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# taz.de -- taz🐾thema: Bio ist manchmal auch nachhaltig
> „Aus nachhaltiger Landwirtschaft“: Damit werben nicht nur Ökoprodukte.
> Viele Verbraucher setzen darauf, dass das Label „Bio“ ohnehin Aussagen
> über soziale Standards wie die Arbeitsbedingungen der Produzenten macht.
> Dass stimmt nicht immer – aber immer öfter
Bild: Soziale Aspekte von Nachhaltigkeit sind für Kunden ein großes Thema
Von Volker Engels
Schön, wenn es dem Rind auf dem Biohof gut geht, der Anbau der Biotomate
nicht zu viel Wasser verbraucht und die Hühner ausreichend Auslauf haben.
Wer sich allein an ökologischen Kriterien orientiert, kann sich halbwegs
entspannt zurücklehnen. Nachhaltig sind ökologisch produzierte Lebensmittel
oder Waren dadurch aber per se nicht. Denn auch faire Löhne und ordentliche
Arbeitsbedingungen gehören neben weiteren Kriterien zu einer nachhaltigen
Produktion dazu.
Mit dem Zusatz „Aus nachhaltiger Landwirtschaft“ werben nicht nur
Ökoprodukte. Auch zahlreiche Verpackungen von Herstellern konventionell
produzierter Lebensmittel zieren diesen Hinweis. Was kein Wunder ist: „Eine
allgemein gültige Definition für Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft mit
klar definierten Kriterien gibt es nicht“, weiß Axel Wirz,
wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem Arbeitsschwerpunkt Nachhaltigkeit
beim Forschungsinstitut für ökologischen Landbau (FiBl).
Zwar listet unter anderem die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie der
Bundesregierung ökonomische, ökologische und soziale Kriterien auf. Diese
Kriterien sind allerdings in einigen Bereichen so allgemein formuliert,
dass sich eben alles oder nichts darunter fassen lässt.
„Soziale Aspekte von Nachhaltigkeit sind für Hersteller und Handel in
Deutschland aber ein großes Thema.“ Regelmäßig veranstaltet das FiBL
zusammen mit der „Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller“ (AÖL)
für Akteure aus Handel und Produktion Workshops und Tagungen, die sich mit
dem Thema Sozialstandards beschäftigen.
Ein Grund dafür dürfte wohl auch sein, dass mehr als 40 Prozent der Kunden,
die regelmäßig Biolebensmittel kaufen, auf Sozialstandards Wert legen und
faire Löhne für die Produzenten erwarten. Das legt das Ökobarometer 2017
nah, das regelmäßig den Konsum von Ökolebensmitteln bei Verbrauchern
abfragt. „Viele Kunden gehen davon aus, dass biologisch hergestellte
Lebensmittel automatisch auch nachhaltig produziert werden“, weiß auch
Renate Dylla von der AÖL. Der Begriff der Nachhaltigkeit werde häufig
genutzt, ohne dass klar ist, was sich genau dahinter verbirgt“, so die
stellvertretende Geschäftsführerin weiter. Weil aber auch die Kunden ein
Auge darauf hätten, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter, die die
Bioprodukte ernten oder herstellen, das auch zu fairen Bedingungen tun
können, gebe es ein „großes Interesse des Handels, dass die Produkte
sozialen Standards genügen“. Die Nachfrage nach Ökoprodukten wachse, viele
Rohstoffe kämen nicht mehr aus Europa, sondern würden weltweit eingekauft.
Die europäische Öko-Verordnung, die hinter dem bekannten EU-Siegel steckt,
sagt „zum Beispiel nichts zu Sozialstandards aus“, unterstreicht Renate
Dylla. „Wir arbeiten aber daran, die maßgeblichen Sozialstandards zu
identifizieren, die verlässliche Hinweise auch auf faire Arbeitsbedingungen
geben.“
Ein wichtiger Standard sind etwa die sogenannten Kernarbeitsnormen der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Diese legen unter anderem fest,
dass sich Arbeiter und Arbeiterinnen gewerkschaftlich organisieren können
und die Diskriminierung von Beschäftigten verboten ist.
Einen weiteren Hinweis darauf, ob Standards eingehalten werden, kann der
Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index, CPI) der
Antikorruptionsorganisation Transparency International geben. Der Index
misst die in Wirtschaft, Politik und Verwaltung wahrgenommene Korruption.
Generell lässt sich sagen, dass Länder mit einer hohen Punktzahl starke
Institutionen im Bereich offener Regierungsführung, Pressefreiheit,
Bürgerrechte und dem unabhängigen Justizsystem haben. Länder mit niedriger
Punktzahl sind oft durch mangelnde Strafverfolgung für Korruption,
schlechte Regierungsführung und schwache Institutionen gekennzeichnet.
Deutschland rangiert mit 81 Punkten zusammen mit Großbritannien und
Luxemburg auf Platz 10, Rumänien und Ungarn schaffen es zum Beispiel nur
auf Platz 57. Eine schlechte Einstufung auf dem Index bedeutet zwar nicht
zwangsläufig, dass Sozialstandards nicht eingehalten werden oder Bauern für
Hungerlöhne schuften müssen, einen ersten Hinweis auf Missstände kann die
Liste aber geben.
Verbraucher, die sicher sein wollen, dass ein Mindestmaß an Sozialstandards
bei der Produktion von Bioprodukten eingehalten wird, finden inzwischen
zahlreiche Öko-Siegel, die soziale Faktoren ausdrücklich einschließen.
Schon seit 2005 gelten etwa bei Naturland e. V. Sozialrichtlinien, die
detaillierte Vorgaben zu Arbeitsbedingungen und sozialer Absicherung aller
Arbeiterinnen und Arbeiter machen. Unter anderem werden die Gesundheit und
Sicherheit am Arbeitsplatz kontrolliert, aber auch die Zahlung der
gesetzlichen Mindestlöhne oder die Arbeitszeit. In Anlehnung an die
Kernarbeitsnormen der ILO ist ausbeuterische Kinder- oder Zwangsarbeit
verboten, Beschäftigte müssen das Recht haben, sich gewerkschaftlich zu
organisieren. Die Richtlinien gelten für alle Naturland-zertifizierten
Landwirte, Verarbeiter, Im- und Exporteure. „Es ist deutlich aufwendiger,
soziale Standards zu kontrollieren, als Ökostandards zu prüfen“, sagt
Naturlandsprecher Markus Fadl. So würden zum Beispiel in Interviews mit
Beschäftigten die Arbeitsbedingungen vor Ort abgefragt. „Dabei ist es
wichtig, die Kontrolleure dafür zu sensibilisieren, dass es schwierig ist,
wenn im Gespräch mit einem Arbeiter ein Vorgesetzter daneben steht und
zuhört.“
Naturland beauftragt unabhängige Kontrollstellen, die regelmäßig
überprüfen, ob zertifizierte Verarbeiter und Erzeuger die
Naturland-Richtlinien einhalten. Die Kontrolleure werden gerade im Hinblick
auf Sozialstandards regelmäßig geschult. In einigen Regionen hat der
Verband eigene Mitarbeiter vor Ort, die bei Bedarf mit Gewerkschaften
zusammenarbeiten, um sich einen Überblick über die tatsächlichen
Arbeitsbedingungen zu verschaffen. Dabei liegt der Fokus schon lange nicht
mehr allein auf den Entwicklungs- und Schwellenländern: „In Südspanien und
Süditalien gucken wir uns zum Beispiel sehr genau die Situation der
Wanderarbeiter an.“ Denn auch in Europa werden elementare Grundrechte von
Beschäftigten häufig missachtet. Und das dürfte vielen Kunden gar nicht
schmecken. Selbst wenn die Tomate ökologisch korrekt angebaut wurde.
14 Feb 2018
## AUTOREN
Volker Engels
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