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# taz.de -- Wolfgang GastLeuchten der Menschheit: Geschichte wird entsorgt
Vierzig Jahre nach dem Deutschen Herbst soll ein Symbol der Konfrontation
einer selbsternannten Stadtguerilla mit den staatlichen Behörden abgerissen
werden: der Gerichtssaal am Gefängnis in Stuttgart-Stammheim, der in den
1970er Jahren wegen der Strafverfahren gegen die RAF-Gründungsmitglieder
Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe
[1][weltweit bekannt wurde.]
Lange war unklar, was mit dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude
passieren soll. Der zunächst geplante Abriss das Hafthochhauses mit den
Zellen, in denen sich Baader und Co. im Oktober 1977 das Leben nahmen,
wurde im Frühjahr zurückgestellt, da die Gefängnisse im Land aus allen
Nähten platzen. In dem von den RAF-Gefangenen bewohnten siebten Stockwerk
sind heute Gruppenräume für schulische und Freizeitveranstaltungen
untergebracht.
Das Gerichtsgebäude selbst erinnert eher an eine Turnhalle als an einen
Gerichtssaal. In den Siebzigern war es eine Festung: „400 bewaffnete
Polizisten in und auf dem Gebäude und drum herum, ein Stahlnetz über dem
Hof gegen Befreiung mit Hubschraubern, Überwachungskameras,
Außenscheinwerfer, Spanische Reiter vor dem Gebäude“, schrieb Uwe Wesel im
Aufsatz „Strafverfahren, Menschenwürde und Rechtsstaatsprinzip – Versuch
einer Bilanz der RAF-Prozesse“ (erschienen in: Wolfgang Kraushaar (Hg.):
„Die RAF und der linke Terrorismus“, Hamburger Edition, 2007).
Bis 1997 gab es 49 RAF-Verfahren mit 90 Angeklagten und 1329
Verhandlungstagen. Neben Verfahren aus dem Bereich der organisierten
Kriminalität waren hier später auch Mitglieder diverser anderer Gruppen
angeklagt: von PKK-Funktionären über Terroristen aus Syrien bis hin zu
Anführern diverser Straßengangs.
Thomas Schnabel, Leiter des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, hat
nun Ende Februar an das Land appelliert, den Abriss des Gerichtssaals zu
überdenken: „Aus meiner Sicht ist das ein zentraler Bestandteil
bundesrepublikanischer Geschichte.“
Entgegen den Erinnerungen vieler waren aber weder das Stammheimer Gefängnis
selbst noch der mythenumwehte „siebte Stock“ eigens für die RAF-Gefangenen
gebaut worden. Nur ein Teiltrakt in dem 1963 errichteten Gebäudes war für
sie geräumt und umgebaut worden; und dann wurde das Gerichtsgebäude direkt
vor das Gefängnis gesetzt, um für den bevorstehenden „Jahrhundertprozess“
die Transportwege kurz zu halten. Das war nicht nur strafprozessual
bedenklich, es erhöhte auch die Sicherheit nicht. Im Gegenteil, erst über
die verwischten Grenzen zwischen Gericht und Knast sind die beim Selbstmord
verwendeten Waffen in den siebten Stock gekommen.
Der Autor ist Redakteur der taz.
17 Mar 2018
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## AUTOREN
Wolfgang Gast
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