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# taz.de -- der rote faden: Die Schattenseiten des Lebens nach Relevanzkriterien
Bild: Foto: privat
Durch die Woche mit Klaus Raab
Ich sage es ungern, aber es ist mir von heute an wirklich egal, was Sie
denken. Erzählen Sie es Ihrem Mann, Ihrer Frau, Ihrem Hund (3), aber
erzählen Sie es bitte nicht mir. Ich meinungsfaste. Okay?
Sie können im Gegenzug dafür machen, was Sie wollen – ich verspreche
wegzuschauen. Sie können Diesel fahren oder Rad, Schokolade lecker finden
oder kleine Robben. Ist. Mir. Schnurz.
Es muss sein. Ich bin mittlerweile ein regelrechter Junkie. In der
vergangenen Woche gab es einfach wieder dermaßen guten Stoff, ich kam gar
nicht mehr runter. Da war schon mal diese Meinungsumfrage, die ergab, dass
die SPD bloß noch bei 19 Prozent liegen würde, wenn morgen Bundestagswahl
wäre.
Es ist ja nicht so, dass morgen Bundestagswahl ist, aber hey: Immerhin
wurden da Menschen angerufen und im Irrealis nach ihren politischen
Meinungen befragt, die sie – Geschichten über einen in die SPD
eingetretenen Hund und irgendwelche „Schmutzkampagnen“, haha, im Hinterkopf
– aus der Hüfte schießen sollten, während sie nebenbei Sudokus lösten. Das
sind doch valide Bauchgefühle.
Am liebsten hätte ich gleich die nächste Umfrage gelesen – ach, und da war
sie zum Glück auch schon: SPD 16 Prozent. Und dann gleich noch eine: SPD
15,5 Prozent. Und noch eine: 17 Prozent. Ich: voll angefixt. So
interessant!
Aber ich muss wirklich aufhören damit. Morgens google ich ja schon nach dem
Aufstehen als erstes „Umfrage“. Am Dienstag fragte zum Beispiel eine
Frankfurter Zeitung online, wie viele Userinnen und User sich an der Wahl
des neuen Oberbürgermeisters beteiligen wollten.
Drei der 571 abgegebenen Stimmen sind von mir, als Demokrat habe ich da
gerne mitgemacht, damit auch Berlin repräsentiert ist. Und schau an, 67
Prozent der Leute wollen am Sonntag wählen gehen. Finde ich
supererfahrenswert. Es ist doch gut zu wissen, dass die Wahlbeteiligung so
stark ansteigen wird, nachdem beim letzten Mal nur 35,1 Prozent der
Berechtigten wählen gegangen waren.
Weil, wenn diesmal eh so viele gehen, kann man am Sonntag zu Hause bleiben
und Facebook lesen, das Medium des freien Austauschs. Und dort anhand der
Zahl der Gefällt-mir-Daumen auf der Seite der Initiative
Nachrichtenaufklärung herausfinden, dass die von den Medien „vergessenen
Nachrichten“, die diese Initiative am Dienstag vorgestellt hat, tatsächlich
nicht so wichtig sind.
Inklusion in der Arbeitswelt, Portugal überwindet ohne Sparen Finanzkrise,
humanitäre Krise im Tschad – ja, Mensch: Ist halt langweilig. Machen Sie
doch mal eine Umfrage, wen so was interessiert.
Am Donnerstag kam dann neuer Stoff, der ifo-Geschäftsklimaindex, viel
besser kann ein Tag kaum losgehen. Da werden 7.000 Manager nach ihrer
Meinung befragt, wie es der Wirtschaft wohl ergehen wird, und wenn sie
meinen, dass es ihr vielleicht bald nicht mehr ganz so gut geht, fällt der
Index. Ich finde es wichtig, die Prophezeiungen zu kennen, sie heißen ja
nicht zufällig „selbsterfüllend“. Ich will wissen, wenn es Zeit ist, mich
mit Trockenfleisch einzudecken.
Wobei ich aber die Schattenseiten dieses Lebens nach Relevanzkriterien
erkannt habe. Ich liege dann ja auch nachts immer wach und befrage mich
selbst repräsentativ. Werden da, wenn Parteipräferenzen zusammentelefoniert
werden, politische Meinungen abgefragt oder doch die Kopfschüttelbewegungen
nach der flüchtigen Lektüre von Bild-Schlagzeilen?
Aber dann wieder Zweifel am Zweifel: Nee, da sind so viele Umfrageinstitute
am Machen, die denken sich da ja was bei. Und die sind ja auch alle
unterschiedlich. Das eine ist SPD-kritisch, das andere bevorzugt die AfD.
Das ist dann schon relevantes Material für die Meinungsvielfalt.
Und dann überlege ich, was ich selbst sagen würde, wenn mich endlich mal
jemand befragen würde, und dann denke ich: Eine Volkspartei, die bei 16
oder 17 Prozent steht, würde ich natürlich nicht nehmen, ich meine, bin ich
ein Verlierer oder was? Und so verbringe ich dann selbst noch meine Nächte
schlaflos im politischen Diskurs. Das ist für mich gelebte Demokratie:
wissen, was die anderen von sich geben, und dann zustimmen.
Insofern kann ich Ihnen versichern, dass es mir schwerfallen wird, auf Ihre
Meinungen zu verzichten. Aber für den Fall eines Rückfalls habe ich einen
Plan. Ich gehe mal zum Arzt, Homöopath natürlich, und lasse mir was
verschreiben. Denn ich habe am Mittwoch auf einer österreichischen
Nachrichtenseite eine Umfrage gelesen, derzufolge „bei kleineren
Wehwehchen“ fast 60 Prozent aller Familien homöopathische Mittel verwenden.
Ich war bislang ja gegen Kügelchen, aber das ist ein Wert, der mich
überzeugt.
Nächste Woche Robert Misik
24 Feb 2018
## AUTOREN
Klaus Raab
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