# taz.de -- Schmeiß ganz einfach Glitzer drauf | |
> Lina Larissa Strahl, kurz Lina, ist bei den unter 10-Jährigen ein | |
> Popstar. Bei ihrem Konzert in der Columbiahalle gehörte die Arena den | |
> Kindern. Aber auch die Erwachsenen an der Bar sahen ein gelungenes | |
> Popkonzert | |
Bild: So sieht sie aus, die ganze „Ich bin ein Fan von dir“-Meute | |
Von Mareike Barmeyer | |
1986 war ich auf meinem ersten Popkonzert: Depéche Mode auf ihrer „Black | |
Celebration Tour“ in der Rudi-Sedlmayer-Halle in München. Ich war 12 Jahre | |
alt und hatte schwarzen Nagellack auf meinen abgebissenen Fingernägeln. Der | |
Vater meiner besten Freundin und ihr großer Bruder waren mit uns dort. | |
Meine Freundin war ganz in Schwarz gekleidet. Wir hatten Sitzplätze, aber | |
trotzdem standen wir, und ich war mir die ganze Zeit über unsicher, ob und | |
wie ich zu den doch sehr dunklen Liedern tanzen sollte. Vorne sei die | |
„Arena“, sagte der große Bruder meiner Freundin mit glänzenden Augen und | |
zeigte auf den Stehbereich vor der Bühne. Das wäre erst etwas für die über | |
16-Jährigen. Bei den langsamen Songs hielten wir Feuerzeuge in die Luft, | |
die der Vater der Freundin extra für uns mitgenommen hatte. | |
Heute gehe ich mit meiner achtjährigen Tochter auf ihr erstes Popkonzert. | |
Lina, auf ihrer „Fan von Dir Tour“. Ein befreundeter Vater und drei | |
Freundinnen meiner Tochter sind auch dabei. Kinderlose Erwachsene kennen | |
Lina Larissa Strahl vielleicht gar nicht. Lina, inzwischen auch schon 21, | |
ist bei den unter 10-Jährigen ein Popstar: 2013 gewann sie den | |
Komponistenwettbewerb „Dein Song“ auf Kika, dann spielte sie die Hauptrolle | |
in Detlev Bucks vierteiligem Kinohit „Bibi & Tina“ und kann Tausende | |
verkaufte CDs ihrer beiden Alben sowie mehrere ausverkaufte Tourneen für | |
sich verbuchen. Auch das Konzert heute ist seit Wochen restlos ausverkauft. | |
Die Schlange vor der Columbiahalle zieht sich mindestens 200 Meter den | |
Columbiadamm runter. Sie sieht lustig aus, denn die Schlange ist lang, aber | |
klein. Also vertikal gesehen. Klar, es gibt viele Eltern in der Schlange, | |
aber noch mehr kleine Kinder. Besser, junge Mädchen. Die Mehrzahl der | |
Besucher*innen des Lina-Konzerts sind Mädchen unter zwölf. | |
In der Halle erwartet mich und den befreundeten Vater eine Überraschung: | |
Der ganze vordere Bereich, die „Arena“, ist abgetrennt. Für die Kinder. Und | |
zwar nur für Kinder. Die vier achtjährigen Mädchen verschwinden im | |
Kindergetümmel, und wir stellen uns zu den anderen Erwachsenen an die Bar. | |
Punkt 18.30 Uhr geht es los: Das Licht wird gedimmt, Nebel steigt auf, und | |
die ganzen Mädchen in der Arena brüllen „Lina“. Die Erwachsenen im hinter… | |
Bereich der Columbiahalle heben alle wie auf Befehl ihre Handys hoch und | |
filmen. Auch in der Arena gehen erstaunlich viele Kameras nach oben. Lina | |
rockt auf der Bühne, und wir Erwachsenen fühlen uns tatsächlich wie auf | |
einem richtigen Popkonzert. Echte Musik, kein Plastik und keine | |
Kindertexte. Nur, dass wir hinten stehen und wippen und vorne unsere | |
achtjährigen Kinder voll abgehen. Sie sind in der Arena und üben das echte | |
Leben. Toll, dass meine Tochter hier die volle Konzerterfahrung bekommt, | |
selbstständig mit ihren Freundinnen vor der Bühne tanzen kann, ohne die | |
Helikoptermutter an der Seite, die aufpassen muss, dass sie jemand klaut, | |
auf sie tritt oder mit einer Kippe verbrennt. | |
Auf einmal merke ich: Es ist nicht so, dass die Kinder eingepfercht sind, | |
nein, wir Erwachsenen sind ausgesperrt, sodass eben nichts passieren kann. | |
Das hätte ich mir damals auch gewünscht auf dem Konzert. Ich fühlte mich | |
wie in einer falschen Welt auf dem Depéche-Mode-Konzert. In der Welt der | |
Erwachsenen nämlich, zu der ich noch nicht gehörte. Eine Welt, in der auf | |
mich sicherlich nicht Rücksicht genommen wurde. „Ey, ich bin zu jung für | |
diesen Scheiß“, singt Lina ziemlich kantig auf der Bühne, und die Mädchen | |
grölen mit. Ich freue mich also darüber, dass es so etwas wie Lina und ihre | |
Konzerte gibt. Das hat was von Unbeschwertheit und von Freiheit, und so | |
sollte man sich mit acht unbedingt fühlen dürfen. | |
Lina legt eine grandiose Bühnenshow hin, ohne viel Gewese mit viel Rock und | |
Energie. Keinmal wechselt sie ihre Garderobe und bringt die Menge zum | |
Kochen. „Sieht die Welt beschissen aus“, singt Lina, „Schmeiß ganz einfa… | |
Glitzer drauf!“ | |
Mein erstes Konzert in München war am 3. Mai 1986. Acht Tage vorher kam es | |
im Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl zu einer Explosion. Ich | |
war zwölf Jahre alt und hätte gerne einfach Glitzer auf alles geworfen. | |
Der Mann neben mir reibt sich bei der Zugabe eine Träne aus dem | |
Augenwinkel, auch ich muss schlucken bei: „Ich will so sein, wie ich will/ | |
So jung, so laut so leicht.“ Hinter mir ruft eine Mutter: „Mach hinne, die | |
Kinder schreiben morgen Mathe!“ | |
Dann ist das Konzert vorbei. „Ich bin Fan von dir“, singen wir auf dem | |
Heimweg, und meine Tochter steckt eine Handvoll Glitzer in meine | |
Manteltasche. | |
20 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Mareike Barmeyer | |
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