# taz.de -- Türkisch-kurdischer Konflikt: Wer steckt hinter dem Anschlag von C… | |
> Der Mord an zwei Polizisten in Ceylanpınar markierte das Ende des | |
> Friedensprozesses in der Türkei. Die Hintergründe bleiben jedoch weiter | |
> im Dunkeln. | |
Bild: Nach dem Ende des Friedensprozesses wurden in den kurdischen Regionen gan… | |
Vorbemerkung der Redaktion: Im Juli 2015 endete nach mehr als zwei Jahren | |
Waffenruhe der Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der | |
verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Am 22. Juli 2015 wurden zwei | |
Polizisten in der südtürkischen Provinz Şanlıurfa erschossen. Die PKK | |
bekannte sich zu der Tat. Zwei Tage später bombardierte das türkische | |
Militär Stellungen der PKK und setzte damit dem Friedensprozess ein Ende. | |
In den Ermittlungen zu dem Mordanschlag auf die zwei Polizisten bleiben | |
jedoch bis heute Ungereimtheiten bestehen. | |
Zwei Tage vor dem Mord an den beiden Polizisten waren bei einem Anschlag in | |
der südtürkischen Stadt Suruç 34 Menschen ums Leben gekommen. Für das | |
Attentat wurde der IS verantwortlich gemacht. Die PKK nannte den Mord an | |
den Polizisten eine Vergeltung für den Suruç-Anschlag, sie warf den Beamten | |
Kollaboration mit dem IS vor. Die prokurdische Oppositionspartei HDP warf | |
dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan zudem vor, die chaotische | |
Situation ausnutzen zu wollen, um seine Macht zu erhalten. | |
Bei den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 hatte die HDP erstmals die | |
Zehn-Prozent-Hürde überwunden, die AKP hatte ihre absolute Mehrheit | |
verloren. Es folgten Ausgangssperren in den kurdischen Regionen und die | |
Zerstörung von kurdischen Städten. Bei den Neuwahlen im November 2015 | |
erlangte die AKP ihre absolute Mehrheit zurück. Unsere Autorin fasst die | |
Ungereimtheiten in dem Fall zusammen. | |
Als die beiden Polizisten Feyyaz Yumuşak und Okan Acar in Ceylanpınar am | |
Abend des 22. Juli 2015 ihre Köpfe auf die Kissen legten, ahnten sie wohl | |
kaum, dass sie einem Attentat zum Opfer fallen würden. Der oder die | |
Attentäter kamen problemlos in die Wohnung, schossen den Schlafenden je | |
eine Kugel in den Kopf und verschwanden. | |
Zwei Tage darauf wurde Kandil bombardiert. Obwohl es heißt, das Attentat | |
sei ausschlaggebend für das Ende der Friedensphase gewesen, wurden keine | |
hinreichenden Nachforschungen angestellt. Befunde, die man hätte | |
untersuchen müssen, wurden verschleiert, statt in diese Richtung zu | |
ermitteln, nahm man ein paar Vorbeikommende fest. Alle Verdächtigen wurden | |
am 1. März 2018 freigesprochen. Die Öffentlichkeit steht verdattert mit | |
einem unaufgeklärten Mordfall und mit Hunderten Todesopfern im Anschluss | |
da. Dabei gibt es unglaublich viele Punkte, die im Dunkeln gelassen wurden. | |
Bekenner: Die der PKK angegliederten Volksverteidigungskräfte HPG bekannten | |
sich zur Tat. Dabei ähnelte die Tat nicht dem Muster vorhergegangener | |
Anschläge durch die HPG. Der Erklärung der HPG zufolge verübte die | |
Terrorzelle TAK, eine radikale Abspaltung der PKK, das Attentat aus Rache | |
für das Massaker von Suruç zwei Tage zuvor. Die Polizei gab bekannt, ihr | |
lägen Funkgespräche vor, in denen die Attentäter verkünden, sie hätten die | |
Ausweise und Waffen der getöteten Polizisten in die Hände bekommen. Als es | |
Tage später von Seiten der Organisation hieß: „Das sind von der PKK | |
unabhängige Einheiten, lokale Kräfte, die uns nicht unterstehen, sondern | |
eigenständig organisiert sind“, war es zu spät. Kandil war bereits | |
bombardiert, die dreijährige Phase der Feuerpause zu Ende gegangen. | |
Falscher Name in HPG-Bekennerschreiben: Die HPG sagte zwar, die Ausweise | |
und Waffen der beiden Polizisten befänden sich in Händen der PKK, in der | |
Erklärung auf ihrer Website ist der Familienname des ermordeten Feyyaz | |
Yumuşak aber mit Özsahra angegeben. Den Namen Özsahra benutzte Feyyaz | |
Yumuşak auf Facebook. Die Organisation nannte in ihrer Bekennererklärung | |
also nicht den Namen vom Ausweis des Polizisten, sondern seinen | |
Facebook-Namen. | |
Die Protokolle der Funkgespräche, die angeblich vorliegen, wurden in | |
einigen Zeitungen veröffentlicht. Darin heißt es, das Attentat sei um 6 Uhr | |
morgens verübt worden. Der Arzt, der die beiden Opfer obduzierte, gab in | |
seinem Bericht, unterschrieben um 15.15 Uhr, allerdings an, die Morde seien | |
zwölf Stunden zuvor verübt worden. | |
Widersprüchliche Aussagen von Polizisten: Morgens um 10.10 Uhr wurde der | |
Tod der beiden Polizeibeamten bemerkt. Gegen 10.30 Uhr wurde die | |
Spurensicherung an den Tatort gerufen. Man war mit Hilfe eines Schlossers | |
in die Wohnung gelangt und hatte die beiden Polizisten leblos auf ihren | |
Betten gefunden. Polizist E.G. sagte aus, um 10.05 Uhr sei ein Anruf von | |
der Anti-Terror-Abteilung gekommen, woraufhin er zum Tatort gefahren sei | |
und dort vom Tod der Kollegen erfahren habe. Der Polizeibeamte M.D., ein | |
Mitbewohner von E.G., sagte aber etwas ganz anderes aus: | |
„Unser Dienst sollte um 9 Uhr anfangen, mein Kollege E.G. fing an jenem | |
Morgen gegen 08.40 Uhr an, aufgeregt in der Wohnung herumzulaufen, als ich | |
ihn fragte, was los sei, sagte er, er habe gehört, Okan und Feyyaz hätten | |
sich umgebracht.“ | |
Fingerabdrücke am Tatort gehören nicht den Verdächtigen: Von zehn fremden | |
Fingerabdrücken, die während der Spurensicherung aufgenommen wurden, | |
stammten vier von einem Polizisten, nämlich von B.K., einem ehemaligen | |
Mitbewohner Okan Acars und Feyyaz Yumuşaks. Das Expertengutachten dazu, | |
datiert auf sechs Tage nach dem Attentat, wurde nicht in die Akte | |
aufgenommen. Das stellte sich im April 2017 heraus, als das Gericht | |
nachfragte, auf welchem Stand die Untersuchung der Fingerabdrücke sei. Das | |
Gutachten belegt, dass die anderen Fingerabdrücke nicht von den | |
Verdächtigen stammen, die auf Denunziation hin verhaftet worden waren. | |
Praktische Denunzianten: Bei den beiden telefonisch eingegangenen | |
Denunziationen wurden stereotype, einander ähnelnde Formulierungen benutzt. | |
Der erste Anruf kam in der Nacht des 22. Juli aus einer Telefonzelle. Der | |
Anrufer sagt: „Heute wurden Polizisten erschossen. Mich quält das Gewissen. | |
Ich weiß, wer es getan hat“, und zählt Namen auf. Welch ein Zufall, dass er | |
ausgerechnet jene vier Personen nannte, deren Autos gerade in jenem | |
Augenblick im Polizeipräsidium festgehalten wurden. | |
Denunziant als Telekommunikationsdaten-Spezialist: Am Tag nach dem Attentat | |
rief eine Person von einem Handy aus die Polizei an, streute eine Menge | |
„Bruder“ mit kurdischem Akzent ein, und sagte: „Mein Gewissen lässt mir | |
keine Ruhe. Zwei Polizisten sind gestorben, stimmt’s? Ich weiß, wer das | |
getan hat“, und ergänzt kennerhaft: „Die hatten ihre Telefone nicht dabei, | |
als sie zum Tatort gingen, Bruder. Achtet mal darauf.“ Er gab also gleich | |
noch einen Hinweis. | |
Staatsanwalt prüft Denunzianten nicht: Obwohl aus der Kameraaufzeichnung | |
feststellbar wäre, wer das öffentliche Telefon benutzt hat, wurde das nicht | |
geprüft. Auch der Besitzer der Handynummer des zweiten Anrufs ist bekannt. | |
Die Anwälte der Verdächtigen forderten, sowohl die Kamerabänder als auch | |
die Mobilfunkdaten in die Akte aufzunehmen. Doch solange die Akte unter | |
Geheimhaltung stand, wurde keines dieser Dokumente in die Ermittlungen | |
einbezogen, stattdessen aber vernichtet. Der Staatsanwalt, der die | |
Ermittlungen, ohne sie auszuweiten, zur Anklage gebracht und im Prozess | |
lebenslange Haft für die Angeklagten gefordert hatte, ohne einen einzigen | |
Beweis gegen sie in der Hand zu haben, wurde befördert und als Richter im | |
EDV-Zentrum des Justizministeriums eingesetzt. | |
## Steckt die Gülen-Bewegung hinter dem Anschlag? | |
Gegen eine Reihe von Personen, die in die Ermittlungen involviert waren, | |
wie die Geschwister der Denunzianten, der Haftrichter, der Staatsanwalt, | |
der die Obduktion anordnete, und einige Polizisten, wurde später wegen | |
Verbindungen zur Gülen-Bewegung ermittelt. eEinige wurden verhaftet. So kam | |
die Vermutung auf, das Attentat von Ceylanpınar könnte von einer Zelle der | |
Gülen-Bewegung verübt worden sein, um den Friedensprozess zu beenden. | |
Der damalige Polizeichef der Provinz Şanlıurfa, Eyüp Pınarbaşı, gab bei d… | |
Beerdigung der beiden Polizisten bekannt, eine Zelle der Gülen-Bewegung | |
sorge bewusst für Sicherheitslücken in Urfa. Bei seiner Anhörung durch den | |
parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Putsch erklärte Pınarbaşı, | |
dasselbe Gebilde stecke auch hinter Selbstmordanschlägen. | |
## Welcher Gegner ist einem lieber? | |
Aus unerfindlichen Gründen lehnte die Regierung die Bildung einer | |
parlamentarischen Untersuchungskommission für dieses Attentat stets ab. Die | |
Vorlage der HDP dafür vom 18. August 2016 wurde mit den Stimmen der AKP und | |
MHP abgelehnt. Nach dem Freispruch für die Verdächtigen forderte die HDP | |
erneut die Einsetzung einer Untersuchungskommission, doch mit den Stimmen | |
der AKP kam die Vorlage gar nicht erst zur Abstimmung. | |
Warum nicht? Wenn die Regierung der Gülen-Bewegung insgesamt den Kampf | |
angesagt hat, warum scheut sie dann die Untersuchung eines Attentats, bei | |
dem so vieles im Dunkeln blieb? Weil man bei diesem Attentat lieber die PKK | |
als die Gülen-Terrororganisation zum Gegner hat? Braucht man die Wahrheit | |
nicht mehr, weil man einen schönen Grund gefunden hat, die Friedensphase | |
abzuwürgen und die dreijährige Feuerpause zu beenden? | |
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe | |
14 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Banu Güven | |
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