# taz.de -- nordđŸthema: âWir sind keine Mediatoren, wir sind parteiischâ | |
> Wie viele Menschen gegen ihren Willen verheiratet werden, weiĂ niemand. | |
> Doch beim NiedersÀchsischen Krisentelefon gegen Zwangsheirat ist die Zahl | |
> der BeratungsfÀlle seit Jahren gleichbleibend hoch. Im GesprÀch mit der | |
> taz berichten zwei langjÀhrige Mitarbeiterinnen von der schwierigen | |
> Beratungsarbeit | |
Interview Christian Link | |
taz: Sibel, Adriana, mit welchen Problemen kommen MĂ€dchen, Frauen und | |
MĂ€nner zu Ihnen? | |
Sibel: Die Betroffenen, die sich bei uns melden, werden im familiÀren | |
Umfeld oder im Familienverbund unterdrĂŒckt, eingeschrĂ€nkt und kontrolliert. | |
Dort herrschen patriarchalische VerhÀltnisse und ihnen droht eine | |
Zwangsverheiratung oder sie befinden sich in einer Zwangsehe, aus der sie | |
heraus möchten. Dabei sind sie von psychischer oder physischer Gewalt | |
bedroht. Sie befinden sich mitten in der Phase, in der sie herausbekommen, | |
dass ihre Eltern sie gegen ihren Willen mit jemandem vermÀhlen wollen. Und | |
wenn sie dem entgegenwirken oder ihre Ablehnung in Worte bringen, wird das | |
von den Initiatorinnen meist nicht akzeptiert. | |
Welche Formen von psychischer Gewalt passieren dann? | |
Sibel: Psychisch bedeutet: Sie werden oftmals ignoriert und isoliert â im | |
gleichen Haushalt. Mit ihnen wird nicht gesprochen, sie mĂŒssen sich | |
Beschimpfungen und Beleidigungen anhören. Ganz hÀufig kommt es zu sozialer | |
Kontrolle, sodass sie keine PrivatsphÀre mehr haben. Das Handy wird | |
kontrolliert, die Taschen werden durchsucht, TelefongesprÀche werden | |
abgehört. Deswegen wenden sich die Betroffenen meist von einem geschĂŒtzten | |
Umfeld aus an uns â von der Schule aus oder anderen Stellen. | |
Ist das Krisentelefon in der Regel die erste Anlaufstelle? | |
Sibel: Ja, aber es gibt FĂ€lle, in denen sich die Betroffenen beispielsweise | |
erst an eine Schulsozialarbeiterin, eine Lehrerin, eine | |
Jugendamtsmitarbeiterin oder die Polizei wenden oder sich einer vertrauten | |
Person gegenĂŒber öffnen. | |
Wie viele Menschen beraten Sie? | |
Sibel: Wir hatten 2017 152 Beratungen. Das sind allerdings FalleingÀnge, | |
mit ein oder zwei GesprĂ€chen ist das individuelle Problem natĂŒrlich nicht | |
gelöst. Da gibt es meistens mehrere FolgegesprÀche. | |
Wer ruft bei Ihnen an? | |
Sibel: Unser Angebot ist fĂŒr junge Betroffene ab 14 Jahren geöffnet. | |
Meistens ist es so, dass die Altersgruppe zwischen 18 und 21 Jahren den | |
höchsten Anteil ausmacht. 2017 waren darunter zehn MÀnner, im Schnitt | |
sieben bis acht Prozent der Betroffenen. | |
Ist die Beratung fĂŒr MĂ€nner anders? | |
Sibel: Es sind viele Parallelen vorhanden. Auch da wird eine Heirat | |
erzwungen. Auch da wird psychisch und physisch Druck ausgeĂŒbt. Die Probleme | |
sind schon sehr Àhnlich, nur die Konsequenzen sind unterschiedlich. | |
Adriana: Meistens sind die MÀnner ein bisschen lösungsorientierter und | |
offener, wenn es darum geht, auch strafrechtlich zu agieren. In der Regel | |
sind die MÀnner aber auch weitaus Àlter. Manchmal haben wir es da aber auch | |
mit 16-JĂ€hrigen zu tun. | |
Hat das 2011 eingefĂŒhrte Gesetz zur BekĂ€mpfung von Zwangsheirat was | |
gebracht? | |
Sibel: Die Situation hat sich auf jeden Fall zum Guten verÀndert. Die | |
Möglichkeit der Betroffenen, gesetzlich dagegen vorzugehen, hat auch einen | |
hohen Symbolcharakter. Es ist wichtig fĂŒr die Betroffenen zu erfahren, dass | |
es rechtswidrig ist, was die Eltern, die Initiatoren, da vorhaben. Das | |
schÀrft das Bewusstsein und Àndert auch meist den Blickwinkel: Okay, das, | |
was mir da widerfahren soll, ist verboten. | |
Das klingt gut. | |
Sibel: Es gibt jedoch ein âAberâ, nĂ€mlich dass die Inanspruchnahme sehr | |
gering ist. Das hat damit zu tun, dass wir es mit einer Betroffenengruppe | |
zu tun haben, die wÀhrend ihrer Erziehung gelernt hat, dass Hierarchie | |
einen groĂen Stellenwert hat. Dass das, was die Eltern sagen, auch Gesetz | |
ist. FĂŒr viele ĂŒberwiegt deswegen das GefĂŒhl der LoyalitĂ€t und sie sagen | |
dann meistens: Solange ich Hilfe bekomme und erst mal in Freiheit leben | |
kann, will ich meine Eltern nicht in eine Bredouille bringen. | |
Adriana: In der Regel reichen ja bereits die Schuldzuweisungen aus â wenn | |
sie sich beispielsweise ans Jugendamt wenden. Man muss auch im Blick haben, | |
dass viele Betroffene sehr jung und noch nicht so stabil und von der | |
Familie emotional und materiell abhÀngig sind. So ein Strafverfahren kann | |
durchaus belastend sein und es stellt eine zusÀtzliche GefÀhrdung dar, der | |
Familien vor Gericht nochmal entgegenzutreten. Aber es gibt natĂŒrlich auch | |
Frauen und MĂ€nner, die genau das durchziehen wollen. Bei uns liegt der | |
Fokus aber bei Information, AufklÀrung und vor allem: Schutz. | |
Was erhoffen sich die Betroffenen von der Beratung? | |
Sibel: PrimĂ€r geht es ihnen darum, dass sie ĂŒberhaupt UnterstĂŒtzung finden | |
und ein offenes Ohr. Aber die Hoffnung ist natĂŒrlich, dass sie einen Ausweg | |
aus ihrer Situation erhalten. Den können wir als Beraterinnen natĂŒrlich | |
nicht ĂŒber den Kopf der Betroffenen hinweg entscheiden. | |
Adriana: Manchmal ist es ein kurzer Prozess: Die Betroffenen rufen an und | |
sind bereits entschieden. Denen geht es dann nur um UnterstĂŒtzung. Manchmal | |
sind Beratungen aber auch sehr langwierig, weil die Situation vielschichtig | |
ist. | |
Was macht es so schwierig? | |
Adriana: Nicht jede Frau entscheidet sich dafĂŒr, die Familie zu verlassen. | |
Viele stecken in ganz starken Ambivalenzen und wollen fĂŒr sich erst mal | |
gucken: Was habe ich denn fĂŒr Möglichkeiten? Und dann kommt ganz oft die | |
Frage, ob wir sie im ElterngesprĂ€ch unterstĂŒtzen können. Das ist aber nicht | |
Teil und Ziel unserer Arbeit. Wir sind keine Mediatoren, wir sind | |
parteiisch fĂŒr die Betroffenen. Da vermitteln wir an interkulturelle | |
Dienste. | |
Was hat sich in zwölf Jahren Krisentelefon. verÀndert? | |
Sibel: Dieselben Problemstellungen sind es nie, jeder Fall ist individuell. | |
Die Beratung an sich ist aber gleich geblieben. Strukturell haben wir uns | |
schon verĂ€ndert und erweitert. Wir versuchen die LĂŒcken im System zu | |
erkennen und daran zu arbeiten. | |
Wird es irgendwann kein Krisentelefon mehr geben? | |
Adriana: Das ist eher unwahrscheinlich. Obwohl es uns seit zwölf Jahren | |
gibt, kennen uns noch nicht alle. Wir gehen eher davon aus, dass die Zahl | |
der BeratungsgesprÀche gleich bleibt oder sogar ansteigt, vergleichbar mit | |
den Zahlen zur hÀuslichen Gewalt. Es gibt ja nicht unbedingt mehr Gewalt, | |
die Bereitschaft, sich Hilfe zu holen ist aber gröĂer. | |
Ist die Beratung belastend? | |
Sibel: Es ist ja so, dass wir diese Arbeit aus persönlicher Ăberzeugung | |
machen. Unser groĂes Bestreben ist es auch, das Patriarchat aufzubrechen | |
und Gleichberechtigung zu schaffen. Und wenn man diesen emanzipatorischen | |
Weg begleitet und Feedback bekommt, stÀrkt uns das auch. | |
Adriana: Die Arbeit wĂŒrde nicht funktionieren, wenn wir das GefĂŒhl hĂ€tten, | |
es wĂŒrde uns nur genommen. Es gibt uns auch sehr viel. | |
Welche Bedeutung hat fĂŒr Sie der Weltfrauentag? | |
Sibel: Der 8. MĂ€rz hat fĂŒr unsere Arbeit einen ganz besonderen Stellenwert, | |
weil es um die SolidaritĂ€t fĂŒr die Frauen weltweit geht. Wir sehen den | |
Frauentag als groĂe Chance, Forderungen aufzustellen und Bedarfe | |
aufzuzeigen. Wir bei Suana richten auch alljĂ€hrlich eine groĂe | |
Veranstaltung hier aus. | |
LandtagsprÀsidentin Gabriele Andretta (SPD) hat gefordert, den 8. MÀrz in | |
Niedersachsen zum Feiertag zu machen. | |
Sibel: Das begrĂŒĂen wir. Dadurch wĂŒrden Frauen und auch emanzipatorische | |
MÀnner wirklich die Möglichkeit erhalten, an diesem Tag auch teilzunehmen. | |
3 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Christian Link | |
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