird Work-Life-Balance zur Yogaübung
Von Arbeit habe ich keine Ahnung, vielleicht habe ich auch keine Ahnung
davon, wie man nicht arbeitet, ich weiß es nicht genau. Kürzlich war ich
mit der Unterstützung einer Stiftung auf Reisen, um für einen neuen Roman
zu recherchieren. Da es sich um ein sogenanntes Arbeitsstipendium handelte,
muss in meinem Abschlussbericht klar werden, dass ich dort tatsächlich
gearbeitet und nicht etwa bloß Urlaub gemacht habe. Würde man mir einen
Monat Urlaub schenken, würde ich genau das tun, was ich tue, wenn ich
keinen Urlaub habe, nämlich an meinem Roman arbeiten, was neben dem
Schreiben auch bedeutet, Gespräche zu führen und Bücher zu lesen.
Zwanghaftes Herumliegen am Pool, aufoktroyierte 24-Stunden-Entspannung,
dauerhaftes Nichtstun – , es wäre ein Albtraum für mich.
In manchem neige ich zur Pedanterie, etwa dann, wenn ich nicht sicher bin,
ob das, was ich tue, dem Begriff „Arbeit“ nahe genug kommt. Damit die
Gespräche, die ich im Bericht „Interviews“ nenne, sich auch für mich
eindeutig wie Arbeit anfühlten, vereinbarte ich so viele davon und legte
die Termine so eng hintereinander, dass ich von einem Treffpunkt zum
nächsten hetzen musste. Stress ist immer ein Anzeichen von
Arbeitsbelastung. Es musste sich also um Arbeit handeln.
Ist man in künstlerischen Berufen tätig, vor allem in den selbstständigen,
in denen man keinem vorgeschriebenen Stundenplan folgen muss, verschleift
sich ein Begriff wie Arbeit schnell. Das hat aus meiner Sicht erst mal
nichts mit Selbstausbeutung zu tun. Denn wenn man zehn, zwölf Stunden am
Schreibtisch sitzt, um ein Romankapitel auszufeilen, wach liegt, weil man
über einen Dialogpart nachdenkt, mag das vielleicht etwas anstrengend, aber
am Ende doch erfüllend, zumindest selbstgewählt sein. Die Frage, ob man
sich ausbeuten lässt, entscheidet sich nicht in diesen vielen tätigen
Stunden nahe dem Irrsinn, sondern in den wenigen, in denen man Honorare
verhandelt.
Die Verschleifung hat auch mit der sogenannten Work-Life-Balance nichts zu
tun, einer traurigen Wortkonstruktion, die den stetigen Kampf zwischen
Lohnarbeit und dem selbstbestimmten Leben als schwankende Artistik
darstellt und so deutlich mehr nach Yoga klingt als die alten marxistischen
Begriffe, aber dabei nicht weniger deprimierend wirkt, suggeriert sie doch,
Leben und Arbeit seien unauflösbare Widersprüche und Arbeit müsse vom Leben
abgezogen werden. Ist das tatsächlich noch so, war es das je ganz? Und ist
das ausgerechnet bei jenen Arbeitnehmern der Fall, die den Begriff
überhaupt verwenden?
Etwas verschämt hantiere ich als Autorin mit dem Wort „Auftragsarbeit“, um
das zu bezeichnen, womit ich einen Teil meiner Miete zahle. Die auf
Lesungen gern gestellte Frage: Können Sie vom Schreiben leben?, wird von
routinierten Literaturschaffenden eh meist mit dem Bonmot zurückgewiesen:
Ich lebe, um zu schreiben und schreibe, um zu leben! Wer es nicht ganz so
hochtrabend mag, antwortet schlicht, man komme über die Runden und
interessiere sich im Übrigen mehr für die Frage, ob man vom Leben schreiben
könne.
Nun wäre es nicht weiter relevant, mit welchem Wort Schreibende das nennen,
womit sie ihren Tag ausfüllen, ginge es nicht um ein weiter reichendes
Phänomen. Die Generation meiner Eltern wäre nie auf die Idee gekommen,
hinter dem Verfassen von Literatur, gar außerhalb einer Festanstellung an
einer Universität oder einer anderen Institution, einen Beruf zu vermuten.
Das Feld der Tätigkeiten, die wir heute Arbeit zu nennen bereit sind, hat
sich immens erweitert. Mit dem zunehmenden Abschied von der
Vollbeschäftigung und von der Festanstellung vom ersten Arbeitstag bis zur
Rente wurde das Nachdenken darüber, was Arbeit sein, womit man Geld
verdienen könnte, nicht nur flexibler und innovativer, es griff sich zudem
immer mehr Raum. Wir mussten und durften findiger werden.
Eigentlich ist Kunst als Beruf eine plausible, um nicht zu sagen eine der
schönsten Antworten auf einen sich verändernden Arbeitsmarkt, in dem manche
Tätigkeitsfelder durch Technologisierung wegfallen und andere durch immer
globalere Wirtschaftsräume verlagert werden. Doch auch wenn die Ausweitung
des Begriffs Arbeit womöglich als Antwort auf den so gern gescholtenen
Neoliberalismus gemeint war, führte sie doch eben die dahinterstehende
Durchökonomisierung aller Lebensbereiche fort. Plötzlich war all das, was
früher noch Selbstverwirklichung oder allgemeiner Leben genannt wurde,
Arbeit. Und seitdem es Arbeit war, war es oft unterbezahlt. Seitdem es
Arbeit war, kippte es zudem in der Work-Life-Balance in den Bereich der
Belastung.
Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass die Stressbelastung in meinem
Umfeld allein dadurch größer wird, je mehr wir von dem, was wir tun, Arbeit
nennen. Es ist ein wenig wie mit meinen zu eng gelegten Gesprächsterminen:
Vielleicht wollen wir einfach nur sicher sein, dass wir tatsächlich Arbeit
haben und ausgelastet sind. Nur drohen mitunter vor lauter Stress die
großen Skandale ungerechter Bezahlung, der Fremd- und nicht etwa
Selbstausbeutung wie Hintergrundmusik abzuklingen oder einfach überhört zu
werden: Zum Handeln hat man eh keine Zeit mehr, sogar dann, wenn das
Handeln bedeutet, dass man etwas nicht tut: Als ich kürzlich, mein Handy
war gerade nach zehn Jahren kaputt gegangen, mit Bekannten darüber sprach,
dass ich mir kein Smartphone kaufen wolle, weil die Herstellungsbedingungen
ausbeuterisch seien, allenfalls ein Fairphone, vielleicht auch einfach eins
dieser Tastenhandys, die sonst nur die Drogendealer am Görlitzer Bahnhof
haben, seufzte meine Zuhörerin: „Ja, wenn man auch noch Zeit hätte, sich
darum zu kümmern!“ Vielleicht sollten wir alle mehr Urlaub machen.
18 Apr 2018
## AUTOREN
Nora Bossong
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