# taz.de -- Harte Brüche, keine Schranken | |
> Soundtracks ohne Regie: Das KIM-Kollektiv für komponierte und | |
> improvisierte Musik bewegt sich jenseits enger Genregrenzen. Ab Mittwoch | |
> ist es mit der vierten Ausgabe seines Festivals in der Werkstatt der | |
> Kulturen zu Gast | |
Bild: Dan Peter Sundland mit Elevenette | |
Von Franziska Buhre | |
KIM kümmert sich, und zwar nicht nur um sich selbst, sondern auch um | |
relevante Musik da draußen, jenseits von Jazz, aus Norwegen, Frankreich | |
oder New York. Ein halbes Jahrzehnt ist das Kollektiv für improvisierte und | |
komponiertes Musik nun jung und kann seine Verdienste inzwischen sehen | |
lassen: Das diesjährige vierte KIM-Fest wird gefördert von der Berliner | |
Senatskanzlei für Kultur und Europa und vom Musikfonds e. V. Alle vierzehn | |
KIM-Mitglieder sind Wahlberliner_innen, einige von ihnen haben Erfahrungen | |
in anderen Musiker_innenkollektiven gesammelt, bevor sie nach Berlin kamen. | |
Die Sängerin und Komponistin Laura Winkler zum Beispiel. Sie ist in Graz | |
geboren und aufgewachsen, schon früh begann sie zu singen, lernte Flöte, | |
Klavier und Saxofon, besuchte Jazzkonzerte gemeinsam mit ihrem Vater und | |
begeisterte sich fürs Theater. Jazzgesang zu studieren war da nur | |
folgerichtig, das Korsett an Vorgaben aber bald zu eng für Winkler. „Das | |
Studium in Graz ist sehr konservativ,“ erzählt sie im Gespräch. „Das hat | |
mir irgendwann nicht mehr gereicht. Bei der Jazzwerkstatt Graz haben Leute | |
ihre eigenen Sachen gemacht, das hat mich sehr beeindruckt. Ich habe dann | |
mitgearbeitet und jedes Jahr auf das Festival hingefiebert.“ | |
## Sperrigere Musik zugänglich machen | |
Im KIM-Kollektiv ist Winkler eine treibende Kraft und bringt das KIM-Fest | |
voran: „Was von Anfang an wichtig war für das Kollektiv, dass man versucht | |
sperrigere Musik mit zugänglicherer zu kombinieren, um da auch Publikum | |
gegenseitig anzulocken. Und möglichst mit harten Brüchen | |
aneinanderzusetzen.“ Winklers eigene Band Holler My Dear besteht, das | |
betont sie, aus Musiker_innen, die allesamt nicht Jazz studiert haben. Sie | |
und ihre Mitstreiter_innen auf Akkordeon, Mandoline, Trompete, Bass und | |
Schlagzeug bezeichnen ihre Musik freimütig als Disco-Folk, mit dem dritten | |
Album „Steady as she goes“ hat die Band bis Oktober einen gut gefüllten | |
Konzertkalender. | |
Beim KIM-Fest sind drei andere Sängerinnen zu erleben: Sofia Jernberg aus | |
Schweden, die zuletzt bei der Maerz Musik zu Gast in Berlin war, stellt ihr | |
neues Quartett Electric Daisy vor. Mit dabei sind David Stackenäs auf der | |
akustischen Gitarre, der fantastische Kim Myhr auf der E-Gitarre und | |
Christian Wallumrød auf dem Klavier, einer der fantasievollsten Pianisten | |
der improvisierten Musik aus Norwegen. | |
Natalie Sandtorv, die aus Norwegen kommt und in Kopenhagen lebt, schillert | |
frei in Solo- und Bandprojekten zwischen Avantgardejazz, Electropop und | |
Noise. In ihrer neuen Band spielen der Bassist Dan Peter Sundland und die | |
Keyboarderin Liz Kosack, beide Mitglieder im KIM-Kollektiv. Sundland stellt | |
beim KIM-Fest eine Version seines elfköpfigen norwegischen Ensembles vor, | |
unter anderem mit dem Trompeter Tom Arthurs und der Geigerin Biliana | |
Voutchkova, Sandtorv steht als Sängerin an der Spitze von Elevenette. | |
Endlich einmal wieder in Berlin zu hören ist die Band Kuu von Jelena | |
Kuljić. Die Sängerin und Schauspielerin ist Ensemblemitglied der Münchner | |
Kammerspiele, ihr Jazz-Punk wird von den Berliner Gitarristen Frank Möbus | |
und Kalle Kalima sowie dem Schlagzeuger Christian Lillinger orchestriert. | |
Premiere feiert die Band Spoiler von Liz Kosack beim KIM-Fest. Kosack lud | |
die australische Gitarristin Julia Reidy, die Mitglied im Splitter | |
Orchester ist, 2017 ein, Teil des KIM-Kollektivs zu werden. Reidy wiederum | |
gab Kosack den Anstoß zur Gründung von Spoiler, ein Quartett mit dem | |
Trompeter Brad Henkel und dem Schlagzeuger Sam Hall. Ihre Idee war, einen | |
eigenen Soundtrack für die Fortsetzung des Filmklassikers „Blade Runner“ | |
einzuspielen, und zwar bevor diese ins Kino kommen sollte. Die Musik von | |
Spoiler folgt keiner Regie, sondern ist frei improvisiert und dabei groovy, | |
traumverloren und hoch gesättigt mit verlockenden Beats. | |
## Offen sein für alles | |
Kosack lebt seit fünf Jahren in Berlin, sie stammt aus dem US-Bundesstaat | |
Maine und war lange in New York aktiv. Ihre Erfahrungen dort beschreibt sie | |
im Gespräch so: „In den Musikszenen in New York, und auch in anderen, in | |
denen ich arbeite, gibt es so viel Abschottung zwischen den Genres oder | |
Szenen innerhalb von Szenen. Das ist oft eher hinderlich als hilfreich. | |
Dabei ist es einfach schön, zu sagen, wir sind offen für alles, wir möchten | |
etwas Kreatives unterstützen. Das KIM-Kollektiv über Jazz zu definieren, | |
hätte uns zu sehr eingeschränkt, auch wenn die meisten von uns aus dem Jazz | |
kommen. Und auch die Definition über Komposition wäre eine Einschränkung. | |
Viel schöner ist es, diese Grenzen nicht zu ziehen.“ Kosack bestärkte Brad | |
Henkel, den sie aus New York kannte, darin, nach Berlin zu ziehen. | |
Wenngleich im KIM-Kollektiv zehn Musiker vier Musikerinnen gegenüberstehen, | |
ist Henkel die Geschlechtergerechtigkeit ein echtes Anliegen: „Die | |
Kollektive, in denen ich in New York aktiv war, waren auf dem Auge blind. | |
Ich glaube, besonders männliche weiße Musiker tappen in diese Falle, weil | |
sie verliebt in ihr eigenes Tun sind. Du denkst nicht darüber nach, wie du | |
deine privilegierte Stellung überwinden könntest. Meine Grundregel ist: | |
Wenn ich Musik von anderen präsentiere, sollte ich mir überlegen, wie ich | |
das Geschlechterverhältnis thematisieren kann.“ | |
Mit den beim KIM-Fest vertretenen Frauen setzt das Kollektiv schon mal ein | |
Zeichen. | |
29 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Franziska Buhre | |
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