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# taz.de -- nord🐾thema: Zu Hause bei den Steiners
> Im Hamburger Rudolf-Steiner-Haus gibt es nicht nur Vorträge zu
> Anthroposophie, Christentum und Buddhismus, sondern auch Übungsräume für
> junge Musiker
Bild: Der Ahne: Rudolf-Steiner-Porträt im Treppenhaus der Hamburger Residenz
Von Philipp Schulte
Fünf Minuten Fußweg sind es vom Hamburger Dammtor-Bahnhof zum
Rudolf-Steiner-Haus. Entlang des Mittelwegs taucht es auf der linken Seite
auf. Wasser plätschert in einem kleinen Brunnen im Blumenbeet. Im Sommer
nähren sich Insekten an ihm. An diesem Nachmittag sind es null Grad – rein
ins Haus.
Thomas Grofer empfängt im Foyer. Der 46-Jährige ist seit 2001
Geschäftsführer des 1962 gegründeten Hauses. Er ist 1,85 Meter groß, frisch
rasiert, trägt Jeans und einen Pullover über dem Hemd. Sein braunes Haar
ist kurz, seine Stimme klar.
Zuerst führt er in den großen Saal. Es riecht nach Limone. „Wir verwenden
ökologische Reinigungsmittel“, sagt der Heilpädagoge. Die Verwendung von
Bio-Produkten passe zur Anthroposophie, der sich das Haus verschrieben
habe.
Der große Saal ist in etwa so groß wie ein halbes Fußballfeld und hat eine
Empore. Heute Morgen hat hier noch die Betriebsversammlung der
Elbkinder-Vereinigung der Hamburger Kitas stattgefunden. „Wir bieten unter
anderem Vorträge und Seminare zur Anthroposophie an. Es kommen aber auch
andere Organisationen hierher“, sagt der Vater von zwei Kindern.
Der Österreicher Rudolf Steiner, der von 1861 bis 1925 lebte, war Begründer
der Anthroposophie. Dieser Begriff steht für Mensch und Weisheit. Die
zugehörige Weltanschauung beinhaltet ein positives Bild des Menschen. Er
gilt als spirituelles Wesen, das für seine Entwicklung selbst
verantwortlich ist. Im Mittelpunkt steht die Menschenwürde.
Waldorfschulen, auch Rudolf-Steiner-Schulen genannt, anthroposophische
Ärzte und Naturkosmetik füllen diese Weltanschauung mit Leben.
Alnatura-Gründer Götz Rehn etwa hat eine Waldorfschule besucht und lebt bis
heute nach deren Grundsätzen. Das heißt: behutsam mit der Erde und den
Mitmenschen umgehen.
Anthroposophie hat auch mit Meditation zu tun. Schon Steiner habe Methoden
gegen Stress entwickelt, sagt Matthias Bölts, Mitglied der
Anthroposophischen Gesellschaft Hamburg. „Er hat den Menschen Tipps
gegeben, wie sie ihr Leben entschleunigen können. Man schreibt zum Beispiel
einen Satz – und schreibt ihn danach nochmal ganz langsam auf.“
Steiner sei, seitdem er die Anthroposophie um 1900 begründet habe, auch ein
Mental-Coach gewesen. „Viele Leute kamen zu ihm und fragten ihn um Rat.“
Der Philosoph schrieb Bücher über Bücher, befasste sich mit
landwirtschaftlichen, religiösen und medizinischen Themen.
Doch es gibt auch Rassismus-Vorwürfe. Der Zeit zufolge hat die
niederländische Anthroposophische Gesellschaft 1996 eine unabhängige
Kommission zur Untersuchung seiner Werke in Auftrag gegeben. Sie fand 67
diskriminierende Textstellen auf 89.000 Seiten. „Steiner übernimmt von den
Theosophen zeitweilig die Idee, dass verschiedene Menschen-,Rassen‘ auf
unterschiedlichen Entwicklungsstufen stünden“, schreibt das Blatt. Für das
Gesamtwerk, so die Kommission, seien die Textstellen jedoch unerheblich.
Steiner sehe die Menschen insgesamt als gleich an.
Steiner-Kenner Bölts ist zugleich Dozent der an anthroposophischen
Grundsätzen ausgerichteten „Akademie Mensch-Musik“. Sie bildet Sänger,
Gesangs- und Instrumentalpädagogen aus. Dies ist eine von acht Initiativen,
die im 2000 Quadratmeter großen Rudolf-Steiner-Haus am Hamburger Mittelweg
regelmäßig Räume mieten.
Geschäftsführer Grofer führt jetzt in den Keller des Hauses, das vier
Etagen hat und aus zwei nebeneinander stehenden Gebäuden besteht. Musik
dröhnt aus den Räumen. Menschen singen. Jeder der vier Säle hier ist
ungefähr so groß wie ein halber Tennisplatz. In einem sitzt der in Hamburg
lebende Iraner Bijan Gzelbash mit seiner Gitarre vor einem Notenständer. Er
studiert bei besagter Akademie Mensch-Musik. Er weiß die Möglichkeit zu
schätzen, hier spielen zu dürfen. „In meiner Wohnung kann ich nicht üben,
da würde ich die Nachbarn stören.“
Keiner der vier Kellersäle hat Möbel. „Es soll möglichst vieles möglich
sein“, sagt Steiner-Haus-Chef Grofer. Die Räume haben auch keine rechten
Winkel, sondern sind fünf- bis achteckig konzipiert. Dieser Grundriss lehnt
sich an die Form des Goetheanums an, das sich südlich von Basel im
Schweizer Kanton Solothurn befindet. Das Gebäude beheimatet den Hauptsitz
der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, die weltweit 45.000
Mitglieder hat.
Auch Waldorfschulen weisen diese Architektur auf. Schüler können dort von
der ersten bis zur 13. Klasse lernen. Seit Gründung der ersten
Waldorfschule 1919 gibt es mittlerweile über 1.000 dieser Schulen weltweit,
237 in Deutschland und zehn in Hamburg. Noten werden nicht vergeben. Ob das
funktioniert? „Jeder muss es für sich selbst entscheiden“, sagt Bölts von
der Anthroposophischen Gesellschaft.
Grofer führt in die dritte Etage. Dort haben sieben weitere Initiativen
ihre Büros. Etwa Mehr Demokratie oder abgeordnetenwatch.de. „Wir lassen nur
Organisationen und Veranstaltungen ins Haus, die nicht im Gegensatz zu
unseren Werten wie Menschenwürde und Selbstbestimmung stehen“, sagt er.
Getragen wird das Haus vom 100 Mitglieder zählenden Verein
Rudolf-Steiner-Haus, der auch als Vermieter fungiert. Vergangenes Jahr war
zum Beispiel die SPD da, und der damalige Außenminister Frank Walter
Steinmeier hielt eine Rede. 2010 verwehrte das Haus dem damaligen
Umweltminister Norbert Röttgen einen Auftritt. Die Regierung hatte zuvor
den Ausstieg vom Ausstieg aus der Kernkraft angekündigt.
Die „Alternative für Deutschland“ hat letztens ebenfalls bei Grofer
angefragt – allerdings ohne Erfolg.
17 Feb 2018
## AUTOREN
Philipp Schulte
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