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# taz.de -- Positive Beunruhigung
> Aus dem Expertenrat des Humboldt Forums ist sie ausgetreten.In ihrem Buch
> plädiert Bénédicte Savoy für eine radikalneue Perspektive im Umgang mit
> Kunst
Bild: Bénédicte Savoy berät Macron bei der Restitution von kolonialer Raubku…
Von Aram Lintzel
Als der französische Präsident Emmanuel Macron im November erklärte, dass
er afrikanische Kulturschätze und menschliche Überreste aus der
Kolonialzeit zurückgeben wolle, wurde dies auch in Deutschland als
überfälliger Befreiungsschlag aufgenommen. Denn hierzulande kommt die
Aufarbeitung der Kolonialgeschichte weiterhin schleppend voran; erst
langsam löst man sich von der hartnäckigen Beschwichtigungsbehauptung,
Deutschland sei doch nur eine unbedeutende Kolonialmacht gewesen.
Zum zentralen Terrain der Debatte um die deutsche Kolonialgeschichte ist
aber nicht die in den USA anhängige Entschädigungsklage von Herero aus
Namibia geworden, sondern das kulturelle Erbe: Was soll mit all den
Kulturgütern geschehen, die während der Kolonialzeit nach Deutschland
verbracht wurden? Nicht zuletzt die andauernde Debatte um das Humboldt
Forum und die Frage, wie die ethnologischen Sammlungen der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz dort repräsentiert werden sollen, zwingt die
politisch Verantwortlichen, ihre diskursverweigernde Haltung aufzugeben.
So bekennt sich die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag zur
Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe in Museen
und Sammlungen. Ein notwendiger Schritt, angesichts der skandalösen
Situation, dass niemand genau weiß, was in den ethnologischen und
anthropologischen Sammlungen eigentlich an Objekten aus
Kolonialzusammenhängen lagert. Nur das Wenigste wurde bisher
inventarisiert. Die in Berlin lebende französische Kunsthistorikerin
Bénédicte Savoy hat dies im Sommer 2017 in einem Interview der Süddeutschen
Zeitung mit dramatischen Worten angeprangert, als sie sagte, das Humboldt
Forum sei wie Tschernobyl unter einer Bleidecke begraben. Kurz zuvor war
Savoy aus dem Expertenrat des Humboldt Forums ausgetreten.
Inzwischen wurde Savoy neben dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine
Sarr von Macron zur Beraterin bei der Restitution von kolonialer Raubkunst
ernannt. Savoy lehrt an der Technischen Universität Berlin und am Collège
de France in Paris. Für Matthes und Seitz hat sie ihre Antrittsvorlesung am
Collège überarbeitet und erweitert. Der kleine Text beginnt nicht als
kulturpolitische Positionsbestimmung, sondern als sehr persönliche
Faszinationsanalyse. Anhand „dreier alter Freundinnen“ – dem Kopf des
Echnaton, einer Perlenskulptur aus Kamerun und einer Statuette aus dem 15.
Jahrhundert – beschreibt sie die „positive Beunruhigung“, die sie beim
Besuch eines Museums heimsucht.
Bei aller Liebe spricht Savoy die ambivalente Rolle des Museums an. Das
Museum, so Savoy, „absorbiert und assimiliert“, aber es ist eben auch „der
Ort einer physischen Begegnung mit fremden Welten, das Archiv der
menschlichen Kreativität, einer jener Orte, wo die Geschichte die Zukunft
anbahnt“. Savoy betreibt so etwas wie solidarische Institutionskritik, und
gerade weil sie die Institution Museum so schätzt, unterzieht sie ihre
Legitimität einer kritischen Betrachtung. In der Vorlesung findet sich eine
subtilere Version der Tschernobyl-These, wenn sie von der „Wiederkehr des
verdrängten Kolonialen“ spricht.
Anders gesagt: Was da in Tausenden Kisten in Museumskellern lagert, ist
buchstäblich das kollektive Unbewusste der westlichen Kulturnationen. Das
Verdrängte und Verstaubte müsse ans Licht geholt und durchgearbeitet
werden, allein aus Achtung vor den Enteigneten und ihrer Trauer um das
Verlorene. Um die Museen zu dekolonisieren und die Erwerbsbedingungen und
Sammlungsgeschichten kolonialer Objekte für das Publikum transparent zu
machen, plädiert Savoy für eine institutionskritische Operation, die sie
„kulturgeschichtliche Innenschau“ nennt.
Diese Selbstreflexion westlicher Kultureinrichtungen sei weitaus
komplizierter als „Selbstgeißelung oder übereilte Restitution“. Vielmehr
sollten historische Zusammenhänge von Objekten sichtbar gemacht werden, und
das nicht als Monolog, sondern multiperspektivisch im Gespräch mit Experten
aus den ehemaligen Kolonien. Erst am Ende eines langen interdisziplinären
Forschungsprozesses könne sinnvoll entschieden werden, was zurückgegeben
werden sollte und was womöglich in westlichen Museen besser aufgehoben ist.
Savoy nimmt auch hier eine behutsam abwägende Haltung ein, als Gewährsfrau
einer radikalen „Alles zurückgeben“-Position, wie sie von manchen
postkolonialen Aktivisten vertreten wird, eignet sie sich kaum.
Am Ende ihrer flott zu lesenden Vorlesung schreibt Savoy, dass zur
Innenschau auch „luzide Träume“ gehören könnten, etwa neue juristische
Konstruktionen, neue Formen von Partnerschaften und experimentelle
Ausstellungsmodelle in den ehemaligen Kolonien. Es wird interessant sein zu
verfolgen, wie der französische Präsident aus den Träumen seiner Beraterin
handfeste Politik macht.
31 Mar 2018
## AUTOREN
Aram Lintzel
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