# taz.de -- nord🐾thema: Innen Luxus, außen Betonklotz | |
> Früher waren Bunker Zufluchtsorte in den Bombennächten des Zweiten | |
> Weltkriegs und wurden von Zwangsarbeitern gebaut. Heute wohnen in den | |
> Bauten immer mehr Menschen, die sich diese hochpreisigen Immobilien | |
> leisten können | |
Bild: Sieht ganz normal aus: Auf der Rückseite des Bunkers in der Roonstraße … | |
Von Philipp Nicolay | |
Meterdicke Betonwände, wenig Licht und kalt wirkende Fassaden spiegeln das | |
Bild vieler Bunker wider. In diesen Gebäuden kauerten während des Zweiten | |
Weltkriegs Tausende Menschen und suchten Schutz vor Bomben. Zwangsarbeiter | |
bauten die Betonklötze unter unmenschlichen Bedingungen. Heute stehen diese | |
Bauten immer noch an zahlreichen Stellen in allen deutschen Großstädten. | |
Einer davon ist der Bunker in der Bremer Roonstraße, der sich zwischen | |
Altbau-Häusern in der Östlichen Vorstadt befindet. Seit gut zehn Jahren | |
werden immer mehr Bunker zu Wohnhäusern umfunktioniert, auch in der | |
Roonstraße wohnen inzwischen seit rund sieben Jahren Menschen in | |
großzügigen Apartments und Penthouses in und auf dem Betonklotz. Wie ein | |
Bunker sieht die Immobilie auf den ersten Blick nicht mehr aus. | |
Auch das pensionierte Ehepaar Zacharias hat sich dafür entschieden, den | |
Ruhestand im Bunker zu verbringen. Die ehemaligen Bewohner eines altbremer | |
Hauses wollten eine altersgerechte Wohnung. Die Wahl auf den Bunker fiel | |
dabei eher zufällig. „Wir wollten aus unserem Kiez nicht weg“, sagt Jutta | |
Zacharias, die vorher mit ihrem Ehemann jahrzehntelang ganz in der Nähe | |
gelebt hatte. In ihrer altersgerecht sanierten 165-Quadratmeter-Wohnung im | |
Bunker konnten sie den Grundriss entscheidend mitbestimmen. Das war dem | |
pensionierten Soziologen und der ehemaligen Lehrerin sehr wichtig. „Mit | |
sehr viel Energie haben wir hier alles geplant und eingerichtet“, sagt die | |
68-Jährige. | |
## Doppelkopf-Clique boykottierte den Bunker | |
Bekannte und ehemalige Nachbarn der beiden reagierten anfangs ablehnend auf | |
die neue Bleibe. „Freunde von uns sagten, wir kommen nicht mehr zum | |
Doppelkopfspielen, wenn ihr wirklich in den Bunker zieht“, sagt Gerhard | |
Zacharias. Einige ihrer engen Freunde hatten selbst noch Bombennächte in | |
Luftschutzbunkern verbracht. Letztendlich habe sich jedoch auch ihr | |
Bekanntenkreis mit der neuen Wohnung arrangiert. Jetzt kämen ihre Freunde | |
auch wieder zu Doppelkopfabenden vorbei. „Natürlich ist es ein historisch | |
belasteter Ort“, sagt Gerhard Zacharias. Doch die beiden fühlen sich trotz | |
der dunklen Vergangenheit wohl in ihrem Alterssitz. | |
## Stille in Bombennächten | |
Ganz andere Erlebnisse in Bunkern hat Lore Bünger aus Hamburg. Die heute | |
95-Jährige suchte während des zweiten Weltkriegs unzählige Male Schutz vor | |
Bombardierungen. Als sie nach vielen Jahren nochmal einen Bunker betrat, | |
bekam sie im ersten Moment einen Schock. „Es roch noch wie früher, als wenn | |
der Schweiß der Menschen noch da ist“, sagt Lore Bünger. In den | |
Bombennächten sei es in den Bunkern oft sehr still gewesen, in einigen | |
Ecken hätten Leute Karten gespielt, aber meistens wurde geschwiegen. | |
Lore Bünger wäre wegen ihrer schlimmen Erinnerungen nie auf die Idee | |
gekommen, in einem Bunker zu wohnen. „Ich möchte nicht mal ein Penthouse | |
obendrauf haben“, sagt die Hamburgerin. Leute wie das Ehepaar Zacharias | |
verurteilt die Rentnerin trotzdem nicht. „Wenn einer wirklich im Bunker | |
wohnen will, kann sich auch niemand darüber aufregen“, sagt sie. Seit | |
vielen Jahren ist Lore Bünger in der Zeitzeugenbörse Hamburg aktiv und | |
spricht insbesondere mit Kindern und Jugendlichen sehr viel über ihre | |
schrecklichen Erfahrungen im Nationalsozialismus. Ohne diese aufklärende | |
Aufgabe hätte sie wohl nie wieder einen Bunker betreten. | |
## Ein Fensterausschnitt wiegt 13 Tonnen | |
In den schicken und lichtdurchfluteten Räumen des Ehepaares Zacharias | |
erinnern eigentlich nur noch die anderthalbmeterdicken Wände an einen | |
Bunker und nichts mehr an die Bombennächte, wie sie Lore Bünger unzählige | |
Male erlebte. Insgesamt wurden in dem Bunker in der Roonstraße vier | |
Wohnungen und drei Penthouses errichtet. „Die Alten wohnen im Bunker und | |
die jungen Leute obendrauf in den Penthäusern“, sagt Jutta Zacharias. Gegen | |
den Widerstand vieler Anwohner wurde das Großprojekt schließlich doch noch | |
mit Verzögerung durchgesetzt. Insbesondere die aufwendigen und lauten | |
Bauarbeiten sowie die schwierige Parkplatzsituation sorgten für Ärger in | |
der Östlichen Vorstadt. | |
## Ein Loch pro Tag | |
Geplant, entworfen und gebaut wurde das Projekt von den Bremer Architekten | |
Rainer Mielke und Claus Freudenberg, die die Nische „Bunker-Wohnen“ für | |
sich entdeckt haben. Rainer Mielke wohnt selbst seit 1999 in einem | |
umgebauten Bunker. „In meinem eigenen Bunkerprojekt konnte ich mich | |
architektonisch austoben“, sagt Rainer Mielke. Für den Bunkerprofi ist es | |
immer die schwierigste Aufgabe, die Löcher für die Fenster in meterdicken | |
Betonwände zu bekommen. Es gilt die Faustregel, ein Loch dauert einen Tag. | |
Mit hochtechnisierten Seilsägen sei dies aber inzwischen einfacher | |
geworden. Mobilkräne sind dann nötig, um die teilweise 13 Tonnen schweren | |
herausgeschnittenen Betonblöcke wegzuschaffen. | |
Die Auftragslage der Bunker-Architekten ist in den letzten Jahren immer | |
besser geworden. Gerade in hochpreisigen Wohngegenden in Bremen und Hamburg | |
ist Wohnraum knapp und begehrt. Mit dem Wort „Luxuswohnen“ identifiziert | |
sich der Architekt nicht, obwohl Kunden je nach Größe und Ausstattung um | |
eine halbe Million oder auch mehr für einzelne Objekte zahlen. Seine Firma | |
hat vor allem Bunker in beliebten und hochpreisigen Wohngegenden im Blick. | |
„Als ich in den neunziger Jahren bei Bundesbehörden wegen meiner Ideen und | |
Kaufwünsche für Bunker nachfragte, haben sie mich immer angeguckt, als ob | |
ich nicht ganz dicht wäre“, sagt der Architekt. Der Eigentümer der Bunker | |
war das Bundesvermögensamt. Manche Staatsbedienstete gingen in den | |
Neunzigerjahren davon aus, dass die Bunker noch für kommende Kriege | |
benötigt würden. Auch Banken seien bei Finanzierungswünschen zu | |
Bunkerprojekten anfangs sehr skeptisch gewesen. Heute sind auch für Banker | |
Bunkerumgestaltungen nichts ungewöhnliches mehr und Kredite fließen. | |
## Keine ethischen Bedenken | |
Architekturprofessor Eberhard Syring von der Hochschule Bremen sieht die | |
neue Nutzung von Wohnraum positiv. „Wegen der urbanen Verdichtung ist das | |
auf jeden Fall sinnvoll“, sagt Syring. Als Architekturhistoriker kennt er | |
auch ganz genau die Entstehungsgeschichte der Bauwerke. Ethische Bedenken | |
habe er nicht, wenn Bunker zu Wohnungen umfunktioniert werden. „Eine | |
Wohnnutzung wäre sogar eine Art der Zivilisierung der Gesellschaft. | |
Schwerter zu Pflugscharen, Bunker zu Wohnungen“, sagt der Professor. | |
Doch genau wie Stadtplanern und Politikern ist auch Syring klar, dass | |
Bunker nicht das Problem für bezahlbaren Wohnraum in deutschen Großstädten | |
lösen. Sie bleiben Luxusimmobilien. „Als Alternative zum Einfamilienhaus | |
oder im Umland ist eine Bunker-Eigentumswohnung durchaus sinnvoll“, sagt | |
der Architekturhistoriker. Damit mag er recht haben, aber die, die den | |
Wohnraum wirklich dringend brauchen, werden sich den Bunker nicht leisten | |
können. Und Menschen wie Lore Bünger wünschen sich, dass zumindest einige | |
dieser Bauwerke als Mahnmale bewahrt werden. | |
24 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Philipp Nicolay | |
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