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# taz.de -- Leben ermöglichen auf der eigenen Fensterbank
> Auf dem Land gibt es sie immer weniger, in den Städten finden sie
> inzwischen ihre Nischen: Insekten. Drei Leipziger zeigen, wie sich im
> Kleinen etwas für die Tiere tun lässt, und bringen Bienen zum Summen
Bild: Ab in die Nische: Feuerwarzen an einer Baumrinde
Von Marie Ludwig und David Knapp
Im Clara-Zetkin-Park weht ein eisiger Wind. Gerade nachts sinken die
Temperaturen unter null Grad. Die meisten Insekten haben sich deshalb
längst in ihre Winterquartiere zurückgezogen: Haben sich eingegraben, sind
fortgeflogen oder drängen sich wie beispielsweise ein paar Feuerwanzen
dicht zusammen. In einer Nische der Baumrinde sind sie geschützt. Markus
Held sieht die feuerroten Insekten schon aus der Ferne. Er ist
Insektenwanderer – einer, der mit neugierigen Laien durch die Natur
spaziert und ihnen die Welt der Insekten näherbringt.
## Das große Sterben
Denn die haben in Deutschland ein Problem. Im vergangenen Herbst hat der
Entomologische Verein Krefeld mit einer vielbeachteten Studie auf das
Insektensterben aufmerksam gemacht. Ihr zufolge ist die Anzahl flugaktiver
Insekten in Deutschland in den letzten 27 Jahren um rund 77 Prozent
zurückgegangen.
Nun liegt das nordrhein-westfälische Krefeld zwar fast 500 Kilometer von
Leipzig entfernt, doch Joachim Händel, der Vorsitzende des Entomologischen
Vereins Halle, hat einen Rückgang auch in Mitteldeutschland bemerkt. Das
größte Problem sieht er in den landwirtschaftlich genutzten Flächen.
„Monokulturen bieten vielen Insekten keine geeigneten Lebensräume mehr: Es
fehlen blütenreiche Feldränder, Feldgehölze und Hecken“, sagt Händel. Hin…
kommen zu dunkle, kühle Nutzwälder und der großflächige Einsatz von
Pflanzenschutzmitteln.
Dass es immer weniger Insekten gibt, ist durchaus bedenklich, denn sie
erfüllen eine existenzielle Funktion in verschiedenen Ökosystemen: Ohne
Insekten gäbe es weniger Fische, Vögel und Amphibien. Gleichzeitig sind sie
für den Menschen eine wichtige Unterstützung in der Landwirtschaft. Etwa 80
Prozent der Kulturpflanzen werden von Insekten bestäubt. Ohne Insekten
müssten etwa die Produzenten von Äpfeln, Erdbeeren oder Raps massive
Ernteausfälle befürchten.
## Politisches Umdenken
„Der Mensch steht am Ende der Nahrungskette. Es sollte uns unruhig machen,
wenn der Anfang der Nahrungskette gerade zusammenbricht“, sagt Wolfram
Günther, Fraktionssprecher für Umwelt und Naturschutz der Grünen im
sächsischen Landtag. Der gebürtige Leipziger fordert dringend ein Umdenken
in der Landwirtschaft: „Der Fokus liegt auf viel und billig.“ In Anbetracht
der Situation fordern die Grünen ein Sonderprogramm für den Artenschutz in
Sachsen. Vorbild könnte das grün-regierte Land Baden-Württemberg sein, wo
das Kabinett bereits einen Beschluss über Investitionen in Höhe von 30
Millionen Euro für den Artenschutz gefasst hat. Das Geld des
Sonderprogramms würde vor allem Landwirten, Waldbesitzern und Schäfern
zufließen, damit diese Feld- und Straßenränder mit Wiesenblumen besäen,
Moore schützen und den Einsatz von Pestiziden reduzieren.
## Gelebter Insektenschutz
Eine, die so ein ökologisches Leben führt, ist Sabrina Rötsch. Sie ist in
gleich drei Leipziger Umweltorganisationen ehrenamtlich aktiv. Überall
setzt sie sich für Insekten ein. Nicht jeder kann von sich behaupten, zu
Hause eine eigene Mehlwurmzucht zu betreiben, um damit Wildvögel zu
ernähren. Oder im Stadtteil Connewitz Lehmwände angelegt zu haben, damit
dort Waldbienen nisten können. Rötsch weiß das. Dennoch wird sie furchtbar
ärgerlich, wenn Menschen aus Bequemlichkeit den Kammerjäger rufen – ohne es
vorher mit einer Umsiedlung der Insekten versucht zu haben.
Auch mit der Stadtreinigung legt sich Rötsch bisweilen an: „Die machen
einfach zu viel.“ Deshalb geht sie schon mal auf die Arbeiter zu und klärt
über die Insekten auf: wie wichtig sie sind, dass sie Obstbäume bestäuben,
was Laubbläser den Tieren antun, und dass man – mal ehrlich – doch ein
bisschen Unordnung durch herumliegendes Holz oder Blätter ertragen könne.
## Kleine Gärten – großeWirkung
Auch Jeroen Everaars versucht seinen Kleingarten ökologisch nachhaltig zu
betreiben. „Insektizide? Würde ich nie benutzen“, sagt er. Seit über zwei
Jahren gärtnert der 38-Jährige mit seiner Familie auf einer der 80
Parzellen im Kleingartenverein Volkshain Stünz. Zusammen mit zehn weiteren
Mitgliedern tauscht er sich regelmäßig aus, wie sich die Parzelle tier- und
umweltfreundlich gestalten lässt. Mit ein paar morschen Baumstämmen, einem
Komposthaufen und bestimmten Steinformationen lässt sich bereits viel
erreichen.
Doch Everaars läuft nicht wie ein missionierender Umwelt-Verbesserer durch
die Gartenanlage. „Ich will wirklich nicht besserwisserisch sein.“ Wenn
aber andere an seinem Zaun stehen und fragen: Warum wächst bei dir
eigentlich alles so gut, oder warum hast du da so viel „Unkraut“ stehen?
Dann beginnt er zu erzählen. Everaars weiß viel über die Natur. Er ist
Ökologe und untersucht am Deutschen Zentrum für integrative
Biodiversitätsforschung Netzwerke von Insekten beim Bestäuben. Auch in sein
selbstgebautes Insektenhotel hat er viel Arbeit gesteckt; hat
Schilfröhrchen rundgefeilt, Lehmklötze geformt und Stümpfe aus Holz
zurechtgesägt. Für Waldbienen und andere Gäste.
## Idylle auf dem Balkon
Zurück bei der Insektenwanderung sind die meisten Teilnehmer erstaunt, wie
viele verschiedene Insektenarten es gibt: von blauflügeligen
Ödlandschrecken, kleinen Pechlibellen bis zu Zitronenfaltern. „Für die
meisten Menschen sind Insekten eher abstrakte Wesen“, sagt Insektenwanderer
Held. Für eine niedliche Robbe sei es eben einfacher, Empathie zu
entwickeln als für ein Insekt.
Und trotzdem: Das Interesse für die Insekten ist da. Erst auf seiner
letzten Wanderung auf dem alten Bahnhofsgelände in Plagwitz waren fast 50
Interessierte mit dabei und ließen sich von ihm in die Insektenwelt
einführen. Angeeignet hat sich der 34-Jährige das Wissen über die
Sechsbeiner selbst. Eigentlich hat Held Bildende Kunst studiert. Biseilen
verbindet er beide Interessen. Er fertigte unter anderem eine
Kunstinstallation aus Heuschreckenzirpen an. Inzwischen arbeitet er für ein
Umweltschutzunternehmen und erstellt dort Gutachten für den Artenschutz.
In der Stadt sind die Lebensbedingungen oft gar nicht so schlecht, sagt
Held. Das Umdenken findet im Kleinen bereits statt. Im vergangenen Herbst
pflanzten Vereinsmitglieder des Ökolöwen und freiwillige Helfer rund 500
Blumenzwiebeln auf dem Hildebrandplatz. Die Stadt Leipzig versicherte dem
Verein, die Wiese bis zum Sommer nicht zu mähen, damit die Pflanzen in Ruhe
wachsen können. Krokusse, Traubenhyazinthen und Blausterne sollen bis dahin
den Schmetterlingen und Bienen als Nahrungsquelle dienen.
Für die Insekten kann eigentlich jeder etwas tun: Ein Blumenkasten auf die
Fensterbank stellen, in dem immer etwas blüht. Und wer mag, stellt noch ein
kleines Insektenhotel dazu. Schon finden ein paar mehr Insekten Nahrung und
Unterschlupf. Und – mal ehrlich – summende Bienen vor dem Fenster? Kaum
etwas anderes ist im Sommer so idyllisch.
9 Feb 2018
## AUTOREN
Marie Ludwig
David Knapp
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