# taz.de -- Die DFB-Elf bei der Fußball-WM: Eine Mannschaft ohne Ballack | |
> Vor dem WM-Viertelfinale gegen Argentinien glauben manche, dass die | |
> deutsche Mannschaft ohne ihren langjährigen Kapitän Michael Ballack | |
> besser spielt. Stimmt das? | |
Bild: Hat Ballack als Kapitän gnadenlos durchregiert? Ist die deutsche Mannsch… | |
Michael Ballack ist der beste deutsche Feldspieler des ersten Jahrzehnts | |
dieses Jahrhunderts. Seit ihn der damalige DFB- Teamchef Jürgen Klinsmann | |
im Sommer 2004 statt Oliver Kahn zum Kapitän der deutschen Mannschaft | |
machte, ist er unumstritten und in allen Bereichen Deutschlands erster | |
Fußballer. Und der einzige, der konstant Weltklasse repräsentiert. 98 | |
Länderspiele, 42 Tore: Einen zweiten Mittelfeldspieler, der Defensiv- und | |
Offensivqualitäten, strukturelle und individuelle Klasse über eine so lange | |
Zeit ähnlich gut verband, hat Deutschland nie gehabt. | |
Perdu? Kurz vor der WM fiel Ballack wegen Verletzung aus. Zunächst wurde es | |
in der angemessenen Hyperventilierung als Katastrophe positioniert. Vor dem | |
WM-Viertelfinale gegen Argentinien am Samstag hat sich schon | |
teilgesellschaftlich oder gar mehrheitlich die Annahme durchgesetzt, die | |
deutsche Mannschaft spiele ohne ihn besser als mit ihm. Stimmt das? | |
Wie so vieles im Fußball bewegt sich auch die Ballack-Frage im Reich des | |
Spekulativen und Psychologisierenden. Keiner kann sie definitiv | |
beantworten. Listen wir in der angemessenen Seriosität die Argumente auf, | |
die dafür sprechen. Man könnte die These aufstellen, dass das Tempo des | |
deutschen Konterfußballs mit Ballack, 33, nicht ganz so hoch wäre - und mit | |
seinem einstigem Adjutanten Frings schon gar nicht. Es könnte sein, dass | |
Ballack eher spielberuhigend agieren würde, und die entscheidenden | |
Kontertore gegen England nicht gefallen wären. Andererseits hätte | |
Schweinsteiger sein Solo, hätte Özil seinen Sprint auch in Ballacks Beisein | |
durchziehen können. | |
Man kann mit mehr Recht annehmen, dass die Hierarchie in der deutschen | |
Mannschaft mit Boss Ballack nicht so flach wäre. Dadurch könnten Spieler | |
wie Schweinsteiger, Lahm, Özil, Müller, Friedrich und Klose weniger | |
"Verantwortung" spüren, gleichzeitig weniger Freiheit und daher individuell | |
und als Team weniger gut funktionieren. Der moderne, flachhierarchische | |
Teamfußball jenseits eines anachronistischen Chef- und Heldenstils kann | |
derzeit die Qualitäten der Einzelnen wirklich prächtig ausdrücken und | |
summieren. | |
Aber glaubt denn jemand wirklich, Ballack habe als Kapitän gnadenlos | |
durchregieren können, wie bisweilen der Eindruck erweckt wird? Solche | |
Projektionen verraten in der Regel etwas über die Arbeitsverhältnisse | |
derjenigen, die sie haben. Nicht über die im DFB-Team. | |
Man sollte auch nicht vergessen haben, dass das Team in der Vorrunde gegen | |
Serbien 0:1 verlor, mit zehn Mann und dominanten Spiel. Das heißt: Es | |
funktionierte immer noch als Team, aber das ist manchmal eben nicht genug. | |
Unvergessen ist, wie Ballack bei der EM 2008 in blockierter Situation gegen | |
Österreich hinging und das Ding unter die Latte hämmerte. Das war zwar | |
anachronistische Omnipotenz, aber letztlich gewann Deutschland dadurch 1:0. | |
Von Schweinsteiger kann man das im Ausnahmefall auch erwarten, aber seine | |
Bilanz (21 Tore in 78 Spielen) ist nicht annähernd mit Ballacks zu | |
vergleichen. Sami Khedira (0 Tore in 9 Spielen) kommt gar nicht in Frage. | |
Bei aller Begeisterung für die neue deutsche Doppelsechs | |
Schweinsteiger/Khedira: Warum hätte ein gesunder Ballack zusammen mit dem | |
in Weltklasseform spielenden Schweinsteiger nicht das beste defensive | |
Mittelfeld dieser WM bilden können? Und das Problem dieser deutschen | |
Mannschaft reduzieren können, das in einer erstaunlichen Fragilität | |
besteht, wie man sie selten oder nie zuvor gesehen hat. | |
Diese Fragilität ist die Kehrseite des neuen, mutigen, schnellen | |
Kombinationsfußballs, den Joachim Löw spielen läßt. Wer vorn was riskiert, | |
riskiert auch hinten was. Mit Michael Ballack könnte das Risiko geringer | |
sein, die Struktur fester, der Verbund aus Innenverteidigung und | |
Doppelsechs kompakter - und der Spaß und die ästhetische Qualität geringer. | |
Wer zwischen schönem und erfolgreichen Fußball unterscheidet, könnte also | |
argumentieren, dass die Konkretion der Schönheit mit Ballack etwas geringer | |
ausfällt - aber dafür die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs steigt. Aber das | |
verkennt, dass ein moderner Weltklassespieler wie Ballack in der Lage ist, | |
in jedem Stil zu funktionieren. Und es verkennt, dass ein kompaktes Team | |
1:0 verlieren kann statt wackelig 4:1 gewinnen. | |
Versuchen wir es grundsätzlicher: Stirbt der Ehemann, wird ein neuer | |
geheiratet. Geht die Abteilungsleiterin, kommt die nächste. Und auch im | |
Fußball, so heißt es immer, sei jeder Spieler zu ersetzen. Da ist er sogar | |
nur einer von elf. Gewinnt man dann das Spiel oder gar das Turnier, ist die | |
These verifiziert. Verliert man gegen Argentinien, wird man die Annahme | |
relativieren. Das Einzige, was man wirklich sicher sagen kann: Eine | |
Mannschaft mit Ballack wäre eine Mannschaft mit Ballack. | |
30 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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