# taz.de -- Patriarch in Wartestellung | |
> Der derzeitige Vereinspräsident Martin Kind möchte die Stimmenmehrheit | |
> bei den Fußball-Profis von Hannover 96 übernehmen. Bei der Deutschen | |
> Fußball-Liga hat er darum einen Ausnahmeantrag gestellt | |
Bild: Name: Shahid Khan, hier bei einem Spiel des Fulham FC gegen Arsenal FC Lo… | |
Von David Joram | |
Für eingefleischte Fans des Fußballvereins Hannover 96 mag es hart klingen, | |
aber die Zukunft des Hannoveraner Fußballs entscheidet sich in diesen Tagen | |
zwischen Hildesheim und Großburgwedel. Hier wie dort ist es eher | |
beschaulich, dann aber enden die Gemeinsamkeiten. | |
Zehn Minuten Fußmarsch sind es vom Hildesheimer Hauptbahnhof bis zur | |
Osterstraße, vorbei an wenig einladend wirkenden Dönerbuden, Casinos und | |
Ramschläden. In einem unscheinbaren Hinterhof liegt die Kanzlei von Ralf | |
Nestler, Fachanwalt für Steuerrecht – aber vor allem eine der Hauptfiguren | |
im Hannoveraner Machtpoker um die Zukunft des Profifußballs. | |
Nestler ist ein Mann mit markant-eckigen Gesichtszügen und einer klaren | |
Sprache. Einer, der wenig Wert auf Schnörkel legt. Das Besprechungszimmer | |
entspricht Nestlers Natur, ein paar Stühle, ein Tisch – viel mehr ist | |
nicht. Während der Anwalt noch ein Telefongespräch in seinem persönlichen | |
Büro zu Ende führt, bleibt der Blick am Wasserglas hängen. Nestlers | |
Mitarbeiterin hat es auf den Tisch gestellt. | |
Es ist ein grauer Tag im Oktober 2017. Unter der Oberfläche tobt längst ein | |
intensiver Kampf um die Macht bei Hannover 96. Nach allem, was geschrieben | |
wird, liegt Nestler zurück. | |
Wenige Minuten verstreichen. Dann nimmt mit Nestler die Person Platz, die | |
viele für eine der wichtigsten Figuren bei Hannover 96 halten: Der Mann ist | |
hauptberuflich Anwalt, nebenberuflich aber sitzt er im Aufsichtsrat seines | |
Lieblingsvereins; dadurch zählt er zum gewählten Kontrollorgan, und | |
innerhalb dieses Kontrollorgans zum Widerstand – besonders gegen | |
Fußball-Investoren. | |
Wer sich mit Ralf Nestler einlässt, stellt schnell fest, dass der Anwalt | |
ein harter Kontrolleur ist. Dass er auch eine gewisse Liebe fürs Detail | |
pflegt, die in seinem Hauptjob wahrscheinlich ratsam ist. Nestler, 52 Jahre | |
alt, kann die Fußballgeschichte von Hannover 96 bis in die letzte Ecke | |
ausleuchten. Der Unterschied zu anderen 96-Fans und Mitgliedern, die | |
dasselbe von sich behaupten, besteht darin, dass Nestler auch die Dinge | |
neben dem Rasen genau im Blick behält. | |
Er nimmt sich Zeit dafür, diese Dinge zu erklären, die seiner Meinung nach | |
Hannover 96 schaden: Es geht um Vereinsrechte, Rechte der Mitglieder, des | |
Aufsichtsrats, das Hannoveraner Stadion, um Markenrechte, um | |
Förderzeiträume, um Finanzen geht es sowieso. Und letztlich geht es um die | |
eine, die entscheidende Frage: Darf ein Investor in Deutschland einen | |
Fußballklub übernehmen? Für Ralf Nestler ist diese Frage schnell | |
beantwortet. „50+1 muss erhalten bleiben“, sagt er. 50+1 ist die Regel, die | |
besagt, dass ein Fußballverein die Stimmenmehrheit behält, auch wenn er die | |
Profi-Abteilung zu einem eigenen Unternehmen macht und Investoren ins Boot | |
holt. Und nein, sagt Nestler, für Hannover 96 dürfe es keine Ausnahme geben | |
– weil der Verein die Bedingungen der Deutschen Fußball-Liga (DFL) nicht | |
erfülle. Die DFL, das ist der Schiedsrichter in diesem Machtspiel. | |
50+1 gilt als letzte Bastion vor Scheichs und Oligarchen, finden | |
Befürworter der Regel. Als Schutzwall gegen einen globalen | |
Finanzkapitalismus, der längst auch Fußballklubs als lukrative | |
Anlagemöglichkeit entdeckt hat. Paris Saint-Germain, AC Mailand, Manchester | |
City, überhaupt die englische Premier League – allesamt Spielbälle ihrer | |
Eigentümer, mal besser, mal schlechter geführt. Entscheidend aber ist: | |
Dort, wo Investoren ihr Geld reinstecken, wollen sie auch entscheiden, was | |
passiert. | |
Das ist in Deutschland anders. Zwar kann ein Investor 100 Prozent der | |
Kapitalanteile eines Klubs aufkaufen – die Stimmanteile aber nur zu maximal | |
49 Prozent. In Hannover liegen 100 Prozent des Kapitals an der Hannover 96 | |
GmbH & Co. KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien) in Investorenhand, aber | |
100 Prozent der Stimmanteile beim e. V. – formell gehalten von einer | |
100-prozentigen e. V.-Tochtergesellschaft, der Hannover 96 Management GmbH. | |
Mittels der Stimmenmehrheit soll gewährleistet sein, dass deutsche | |
Profifußballklubs einer demokratischen Kontrolle unterliegen. | |
Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite steht ein Mann, der Hannover | |
96 ebenfalls verbunden ist: Martin Kind, der Vereinspräsident und | |
Deutschlands härtester 50+1-Gegner. Dass er gegen 50+1 ist, gibt er offen | |
und oft zu – Kind ist nicht nur Vereinspräsident, er ist in Personalunion | |
auch Investor bei Hannover 96, hält die Mehrheit der Aktien an der | |
Profi-Abteilung. Doch er strebt nach mehr: Kind möchte endlich auch die | |
Stimmenmehrheit haben und dafür die 50+1-Regel kicken, wie es bei | |
Werksvereinen wie Bayer Leverkusen oder dem VfL Wolfsburg bereits geschehen | |
ist: 50+x für sich selbst. | |
Kind, 73, hat sein Geld mit einer gleichnamigen Hörgerätefirma verdient, | |
Hauptsitz: Großburgwedel, vom Hannoveraner Hauptbahnhof 19 | |
Regionalbahn-Minuten entfernt. Kind sagt: „Wer sein Geld gibt, will auch | |
darüber bestimmen.“ Oder: „Fußballklubs sind Wirtschaftsunternehmen.“ K… | |
Vermögen wird auf über 600 Millionen Euro geschätzt, auf der vom | |
Manager-Magazin herausgegebenen Liste der reichsten Deutschen rangiert die | |
Familie Kind derzeit auf Platz 194. | |
Es ist September, über Großburgwedel scheint die Sonne. Kind schlendert | |
durch den Kokenhof, sein restauriertes Hotel, über 450 Jahre alt. Lässig | |
wirkt der Hausherr in seiner schwarzen Lederjacke, so gibt er sich auch | |
beim Gespräch: entspannt, freundlich. Die Augen huschen aufmerksam hin und | |
her, im Innenhof grüßen ein paar wichtig aussehende Menschen, zwischendurch | |
kommt 96-Manager Horst Heldt an den Tisch, Hände werden geschüttelt, man | |
tauscht sich kurz aus. Dann spricht Kind wieder über Hannover 96, „über die | |
Marke 96“ – und darüber, warum der Profifußballbetrieb von der 50+1-Regel | |
abgekoppelt werden sollte. Für Hannover 96, findet Kind, sei das ohnehin | |
die beste Lösung; sie verspreche neue Millionen, mit denen man | |
konkurrenzfähig bleibe. Kind geht davon aus, dass er eine Ausnahme von der | |
50+1-Regel für 96 erreichen kann – theoretisch ist das möglich. | |
In gewisser Weise ähnelt Kind seinem Gegenspieler Ralf Nestler. Auch er | |
wirkt kantig, klar im Ausdruck. Wenn er seinen Argumenten Nachdruck | |
verleihen will, haut er mit der Hand leicht auf den Tisch. Ansonsten: | |
sachlich, ein Kopfmensch, einer, der gern die Kontrolle hat. | |
Derzeit allerdings vermehren sich die Anzeichen, dass Kind in Sachen 50+1 | |
die Kontrolle entglitten ist. Im Duell zwischen ihm und Nestler, zwischen | |
dem 50+1-Abschaffer und dem -Befürworter, ist seine letzte Hoffnung der | |
Schiedsrichter: die Deutsche Fußball-Liga. Den Ausnahmeantrag, den Kind bei | |
der DFL eingereicht hat, muss sie bewerten. Und dann entscheiden: für Kind | |
oder gegen Kind. | |
Klar ist: Nach den internen DFL-Richtlinien, die der taz vorliegen, erfüllt | |
Kind die Kriterien zur Aufhebung der 50+1-Regel nicht. Er hat über 20 Jahre | |
hinweg zu wenig in die Hannoveraner Profifußball-KGaA investiert. Über 60 | |
Millionen Euro hätten es wohl sein müssen. Die Summe berechnet sich nach | |
den Zahlungen, die der jeweilige Hauptsponsor pro Jahr für Trikotwerbung | |
leistet. Mindestens so viel hätte auch Kind jährlich in den Profibetrieb | |
stecken müssen, in Hannover also etwa drei bis vier Millionen Euro. Das | |
haben die Hauptsponsoren dem Klub gebracht – Kind hat vor allem sein | |
strategisches Geschick walten lassen. Auch damit habe er 96 ja gefördert, | |
argumentiert der 73-Jährige. | |
1997 kam Martin Kind als Sanierer zum Verein Hannover 96, der vor der | |
Insolvenz stand. Eine ausgegliederte Profifußball-KGaA gab es noch nicht, | |
die gründete Kind erst wenig später. Das Kapital stellten verschiedene | |
vermögende Hannoveraner Geschäftsmänner wie der Finanzunternehmer Carsten | |
Maschmeyer oder der Drogerieketten-Besitzer Dirk Roßmann bereit – und | |
natürlich Kind selbst. Investiert wurde aber nie mehr als nötig. | |
Das wird Kind nun zum Verhängnis, laut taz-Informationen tendiert die DFL | |
dazu, Kinds Antrag abzulehnen. Ursprünglich hätte die Entscheidung der DFL | |
bis zum 31. Dezember 2017 fallen sollen, dann schien im Januar eine | |
Verkündung möglich. Nun, so heißt es aus DFL-Kreisen, wird wohl im Februar | |
mit einer Verkündung gerechnet. | |
Es scheint, als habe Hildesheim gegen Großburgwedel in der Nachspielzeit | |
doch noch gewonnen. Aber wer weiß, vielleicht steht auch noch ein | |
Elfmeterschießen an. Offenbar ist im Fußball alles möglich. | |
27 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
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