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# taz.de -- Kein Underdog
> Er war der große Popstar in der Kunst der 80er. In Wien wird sein Werk
> über Freiheit und Identität nun ausgestellt wie alte Meister. Keith
> Haring ist als einer der wichtigsten Zeichner des 20. Jahrhunderts
> anerkannt
Bild: Keith Harings Werke brauchen keine Lesehilfe
Von Amna Franzke
Auch in der Albertina, der prächtigen Wiener Gemäldegalerie, gibt es den
berühmten „Exit through the gift shop“ – den Ausgang durch den
Museumsladen. Dort ist gleich hinter der Tür der Merchandise für den
aktuellen Star aufgebaut. Es ist nicht Albrecht Dürer mit seinem Hasen,
auch nicht Leonardo da Vinci oder Marc Chagall, obwohl sie alle mit
berühmten Werken hier in der Albertina hängen. Sondern Keith Haring – der
mit den Strichmenschen.
Wer aus der Ausstellung direkt in den Museumsladen fällt, soll sich bitte
eine Kappe oder einen Kugelschreiber mit einem tanzenden Hund oder einem
strahlendem Baby kaufen. Links an einer Säule hängt ein Poster: „The fun
world of Keith Haring“ mit Zeichnungen zum Selberausmalen. Das ist so
ziemlich das Gegenteil von dem, wie die Albertina in ihrer aktuellen
Ausstellung Keith Haring darstellt.
Die Ausstellung „Keith Haring – The Alphabet“ will eine ganz andere
Geschichte erzählen. Sie präsentiert Keith Haring als einen der
bedeutendsten Zeichner des 20. Jahrhunderts. Monumental hängen seine
großformatigen Werke an den Wänden. „The Matrix“ zum Beispiel ist 15 Meter
lang. Oder eines seiner letzten Werke aus dem Jahr 1985, ohne Namen, ein
riesiges Wimmelbild aus schwarzen Figuren auf giftgelber Leinwand.
Fliegende Totenköpfe, Penisse auf Beinen, Viren, giftiges Sperma,
zertrennte Leiber. Haring malte es, als er viele seiner Freunde durch Aids
verlor, nur fünf Jahre, bevor er selbst an den Folgen der Krankheit starb.
Dieser Keith Haring wirkt wie die mythische Kassandra. Die Zeichnungen
kommen leicht daher, aber sie sind durchzogen von einer tiefen
Ernsthaftigkeit. Sie sind Warnungen vor einer bedrohten Freiheit, vor einem
Verlust des Individuums. Es geht um Atomkraft, Homophobie, um Rassismus und
die Allmacht von Staat und Computern.
Mit Anfang 20 als Star der New Yorker Underground-Szene gefeiert, mit Mitte
20 auf der Documenta ausgestellt, vom Publikum und von den Medien geliebt,
mit Anfang 30 schon tot. Dass ihm die Albertina in diesem Jahr zu seinem
60. Geburtstag eine große Retrospektive widmet, ist bemerkenswert. Haring
stellte die Grenze zwischen High Art und Low Art infrage und forderte Kunst
für alle.
Harings Werke sind hier ganz klassisch in Szene gesetzt, wie die Gemälde
alter Meister. Ganz anders, als Haring selbst es machte: In seinen großen
Ausstellungen in den 80ern war jeder Zentimeter ausgefüllt. Die Bilder
waren eng gehängt und Wände, Decken, Böden von ihm bemalt: Horror vacui,
die Angst vor der Leere.
1980 waren die Figuren von Keith Haring plötzlich in der New Yorker U-Bahn
aufgetaucht. Mit Kreide zeichnete er auf nicht vermietete Werbetafeln. Mehr
als 10.000 Zeichnungen entstanden in den folgenden fünf Jahren. Er
entwickelte eine ganz eigene Zeichensprache: der breakdancende Hund, das
strahlende Baby, der durchlöcherte Mann, die Umarmung von zwei Gleichen.
„Ich möchte die Leute dazu bringen, bestimmte Dinge zu sehen und sich mit
sozialen Fragen zu beschäftigen“, sagte er einmal ein einem Interview.
Diese Idee einer Zeichensprache ist der Ausgangspunkt für die Schau in der
Albertina. Kein Zeichen steht für sich. Erst im Zusammenspiel bekommen sie
ihre Bedeutung – wie Buchstaben. Der Hund kann Underdog sein und
Ordnungsmacht. Oder er ist einfach ein Hund, der tanzt.
Ein bisschen brav stehen auch Erklärungen neben den Bildern an Wand. Fast
wie Gedichtinterpretationen aus der Schule. Dabei brauchen Harings Werke
nicht einmal einen historischen Kontext. Harings Werke über
Gleichberechtigung, Identität, Humanismus und was es bedeutet, unterdrückt
zu sein, brauchen keine Lesehilfe.
Der Begleittext im Ausstellungskatalog schlägt einen großen Bogen: von
ägyptischen Hieroglyphen über Haring bis hin zur gegenwärtigen
Emoji-Kommunikation. Etwa 5 bis 6 Milliarden Emojis werden jeden Tag
verschickt. Am häufigsten der Smiley, der gleichzeitig lacht und weint. So
wie das Werk von Keith Haring.
„Keith Haring. The Alphabet“ ist bis 24. Juni in der Albertina in Wien zu
sehen. Transparenzhinweis: Für Reisekosten und Unterkunft kam das Museum
auf
23 Mar 2018
## AUTOREN
Amna Franzke
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