# taz.de -- KampfumPolensUrwald | |
> In Europas letztem Urwald lässt die rechtskonservative polnische | |
> Regierung Bäume fällen. Der Grund: ein Borkenkäferbefall. Aktivisten | |
> halten das für einen Vorwand | |
Von Valerie Höhne | |
Im Urwald sterben die Fichten. Buchdrucker, eine Borkenkäferart, bohren | |
sich durch die Rinde, graben Gänge und legen Eier. Die Larven schlüpfen und | |
essen das Phloem, ein Zuckergemisch, das den Baum versorgt. Die Wurzeln | |
verhungern. | |
Europas letzter Urwald liegt in Polen und Weißrussland. 150.000 Hektar | |
groß, 40 Prozent auf der polnischen Seite. Im Białowieża-Wald leben Wölfe, | |
Luchse und Wisente, eine Bisonart. Es gibt unzählige Käferarten und 500 | |
Jahre alte Eichen. Die Polen nennen ihren Urwald „Puszcza“. | |
Am Rand der Puszcza liegt Teremiski. Ein paar Häuser und eine | |
Bushaltestelle, genug, um die Bezeichnung Dorf zu verdienen. Vor einem | |
großen Holzhaus steckt ein Schild, darauf steht: „Rettet Białowieża“. | |
Rahela Grundhand sitzt auf einem Sofa im Wohnzimmer des Holzhauses, auf ihr | |
hat sich eine Katze zusammengerollt, die einfach nur Katze heißt. Auf den | |
Herdplatten brodelt ein Sud von Äpfeln und Pflaumen. Seit sieben Jahren ist | |
die 26-jährige Grundhand in der Umweltbewegung aktiv. Zwei Jahre lebte sie | |
in China. „Als ich erfahren habe, wie schlimm die Situation ist, habe ich | |
meine Sachen gepackt und bin hierhergekommen“, erzählt sie. | |
Im März 2016 verdreifachte der damalige polnische Umweltminister Jan Szyzko | |
von der regierenden PiS-Partei das Fäll-Kontingent im Białowieża-Wald. Nur | |
so könne man die Borkenkäfer bekämpfen, die den Wald bedrohen. | |
Der Wald ist Unesco-Weltkulturerbe und durch europäisches Recht geschützt. | |
Die EU-Kommission zeigte Polen im letzten Sommer beim Europäischen | |
Gerichtshof wegen der Rodungen an. Im November forderte der Gerichtshof | |
Polen auf, die Forstarbeiten „unverzüglich einzustellen, außer im Fall | |
einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit“. Noch immer fällt der | |
Staatsforst in Białowieża Fichten. Die Argumentation: Tote Fichten, die | |
nach einigen Jahren umknicken, könnten gefährlich sein. Ende Februar wird | |
sich ein Gutachter vor dem Europäischen Gerichtshof zum Fall äußern. Das | |
Urteil dürfte in einigen Monaten fallen. | |
200 Kilometer westlich von Teremiski, im Hauptquartier des Staatsforsts in | |
Warschau, soll alles an Wald erinnern: Die Wand ist mit Kunstrasen | |
überzogen, auf einem großen Bildschirm werden Bilder von Bäumen gezeigt, | |
durch die die Sonne hindurchblinzelt. Krzysztof Trębski, Pressesprecher des | |
Staatsforsts, hat zum Gespräch in sein Büro geladen. Er sieht müde aus. | |
Sie täten nichts, das gegen europäische Regeln verstieße. Der | |
Borkenkäfer-Ausbruch sei nur deshalb so verheerend gewesen, weil die | |
Förster die befallenen Bäume nicht, wie sonst üblich, zu Beginn des | |
Ausbruchs fällen durften. Trębski deutet auf eine Statistik, die die Anzahl | |
der Fällungen und die vom Borkenkäfer befallenen Bäume korreliert. | |
Eigentlich, sagt Trębski, solle der Streit um Białowieża wissenschaftlich | |
geführt werden. Ohne ihre Arbeit könnten einige der Eichenwälder zum | |
Beispiel nicht überleben. Die bräuchten das Licht. | |
Der Borkenkäfer sei keine Gefahr für den Urwald, sagt dagegen die | |
Aktivistin Rahela Grundhand. Er lebe schon immer im Wald, und in einem | |
Urwald gebe es viel totes Holz, daran sei nichts verkehrt. | |
Grundhand und die anderen Aktivisten bezweifeln, dass der Borkenkäfer oder | |
die öffentliche Sicherheit die wahren Gründe für die Rodungen sind. „Wenn | |
der Staatsforst hier Bäume fällen und beweisen kann, dass der Wald die | |
Förster braucht, dann können sie das überall machen“, sagt sie. Es gehe | |
aber nicht um Geld. Das bestätigt auch der Staatsforst. Die Wälder in | |
Białowieża kosten ihn nach eigenen Angaben jedes Jahr etwa 22 Millionen | |
Złoty, das entspricht etwa 5,3 Millionen Euro. | |
Auch vor der Entscheidung des Umweltministers gab es Holzeinschlag im | |
Białowieża-Urwald. Umweltschützer fordern schon lange, den ganzen Wald zum | |
Nationalpark zu erklären, momentan ist knapp die Hälfte seiner polnischen | |
Fläche vor Rodung geschützt. Eine Befürchtung der Aktivisten ist, dass es | |
die Regierung leichter hat, auch in anderen Umweltschutzgebieten Holz zu | |
schlagen, wenn sie es in großem Stil im Białowieża-Urwald tut. | |
In Teremiski frühstücken die Aktivisten morgens um 7 Uhr. Auf dem großen | |
Tisch im Gemeinschaftsraum stehen ein riesiger Topf Haferschleim, | |
Erdnussbutter, Marmelade, Erdnüsse und Rosinen. Die Gruppe bespricht den | |
Tag: Die, die nachts im Wald waren, berichten denen, die morgens hinein | |
gehen. | |
Ihre Aufgabe ist es, zu dokumentieren, was geschieht. Sie patrouillieren im | |
Wald, schreiben Berichte, erstellen Karten des Holzeinschlags und | |
organisieren öffentliche Protestaktionen. | |
Katharina ist 26 Jahre alt und kommt aus Warschau, sie ist für zwei Wochen | |
im Camp und verbringt hier ihren Urlaub. Sie arbeitet für eine große Firma, | |
trägt lange, glatte Haare und eine lila Outdoor-Jacke. Im Sommer war sie | |
schon einmal im Camp, damals hat sie ihren Freund Michał, 30, | |
kennengelernt. „Dafür müsste ich dem Umweltminister eigentlich danken“, | |
sagt sie. An diesem Tag gehen sie gemeinsam mit der 21-jährigen Hania und | |
ihrer jungen Mischlingshündin auf Patrouille in der Nähe von Hajnówka. Alle | |
drei Aktivisten möchten ihre Nachnamen nicht nennen – um für ihre | |
Arbeitgeber nicht erkennbar zu sein. | |
Hajnówka ist so etwas wie das Eingangstor zum Urwald. Die etwas mehr als | |
21.000 Einwohner leben vom Handel mit dem wenigen Holz. Hier hat sich eine | |
graue Ödnis ausgebreitet, aufgehübscht von Neonreklamen. Auf einem Banner, | |
das über einer der Hauptstraßen hängt, steht: „Pseudoökologen haben den | |
Urwald zerstört, wir bauen ihn wieder auf“. | |
Hania, Michał und Katharina stapfen querfeldein durch den Wald, | |
konzentriert und schnell. So sinkt die Chance, von Waldarbeitern gesehen zu | |
werden. | |
An einem Pfad halten sie an. Das sei kein Weg, erklärt Katharina, das seien | |
die Spurrillen einer großen Waldmaschine, einem Harvester. Der Harvester | |
fällt Bäume, was ihm im Weg steht, wird abgeschlagen. Der Staatsforst sagt, | |
die Harvester würden eingesetzt, weil das für die Waldarbeiter sicherer | |
sei. | |
Michał schleicht vor, er will Bilder machen. Vor Katharina und Hania tut | |
sich eine Lichtung auf. Hunderte Baumstümpfe ragen aus dem Boden, tausende | |
Äste liegen auf der Lichtung und machen den Boden dunkel. „Wie ein | |
Friedhof“, sagt Katharina. | |
Am Wegesrand türmen sich Baumstämme, wie Streichhölzer sehen sie aus, so | |
viele sind es. Katharina und Michał tragen die neue Fundstelle auf einem | |
Tablet ein, so erstellen die Aktivisten Karten der Rodungen. Irgendwann | |
bleibt Michał stehen und legt den Zeigefinger an den Mund. Er deutet auf | |
drei Wisente, die etwa 200 Meter weiter friedlich grasen. Sie haben große | |
Köpfe und dicke Körper. Es sind mächtige Erscheinungen, sie wirken wie aus | |
einer anderen Welt: zwischen den Bäumen, die hier immer wieder im Wasser | |
versinken. Eine verwunschene Sumpflandschaft. | |
Als sie davon galoppieren, hört man nicht ihre Hufe, sondern die Geräusche | |
des roten Harvesters, der einige hundert Meter weiter Bäume fällt. Die | |
Maschine ist so laut, dass die Waldarbeiter die Aktivisten nicht hören. | |
20 Kilometer östlich von Hajnówka liegt das Dorf Białowieża. Anders als | |
Hajnówka lebt das Dorf vom Tourismus. Der Eingang zum Nationalpark erinnert | |
an das Tor von Jurassic Park. In Białowieża gibt es ein Museum über den | |
Wald. Früher hatte der russische Zar hier sein Jagdschloss. Heute bieten | |
Einfamilienhäuser Zimmer zur Übernachtung an, im Dorf gibt es Restaurants, | |
einen Fahrradverleih und eine Touristen-Informationsstelle. | |
Im Bike-Café steht Sławomir Droń und verkauft lokales Bier, hausgemachte | |
Sahnetorten und T-Shirts, auf denen „Rettet Białowieża“ steht. Die Rodung… | |
spalten die lokale Bevölkerung. Eine strenge Schutzzone macht vielen Angst. | |
Sie wollen weiter Holz fällen und Pilze sammeln können. Fast jeder kennt | |
jemanden, der für den Staatsforst arbeitet. | |
Droń ist der Anführer der lokalen Protestbewegung, er organisiert | |
Veranstaltungen mit Wissenschaftlern und beobachtet mit Besuchern Vögel im | |
Wald. Er will sie davon überzeugen, dass die Rodungen schlecht für den | |
Tourismus und damit auch für sie sind. Droń hat Lachfalten um die Augen, | |
braunes Haar, eine stattliche Erscheinung. Aber er sieht sorgenvoll aus. | |
„Es sind schwere Zeiten für den Wald“, sagt er. | |
Mitte Januar schöpfen die Umweltaktivisten von Teremiski neue Hoffnung: | |
Umweltminister Jan Szyzko tritt zurück. Der neue Minister Henryk Kowalczyk | |
trifft sich mit den Aktivisten. Das hat Szyzko nie gemacht. Kowalczyk | |
verspricht, keine Harvester mehr einzusetzen und die Massenrodungen, | |
entsprechend der Aufforderung des Europäischen Gerichtshofes, zu stoppen. | |
Doch auch er will den Wald nicht in Gänze zum Nationalpark erklären. In | |
einer E-Mail schreiben die Aktivisten: „Das war die große Hoffnung all | |
derer, die für die Sicherheit des Waldes kämpfen“. | |
10 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Valerie Höhne | |
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