# taz.de -- Gemeinsames Verkünden | |
> Dass Kirche und Kunst zusammenkommen, ist keine Selbstverständlichkeit. | |
> Doch ein Hamburger Pastor brachte einst die Kirche in den Dialog mit der | |
> Hamburger Kunst.Eine Ausstellung erinnert nun an dieses spannende und | |
> provokante Projekt | |
Bild: Ein katholisches Wunder: Die blauen Luftballons senkten sich irgendwann a… | |
Von Hajo Schiff | |
In der Kunst der Moderne und der Abstraktion ist das Spirituelle ein | |
wichtiges Element. Aber die jahrhundertelang innige Beziehung der aktuellen | |
Kunst zur Kirche ist heute merklich abgekühlt. Erst setzte sich die | |
Vorstellung vom Künstlergenie mit der Idee des autonomen Schöpfers in | |
Konkurrenz zur Kirche, dann diente künstlerisches Schaffen eher den | |
Herrschern und mächtigen Sammlern oder propagierte soziale, politische und | |
wissenschaftliche Anliegen. Vor allem aber feiert die Kunst sich gerne | |
selbst. | |
Es ist der Verdienst des Hamburger Museumspädagogen Thomas Sello nun auf | |
eine kurze Zeit zu verweisen, in der ein Pastor seine Kirche in einen | |
intensiven Dialog mit der aktuellsten Hamburger Kunst brachte. In diesem | |
keineswegs immer problemfreien Austausch kam es zwischen 1981 und 1996 in | |
der Gnadenkirche sogar zu Kräuterhexenpredigten am Altar und | |
Gewehrschüssen, wenn auch nur zur Herstellung von Kunst. Erinnert wird | |
daran jetzt mit einer Versammlung von Bildern, Objekten und Installationen | |
von insgesamt etwa 30 Künstlerinnen und Künstlern und, an diesem Freitag, | |
auch einer Performance von Nele Lipp. Alle, von denen nun in der | |
Blankeneser Kirche und deren Gemeindehaus Arbeiten zu sehen sind, hatten | |
einst in St. Pauli bei dem „Kunstpastor“ ausgestellt. | |
Diesen besonderen Titel bekam inoffiziell Pastor Hartmut Winde (1934–2017). | |
Von der Berliner „Versöhnungsgemeinde“, deren Kirche seit 1961 unbenutzbar | |
direkt im Mauerstreifen an der Bernauer Straße stand, kam er in das | |
revoltierende Umfeld der Hamburger Studentengemeinde der 70er Jahre. | |
Nach politischem Streit und seelsorgerischen Aushilfen wurde er 1980 an die | |
Gnadenkirche am Karoviertel berufen. Dort begannen Winde und seine theater- | |
und kunstbegeisterte Ehefrau Eva, selbst Malerin und ehemalige | |
Bühnenbildnerin, den neoromanischen Raum für die Gegenwartskunst zu öffnen. | |
Dabei standen sie auch in diskursivem Kontakt mit Helmut Leppien, der als | |
stellvertretender Direktor der Hamburger Kunsthalle damals die hiesige | |
aktuelle Kunst besonders förderte. 1983 inszenierte Kunsthallendirektor | |
Werner Hofmann in der Kunsthalle, die umfangreiche und komplexe Ausstellung | |
„Luther und die Folgen für die Kunst“: Die Zeit war günstig für den oft … | |
beiden Seiten als schwierig empfundenen Dialog von Kunst und Kirche, von | |
Kunstgläubigen und Transzendenzsuchern. Es gab eine große Offenheit für | |
erweiterte Kunstaktivitäten, ein Interesse an neuen Bild-Exegesen und | |
Symboldiskursen. | |
Schon die erste Großinstallation war demonstrativ und spektakulär und hatte | |
unmittelbare Folgen. In Abgrenzung zum christlichen Totenkult und seinen | |
kalt-steinernen Inschriften setzte Rolf Laute sein „Buch der Lebenden“: Der | |
Künstler schrieb die Namen der 5.103 Gemeindemitglieder auf blutrotes | |
Nessel und verhängte damit die gesamte Apsis. So setzte er die | |
gegenwärtigen Menschen dramatisch in das Zentrum der Kirche. Die zehn mal | |
zwölf Meter große Arbeit wurde später zerschnitten und in ein Unikatbuch | |
gebunden. Rolf Laute selbst gab danach seine individuelle künstlerische | |
Arbeit auf und widmete sich, so wie er es für die Kirche demonstriert | |
hatte, den Lebenden: in der Arbeit mit den behinderten Künstlern der | |
„Schlumper“. Pastor Winde wiederum gründet dann für diesen einen | |
Förderverein – die Gruppe existiert erfolgreich bis heute. | |
Von den Großinstallationen und Performances sind heute naturgemäß nur | |
Fotodokumente und Relikte zu sehen. Interessant ist, wie unterschiedlich | |
die Künstler die Kooperation verstanden: Als reines Raumangebot, als | |
kritische Übernahme von Ritualen oder als Möglichkeit, traditionelle | |
liturgische Elemente und Farbsysteme neu zu formen. So finden sich Entwürfe | |
für den Einbau massiver, aber schwebender roher Holzstämme, die aus einem | |
Blickwinkel ein Kreuz ergeben (Jan Meyer-Rogge), Vorschläge für Glasfenster | |
von den Schlumpern oder Burkhard Vernunft, wächserne Votive von Tonia | |
Kudrass, ein gemaltes Altarantependium von Martin Conrad, seidene | |
Kanzelantependien von Tatiana Ahlers-Hestermann oder „Engel“, gefunden von | |
Doris Cordes Vollert in den Zufallsformen roh gespaltener Holzscheite, aber | |
auch direkt und indirekt das Leiden thematisierende Malerei oder die unter | |
dem Motto „Menetekel“ eindeutig den Irak-Krieg anprangernde Arbeit „Body | |
Bags“ in Form von düsteren Totentragen von Gisela von Waldow. | |
In einer der letzten Aktionen brachte Clemencia Labin ein barockes, | |
südländisches und vielleicht etwas katholisches Wunder in das Programm: 300 | |
marineblaue Luftballons mit auf Folie kopierten Mariendarstellungen senkten | |
sich aufgrund des Gasverlustes vom Kirchengewölbe während des | |
Gottesdienstes auf die Gemeinde herab. Mit der Pensionierung von Hartmut | |
Winde wurde das 15 Jahre erfolgreiche Programm eingestellt. Zwar gibt es in | |
der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland heute eine „Stiftung | |
Kunst & Kirche“ mit einer wertvollen Grafiksammlung und einem Bestand von | |
über 5.000 Arbeiten, aber das Experiment einer „Kunstkirche“ wurde nie mehr | |
wiederholt. | |
Die Gnadenkirche wird inzwischen von einer russisch-orthodoxen Gemeinde | |
genutzt, die Erinnerung an einstige Verbindung von Protestantismus und | |
Protest, von einer Diskussion der aktuellen Kunst auch in der Gemeinde der | |
Kirche verblasst, die gemeinsame Verkündigung von Kunst und Kirche | |
beschränkt sich wieder auf eher traditionelle Weisen. | |
„Künstler verkündigen – Erinnerung an Pastor Hartmut Winde (1934 – 2017… | |
Blankeneser Kirche am Markt und Gemeindehaus, Mühlenberger Weg 64a, noch | |
bis 2. 4. | |
Am 23.3., 19 Uhr: Wiederaufführung von „Kein Eintritt…“, einem Bildvortr… | |
mit Tanzintermezzi von Nele Lipp | |
21 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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