# taz.de -- Max König Fast Italien: Menschen auf dem automatisierten Weg in de… | |
Tempus fugit. Der Eintagsfliege ist das scheißegal. Sie pflückt den Tag, | |
als ob es unendlich viele davon gäbe. Hetze ist nicht. So hält es | |
gewöhnlich auch der Münchner. Fährt man in der bayerischen Landeshauptstadt | |
Rolltreppe, herrscht ein ehernes Gesetz: Rechts stehen, links gehen. Die | |
Touristen gehen. Der Münchner steht. Er unterhält sich mit seinem Vorder- | |
oder Hintermann. Politisiert, philosophiert, flirtet. | |
So manche Lebensliebe hat hier ihren Ursprung. Zeit ist ein kostbarer | |
Moment. Erfordert eine gewisse Sorglosigkeit. Zeit ist endlich. Rasen macht | |
keinen Sinn, wenn man sehen, hören, verstehen möchte. Aber die Zeit | |
unterliegt auch einem Wandel. Mittlerweile stürmen auch bei uns gewisse | |
lindnerisch geprägte Individuen in den Untergrund, als ginge es um | |
Zeitrendite. | |
Ellenbogen werden ausgefahren. Das Sausen nimmt seinen Lauf. So mancher | |
Rechtssteher gerät ins Straucheln, wenn die Rolltreppe zur Formel-1-Strecke | |
erklärt wird. Hals und Beinbruch: Die nun üblichen Kollateralschäden, wenn | |
man in den Münchner Untergrund fährt. Aber die nämlichen hetzen auch | |
aufwärts … Aber das ist eine andere Geschichte. Wir reden über abwärts, | |
über den Rausch der Tiefe. | |
Hartmut fährt die steilste und längste Rolltreppe am Marienplatz hinunter. | |
Wie jeden sonnigen Samstag im Sommer. Er kommt vom Viktualienmarkt. | |
Zunächst hat er eingekauft. Tomaten, Käse, Wurst, Obst. Hartmut ist | |
Rentner. Aber es geht ihm gut. Er ist 80, gebürtiger Berliner, frech wie | |
Schnauze und trifft sich einmal die Woche mit seinen Hauptstadtemigranten | |
im dortigen Biergarten. Eine Art Diaspora. Ich bin nur geduldet. Was ich | |
Hartmut hoch anrechne. Er hat mich in den Kreis eingeführt. Sorgsam. | |
Bedächtig. Trotz aller Bedenken. Weil ich ein Münchner bin. Wir trinken, | |
wir essen, sie bärlinern. Sie schimpfen über München und schwärmen von | |
Berlin. Ich vertrete den Gegenstandpunkt. Obwohl ich Berlin schätze. Seit | |
zwanzig Jahren finden wir keinen Konsens. Und liegen uns trotzdem in den | |
Armen. Hartmut fährt abwärts. Er lächelt. Es war ein besonders schöner | |
Frühschoppen heute. Anekdoten über Berlin. Wie es früher war. Da kriegt | |
Hartmut einen Stoß verpasst. Gerät ins Straucheln. Der Raser flitzt | |
abwärts. Hartmut landet auf dem Friedhof. Samstag. Ich fahr mit Schrotti | |
zum Viktualienmarkt. Setze mich in den Biergarten mit Blick auf den Dom. An | |
guten Tagen können die Touristen von dort aus die Alpen sehen. Auf meinem | |
Wurstsalat landet eine Fliege. Ich bin kein Insektenkenner, weiß nicht, ob | |
es sich hierbei um eine Eintagsfliege handelt. Jedenfalls lasse ich sie | |
gewähren, gönne ihr den Schmaus, vielleicht ist es ja ihr letzter. Ich | |
nehme einen Schluck von meiner Maß. Die Fliege, Schrotti und ich. Ein | |
Eintagsstammtisch. | |
Die Berliner sind in der Hauptstadt auf Hartmuts Beerdigung. Die Sonne | |
scheint, die Gläser klirren, die Leute erzählen. Entspannung pur. Heute | |
hätte es Hartmut besonders gut gefallen. | |
15 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Max König | |
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