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# taz.de -- „Profit ist okay, aber nicht das Wichtigste“
> Sie bilden die besseren Manager aus: Wolfgang Gehra und Peter Dürr vom
> Studiengang Management Sozialer Innovationen der Hochschule München
Bild: Schöner wär‘s, wenn‘s schöner wär‘, im Bankenviertel in Frankfu…
Interview Margarete Moulin
taz: Herr Gehra, Herr Dürr, sind Ihre Studierenden später die moralisch
besseren Manager?
Wolfgang Gehra: Die Chancen stehen gut. Auf jeden Fall haben wir sehr
wache, wissenshungrige Studierende, die „Wirtschaft“ nicht in
Konzernökonomie denken, bei der das Wichtigste der Profit ist. Wir begnügen
uns hier nicht mit einem linearen Denken wie: Input – Output – Produkt
vermarkten – Profit machen – fertig!
Peter Dürr:Wir lehren und hinterfragen die gängigen Ansätze von Wirtschaft.
Die Auswirkungen von wirtschaftlichem Handeln auf Menschen, auf die Umwelt
und die Gesellschaft werden einbezogen. Dabei geht es aber nicht darum,
dass wir unseren Studierenden sagen: „Das ist richtig“ und „Das ist
falsch“, sondern wir wollen, dass sie eigene Erkenntnisse gewinnen.
Wie machen Sie das?
Gehra: Wir beleuchten Themen aus der Sicht verschiedener
Wissenschaftsdisziplinen und stellen Fragen wie: Ist die Aufgabe von
Wirtschaft nur Geschäftemachen oder hat sie in der Gesellschaft nicht auch
eine dienende Funktion? Ist mit dem Steuerzahlen die Schuldigkeit gegenüber
der Gesellschaft wirklich getan? Der Aspekt des Gemeinwohls spielt bei uns
eine große Rolle. Unter Innovation verstehen wir nicht allein technischen
Vorsprung. Im vergangenen Semester haben Studierende in einem Blockseminar
Geschäftsmodelle dafür entwickelt, wie die Möglichkeiten des 3D-Drucks
Menschen zugutekommen könnte, die durch gesundheitliche Probleme am Leben
nicht so teilhaben können wie andere.
Was ist herausgekommen?
Zum Beispiel das individuelle Ausdrucken von Embryos für blinde Schwangere,
die ja kein Ultraschallbild von ihrem Kind sehen können. Es wurden
maßgeschneiderte Rollstuhlrampen für Ladentreppen entwickelt. Eine weitere
Idee war, dass schlecht ausgerüstete Kliniken in Osteuropa sich
Chirurgenbesteck selbst ausdrucken können.
Woher kommt die Idee, in einem Studiengang Ökonomie, Kultur- und
Kommunikationswissenschaft, Philosophie sowie Soziologie miteinander zu
verbinden?
Dürr: Wir sind ein Kind des Bologna-Prozesses, währenddessen viele neue
Studiengänge entwickelt wurden. Damals wuchs die Erkenntnis, dass auf
unsere Gesellschaft enorme Probleme zukommen, die nicht durch
technologische oder wirtschaftsgetriebene Innovationen allein bewältigt
werden können. Und die auch nicht nur eine Fachrichtung schultern kann,
weil sie viele Bereiche der Gesellschaft betreffen.
Zum Beispiel?
Dürr: Wie Ursachen und Folgen von Migration oder Klimawandel, oder auch die
Tatsache, dass die bisherigen sozialen Sicherungssysteme aufgrund des
demografischen Wandels nicht mehr funktionieren. Dafür brauchen wir Leute,
die vernetzt denken, die in der Lage sind, die Herausforderungen aus
soziologischer, politischer, ethischer und ökologischer Sicht zu
beleuchten, aber auch aus wirtschaftlicher. Eben MSIler.
Wer bewirbt sich um einen Studienplatz bei Ihnen?
Dürr: Das ist eine heterogene Mischung. Wir haben junge Studierende, frisch
vom Abi, und solche, die bereits eine Ausbildung in der Tasche haben, als
Schreinermeister, als Bankangestellte oder Erzieher gearbeitet haben.
Gemeinsamer Nenner ist, dass diese Leute Wirtschaft mit Sozialem verbinden
wollen. Aber sie kommen geistig aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Wir
haben welche, die sind bei Attac oder bei Amnesty International aktiv,
andere sind in der FDP.
Kracht ’s da auch manchmal?
Gehra: Bei uns wird definitiv mehr gestritten als zum Beispiel bei den
BWLern. Da verlaufen die Diskussionen vergleichsweise langweilig. Das kenne
ich aus meiner eigenen Studienzeit.
Warum?
Gehra: Die klassischen BWLer neigen dazu, gängige Markttheorien zu
übernehmen und sich gegenseitig in ihren Argumenten zu bestätigen. Da hat
die Ideologie vom „neutralen Geld“ oder „dem freien Markt“ schon religi…
Züge an sich. Das Marktkonzept, bei dem alles von Angebot und Nachfrage
geregelt wird, wird zum lieben Gott, und es wird dann so getan, als sei
das, was „der Markt“ entscheidet, automatisch richtig und damit ethisch
vertretbar.
Und was bringen Sie Ihren Studierenden bei?
Gehra: Wir sagen: Profit machen ist okay. Aber wir nehmen die Ökonomie in
eine ethische Verantwortung. Wir zeigen auf, dass die Idee vom Markt ihre
Grenzen hat und es auch so etwas wie Marktversagen gibt, wie bei der
Verwaltung von öffentlichem Raum oder der öffentlichen Daseinsfürsorge.
Denken Sie nur an das Thema Trinkwasser. Die herkömmliche Marktidee
verschleiert auch, dass Geschäfte häufig auf asymmetrischem Wissen beruhen,
wo also der Käufer gar nicht weiß, was genau er kauft. Für uns ist
Marktversagen aber kein einfach hinnehmbarer Makel, sondern ein zentrales
Problem, das zu großen Verwerfungen in der Gesellschaft führt. Wir erklären
also unseren Studierenden sowohl die Mechanismen des Marktgeschehens mit
dem zugrunde liegenden Paradigma des Privateigentums als auch Beispiele des
Commonings, also dem kooperativen Nutzen von Gemeingütern.
Wie lassen Sie das Denken außerhalb bekannter Sichtweisen üben?
Dürr: Die Studierenden befassen sich beispielsweise mit dem „wahren Preis“
einer Sache, also dem, was meist nicht eingepreist ist. Wir lassen sie
überlegen: Wie wäre es, wenn man – so wie bei Zigaretten – auch auf andere
Waren Informationen über Produktionsfolgen kleben würde? Welche Aufkleber
müssten auf jedem Auto sein? Zahlen zum Flächenverbrauch durch Straßen und
Parkplätze, zu Feinstaub und CO2-Ausstoß, zu Lärmbelastung, Fotos von
Staus, von Verkehrstoten und den Umweltschäden durch die Produktion. Und
was fällt plötzlich auf? Dass viele dieser Folgen von der Allgemeinheit
bezahlt werden. Das Ganze kann man auch mit einer Schweinshaxe
durchspielen.
Mit solch ketzerischen Gedanken kommt man doch in keinem herkömmlichen
Unternehmen unter!
Gehra: Im Gegenteil, unsere Absolventen kommen beruflich sehr gut unter,
weil das vernetzte Denken sehr geschätzt wird. Wir belassen es ja nicht
dabei, mit dem Finger auf einzelne Branchen oder die Politik zu zeigen,
sondern darum, dass die Studierenden Probleme umfassender verstehen, um
dann Lösungsansätze zu finden.
Helfen Sie den jungen Leuten, Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern zu
kriegen?
Wir stehen in engem Austausch mit Unternehmen,
Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, Verbänden, aber auch mit der
Stadt München. In manchen Lehrveranstaltungen arbeiten wir an realen
Aufgabenstellungen zusammen mit den Auftraggebern aus der Praxis, zum
Beispiel den städtischen Wasserwerken. Viele finden dadurch ihren ersten
Job, andere machen sich selbstständig mit eigenen Projekten, wir fördern ja
während des Studiums auch stark das Social Entrepreneurship.
Wie sieht das praktisch aus?
Gehra: Teil des Studiums ist ein konkretes unternehmerisches Projekt. Ein
gelungenes Beispiel sind die „Nearbees“, ein bundesweites Vertriebsnetz,
mitgegründet von einem ehemaligen MSIler. Über eine Webseite kann man sich
Honig vom Imker „ums Eck“ kaufen. Damit unterstützt der Käufer die hiesig…
Kleinimker, deren Bienenvölker wir ja nicht nur für den Honig, sondern,
angesichts des Bienensterbens, dringend für die Bestäubung brauchen. Der
Honig hat nur einen kurzen Transportweg und kommt in einer CO2-neutralen
Verpackung. Hier hat eine profitable Geschäftsidee positive Auswirkungen
auf lokale Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt.
Haben Sie noch ein Beispiel?
Dürr: Ein MSI-Student hat in Kenia eine Bäckerei gegründet, an die ein
Kinderzentrum angeschlossen ist. Mit dem Verkauf der Backwaren wird die
Schulbildung der Kinder finanziert.
Und solche Projekte tragen sich?
Gehra: Zum einen lernen unsere Studierenden im Laufe des Studiums die
verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten für business und social Start-ups
kennen, und zum anderen sind wir mit vielen Fördereinrichtungen und
Stiftungen vernetzt, sodass potenzielle Gründer auf Kontakte zurückgreifen
können.
Lassen sich derlei Ideen auch auf den globalen Markt übertragen?
Dürr: Es muss ja nicht immer eine Unternehmensgründung sein. Man kann auch
in bestehenden Strukturen viel verändern. Nehmen Sie zum Beispiel die
Organisation Future 500 in San Francisco, die versucht NGOs, also
Nichtregierungsorganisationen, mit Entscheidern in Konzernen
zusammenzubringen, um sozial-ökologische Anliegen unter Nutzung des
gewaltigen Hebels großer Wirtschaftsorganisationen voranzubringen.
Auf was blicken Sie in den zehn Jahren MSI zurück?
Gehra: Auf unglaublich aktive Studierende, die mit verantwortlich sind für
den guten Ruf von MSI und mittlerweile gut vernetzt „ihr“ Ding machen.
Dürr: Ja, das hier ist so richtig was für Weltverbesserer.
19 Feb 2018
## AUTOREN
margarete moulin
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