# taz.de -- Zeichen, die sich verschieben | |
> In China gilt Wahrsagen als völlig normal, viele Paare lassen sich vor | |
> ihrer Heirat eine Prognose beim Wahrsager erstellen. Die zugrunde | |
> liegenden Lehren sind komplex | |
Bild: Diese Abbildung wird von Wahrsagern des Wong-Tai-Sin-Tempels in Hongkong … | |
Von Liyang Zhao | |
In China sind WahrsagerInnen wahre Helden. Sie sind Gelehrte, zu denen man | |
aufschaut, oft mit Ehrfurcht. Und sie sind überall. Sie sitzen in Tempeln, | |
in Einkaufshäusern, ja sogar auf der Straße stehen WahrsagerInnen mit | |
Bücherstapeln und Orakel-Postern bereit. Letztere, so erzählt man sich, | |
solle man aber nicht allzu ernst nehmen. Die wollen nur Geld machen. Die | |
anderen allerdings soll man hin und wieder aufsuchen. In Krisenzeiten wie | |
auch vor großen Entscheidungen können SeherInnen den richtigen Weg zeigen. | |
Vor einer Hochzeit zum Beispiel lassen sich die meisten jungen Paare | |
spirituell beraten. Es läuft ab wie bei einem Interview. Die SeherIn | |
beginnt mit dem Groben wie dem Aussehen, dem Geburtstag, der Berufung. Dann | |
werden die jungen Menschen über ihre Lebensgeschichte ausgefragt, über die | |
ihrer Eltern und Großeltern. Und irgendwo, zwischen dem Wetter bei der | |
Geburt der Verlobten und dem Muttermal ihres Partners, beginnt die Sache | |
ernst zu werden. Am Ende der oft stundenlangen Sitzung erhalten die Paare | |
eine ausführliche Prognose für ihre gemeinsame oder eben getrennte Zukunft. | |
Das Ergebnis ist häufig gnadenlos. Sogar Todesfälle werden in den | |
Gesprächen vorhergesagt. Und des öfteren, so erzählt man sich, stimmen | |
diese Prognosen auf den Tag genau. | |
## Buch der Wandlung | |
Die dabei angewandten Methoden sind vielfältig, sie reichen von Gesichts- | |
und Handlesen über Horoskope bis zur daoistischen Harmonielehre des | |
,,Feng-Shui“, wörtlich „Wind und Wasser“, das den Menschen in Einklang m… | |
seiner Umgebung zu bringen versucht. Was aber in den meisten Fällen hinter | |
den Wahrsagen steckt, ist ein 5.000 Jahre altes Buch. Es nennt sich „Yi | |
Jing“, was so viel heißt wie ,,Das Buch der Wandlung“. Es ist eine Sammlung | |
von 64 Strichzeichen, denen jeweils eine Bedeutung zugeordnet ist. Ein | |
Zeichen bedeutet ,,Wanderer“, eines ,,Jugendtorheit“, ein anderes | |
,,Gemeinschaft mit Menschen“. Es gilt, dass kein Zeichen von Bestand ist. | |
Sie verwandeln sich im Laufe der Zeit zu einem anderen Zeichen, und solange | |
sie sich verändern, kann man die Veränderung beeinflussen. Wie genau diese | |
Veränderung für einen Menschen aussieht und wie man sie beeinflussen kann, | |
wissen aber nur die alten Gelehrten des „Yi Jing“. | |
Tatsächlich findet man Spuren der Wahrsagerei sogar in Studienplänen | |
chinesischer Universitäten. In Fächern wie Religion oder Philosophie sind | |
die alten Lehren verankert. | |
Vielleicht steckt ja wirklich mehr dahinter als bloßer Hokuspokus. Als ich | |
sechs Jahre alt war, waren meine Mutter und ich in einem Einkaufszentrum in | |
Tianjin, meiner Heimatstadt in China. Während wir auf einer Bank saßen, | |
beobachtete mich eine Frau eindringlich aus der Ferne. Dann kam sie zu uns | |
rüber und sagte zu meiner Mutter: ,,Ihr Kind wird eines Tages in fernen | |
Ländern zu Hause sein.“ Damals hatten wir uns nichts dabei gedacht. Heute | |
sitze ich doch tatsächlich hier in Hamburg. | |
17 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Liyang Zhao | |
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