# taz.de -- Der Mittelpunkt des Universums | |
> Schakale im Nahen Osten und das Leben im Kibbuz: Amos Oz’frühe | |
> Erzählungen gibt es auf Deutsch | |
Von Tobias Schwartz | |
In seiner autobiografischen „Geschichte von Liebe und Finsternis“ (die | |
deutsche Übersetzung erschien 2004) kommt Amos Oz irgendwann auf den | |
Amerikaner Sherwood Anderson zu sprechen. Der habe ihm einst die | |
schreibende Hand gelöst, und zwar mit dem Erzählband „Winesburg, Ohio“, d… | |
heute zu den Klassikern der literarischen Moderne zählt. Vor der Lektüre – | |
Ende der 50er Jahre – befand sich Oz in einem Teufelskreis gefangen, | |
bekennt er. Der ambitionierte Jungautor lebte damals im Kibbuz mitten in | |
der israelischen Wüste, weit ab vom mondän-urbanen Leben und auch in | |
einiger Entfernung zu Jerusalem und Tel Aviv. Es zog ihn nach Paris, London | |
oder New York und er glaubte, um dorthin zu kommen, müsste er erst einmal | |
berühmt sein, das heißt, ein erfolgreiches Buch schreiben. Um es aber zu | |
schreiben, müsste er wiederum erst in einer dieser Metropolen gelebt haben. | |
Andersons Erzählungen, die vom Alltag in der amerikanischen Provinz | |
handeln, von kleinen Leuten und ihren Träumen, belehrten ihn eines | |
Besseren. Oder, mit Oz’Worten: „Dank seiner begriff ich auf einmal, dass | |
die geschriebene Welt nicht von Mailand und London abhängig ist, sondern | |
immer um die schreibende Hand am Ort ihres Schreibens kreist: Hier bist du | |
– hier ist der Mittelpunkt des Universums.“ | |
Die Erzählungen, die in Amos Oz’erster Buchpublikation aus dem Jahr 1965 | |
versammelt sind, entstanden unmittelbar nach dem Erweckungserlebnis durch | |
Anderson. Sie erscheinen jetzt, mehr als 50 Jahre später, unter dem Titel | |
„Wo die Schakale heulen“ erstmals auf Deutsch – in der sehr gelungenen | |
Übersetzung Mirjam Presslers, die für ihre Übertragung von Oz’Roman „Jud… | |
2015 den Preis der Leipziger Buchmesse und den Internationalen | |
Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt erhielt und auch den nun | |
ebenfalls erscheinenden Oz-Essayband „Liebe Fanatiker“ übersetzt hat, der | |
drei historisch-anthropologisch versierte Plädoyers gegen Fanatismus und | |
für die Zweistaatenlösung im israelisch-palästinensischen Konflikt enthält. | |
In fast jeder der frühen Erzählungen heulen tatsächlich Schakale, | |
leitmotivisch gewissermaßen, und sie heulen nicht nur, wenn einer von ihnen | |
in eine Falle getappt ist. Die Symbolik liegt auf der Hand, die Klage über | |
die scheinbar ausweglose Situation in Nahost schwingt nicht nur zwischen | |
den Zeilen immer mit. Der Alltag im Kibbuz, den Oz sehr plastisch | |
beschreibt, ist ohne ein Bewusstsein ständiger Bedrohung nicht denkbar. | |
Aber die kann auch die Form erotischer Spannung annehmen wie in „Beduinen | |
und Kreuzottern“, wo die Israelin Ge’ula auf einen jungen Beduinen trifft, | |
während gerade Stimmung gegen „Araber als Diebe“ gemacht wird. Die Erotik | |
und das Verbotene reichen sich mehrfach die Hand, auch in der Geschichte | |
der jungen Galila (in „Land der Schakale“), die mit dem älteren Matitjahu | |
Sex hat, ihrem mutmaßlichen Vater. Militärische Einsätze kommen ebenso zur | |
Sprache wie filigrane Liebesgeschichten und biblische Legenden. Viele | |
Themen und Motive, die in diesen acht Erzählungen angelegt sind, tauchen in | |
Oz’späteren Werken wieder auf. Man hat es hier also mit einer Art | |
schriftstellerischem Ursprung zu tun. | |
Beeindruckend ist die Sprachkraft dieser Prosa. Auch sie mag von der | |
Lektüre Sherwood Andersons herrühren, der schließlich schon ein Vorbild für | |
Ernest Hemingway war. | |
10 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schwartz | |
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