# taz.de -- zwischen den rillen: Rapträume an der Supermarktkasse | |
Bild: Brockhampton: „Saturation III“ (Question Everything Inc./Empire“ | |
Dass sich eine HipHop-Crew gleich mit einer Trilogie vorstellt, ist selbst | |
im Dauersuperlativ des Rapbizness ungewöhnlich. Das US-Kollektiv | |
Brockhampton hat allein drei Alben in den letzten sieben Monaten | |
veröffentlicht – und trotzdem, die sage und schreibe 48 Songs und 13 | |
Videos, die „Saturation I–III“ umfassen, reichen gerade aus, um die | |
überbordende Geschäftsidee Brockhampton zu skizzieren. Die US-Künstler | |
wollen nämlich auch als Update der Boyband verstanden werden. Ein | |
15-Personen-Kollektiv, das HipHop mit dem Rundum-Service einer | |
Kreativagentur aufpimpt, wo gibt’s den sowas? Musik, Videos, Marketing: Bei | |
Brockhampton entsteht all das wortwörtlich unter einem Dach. | |
Alles begann im Südosten von Texas, wo der Kern von Brockhampton vor | |
einigen Jahren sich auf der High-School, in der vor allem weiße Teenager | |
die Schulbank drückten, kennenlernte. Dort stieß der Außenseiter Kevin | |
Abstract auf eine Handvoll Gleichgesinnte, für die Rappen zum Ventil für | |
ihre Zweifel und Ängste wurde. Ihre Identitätssuche führte die Jugendlichen | |
irgendwann auch zu einem Internet-Forum, das dem Mainstream-Rapper Kanye | |
West gewidmet war. Viele Chats später sammelten sich etwa zehn weitere | |
Kreativköpfe aus verschiedensten US-Staaten, und alle zusammen entschlossen | |
sich, zur Selbstverwirklichung in ein gemeinsames Haus zu ziehen. | |
2016 resultierte aus diesem Projekt dann ein Mixtape – und allerorts | |
beschwor man die Reinkarnation von Odd Future herbei, der Kalifornier um | |
Tyler, the Creator und Frank Ocean. Diese Referenz kommt nicht von | |
ungefähr: Odd Future ließen in ihren Anfängen die Punk-Attitude der Beastie | |
Boys aufleben und schufen mit ihrer DiY-Einstellung einen frischen Ansatz | |
von HipHop, mit dem sich etwa auch Digital Natives identifizieren konnten. | |
Auch in Sachen Größenwahn macht Brockhampton-Mastermind Kevin Abstract dem | |
hyperaktiven Odd-Future-Übertalent Tyler, the Creator alle Ehre: Der | |
21-Jährige definiert das Kollektiv als HipHop-Powerhouse und versucht mit | |
Brockhampton nichts weniger als die Neuauflage von Def Jam Records. Wie | |
dessen Mogul Russell Simmons, gibt sich Brockhampton quasi unter den | |
Vorzeichen der Generation DiY, nicht mehr damit zufrieden, Tantiemen für | |
den Ruhm an ein Management abzudrücken. Besser, sie machen die | |
Geschäftsidee gleich zum eigenen Ding. Inzwischen residieren Kevin Abstract | |
und Kollegen im Süden von Los Angeles, wo sie gewissermaßen den ersten | |
Rap-Inkubator betreiben. | |
Wenn sich Brockhampton als Boyband labeln, ist das nebenbei ein Angriff auf | |
die vielbeschworene Realness des Rap. Noch dazu, weil gleich mehrere der | |
Bandmitglieder nicht der heterosexuellen HipHop-Norm entsprechen. Wo | |
Selbstinszenierung zum ernüchternd unromantischen Marketingtool wird, | |
gelten Authentizität und Künstelei nicht länger als Gegensätze. | |
Brockhampton agieren strictly independent vom HipHop-Biz und verstehen | |
ihren Sound als identitätsstiftend. Ihr jüngstes Album „Saturation III“ | |
strotzt auf Textebene nur so vor Frust: Der Bruch mit den Eltern, die | |
fehlende Anerkennung von Homosexualität, der rassistische Blick der | |
„Anderen“ und überhaupt all jene Träume von US-Twentysomethings, die bei | |
ihren Aushilfsjobs hinter der Kasse von Discountern sich in Luft aufzulösen | |
schienen. | |
Dass Brockhampton zwischen Reimen über Kokain-Deal-finanzierte Audi Coupés | |
und dem eigenen Haus mit Vorgarten auch ihre Paranoia platzieren, ist nicht | |
zuletzt das Verdienst des großen Idols der Band, Kanye West. Mit seinem | |
Louis-Vuitton-Rucksack-Gepose brach der Rapper aus Chicago in den | |
Nullerjahren ebenfalls mit der Norm: Der Sohn einer Anglistik-Professorin, | |
der Martin Luther King schon im zarten Alter von zwölf Jahren Gedichte | |
widmete, brach das College ab, um bei Jay-Z einen Plattenvertrag zu | |
unterschreiben. Wie kein Zweiter prägte West in den Folgejahren das | |
Rap-Game mit zwiespältigen Texten voller Selbstzweifel und Egozentrik. Seit | |
Kanye Wests Frühwerk kam kaum ein Rap-Album so nah an diese Dialektik, wie | |
das jüngste Brockhampton-Album „Saturation III“. | |
Wenzel Burmeier | |
19 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Wenzel Burmeier | |
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